Handbuch der Sprachminderheiten in Deutschland. Группа авторов

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werden. Auch wenn es noch keine zufriedenstellende und erst recht keine rechtsgültige Definition von Minderheit gibt, ist klar, dass nicht jede anderssprachige Personengruppe eine Minderheit im Sinne einer Sprachgemeinschaft bildet. „Minderheiten bilden diese Migranten […] nur, wenn sie in Gruppen organisiert auftreten“ (Rindler Schjerve 2004: 482). Neben den objektiv beobachtbaren Faktoren – wie zahlenmäßig geringer Umfang und (politische) Dominiertheit von der Mehrheitsgesellschaft – werden also weitere, v.a. subjektive Faktoren bedeutsam, die dann wiederum in objektiven Elementen (mehr oder weniger) sichtbar werden. So ist typischerweise die Differenz bzw. die Abstammung zentrales Merkmal der Identität und die Grundlage für ein Zusammengehörigkeitsgefühl sowie für die Herausbildung einer sozialen Organisationsform (Rindler Schjerve 2004: 484). Gemeinsames Ziel ist die Pflege von Kultur, Brauchtum und Traditionen, die die Gruppenmitglieder auch über Verwandtschaften hinaus in gemeinsame Interaktion treten lässt. Nur Gemeinschaften mit diesen Merkmalen können in unserem Zusammenhang relevant sein. Aber auch deren Anzahl übersteigt den verfügbaren Platz. Als mögliche Orientierung für die engere Auswahl bieten sich nun Typen der Migration an. Mutmaßlich am verbreitetsten sind als überindividuelle Phänomene die Arbeitsmigration sowie ganz aktuell die Fluchtmigration.1 Letztere hat in Deutschland v.a. ab 2014 erheblich an Bedeutung gewonnen, als der seit 2011 anhaltende Bürgerkrieg in Syrien eine Flüchtlingswelle auslöste. Schätzungen zufolge kamen 2015 etwa 890.000 Flüchtlinge nach Deutschland, bei denen Arabisch als (einzige) Erstsprache vorherrschte (Hünlich et al. 2018: 18f.) – eine durchaus beachtliche Zahl. Die Konturen dieser Gruppe und ihrer soziolinguistischen Realitäten sind zurzeit jedoch nicht recht erkennbar, und ihre Erforschung steht noch ganz am Anfang. Dementsprechend konnten sie im vorliegenden Handbuch noch nicht berücksichtigt werden. Einwanderung zum Zweck der Arbeitsaufnahme blickt in Deutschland dagegen schon auf eine mehr als hundertjährige Geschichte zurück. Waren es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert v.a. Polen, die im Ruhrgebiet in der Schwerindustrie und im Bergbau eingestellt wurden, kamen die ab 1955 angeworbenen „Gastarbeiter“ vorwiegend aus dem südeuropäischen Raum. Die größte Gruppe der als Folge von Arbeitsmigration entstandenen Minderheiten in Deutschland bilden dabei die Türkischstämmigen bzw. Türkeistämmigen, inzwischen in zweiter und dritter Generation.

      Das vorliegende Handbuch umfasst zehn Beiträge. Diese erläutern zunächst nacheinander die fünf – bzw., wenn man Nordfriesisch und Saterfrisisch getrennt zählt, sechs; wenn man Obersorbisch und Niedersorbisch getrennt zählt, sieben – chartageschützen Sprachen Deutschlands. (1) Dänisch in Schleswig-Holstein als Grenzminderheit ist dabei der einzige Fall, der insofern eine Symmetrie aufweist, als es jenseits der Grenzen den genauen Gegenfall (also Deutsch als Minderheitssprache in Dänemark) gibt. Die historisch-autochthone dänische Minderheit in Schleswig-Holstein umfasst zirka 50.000 Personen; sie ist von der Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich anerkannt. Die Mitglieder der Minderheit sind in der Regel mehrsprachig. Häufig ist Deutsch die Erstsprache und Südschleswigdänisch, eine durch Sprachkontakt geprägte Form des Dänischen, Zweitsprache oder weitere Erstsprache; daneben wird ggf. das Standarddänische Dänemarks und gelegentlich Niederdeutsch und/oder Friesisch gesprochen. Der Status des Dänischen in der Minderheit ist variabel. Während in der privaten Alltagskommunikation häufig Deutsch bevorzugt wird, hat die Beherrschung des Dänischen hohe Relevanz auf Entscheidungs- und Leitungsebenen. Für die fortgesetzte ökonomische Unterstützung aus Dänemark spielen seine Bewahrung und Förderung eine zentrale Rolle.

      (2) Friesisch gehört zu den Minderheitensprachen, die keinen Nationalstaat haben. Ihre Sprecher verteilen sich auf drei nicht (mehr) zusammenhängende Gebiete im Nordseeraum, von denen zwei in Deutschland liegen: Zum einen im schleswig-holsteinischen Kreis Nordfriesland sowie auf der Insel Helgoland, wo es in einer ausgeprägten Mehrsprachigkeitssituation unter Beteiligung des Friesischen, Niederdeutschen, Hochdeutschen, Jütischen wie Dänischen steht bzw. stand. Die Herausforderungen für das Nordfriesische liegen sowohl in der großen Dialektvielfalt, durch die nur selten eine gegenseitige Verständlichkeit gegeben ist, als auch im Fehlen eines schlüssigen, stringenten Konzepts für die Spracharbeit: Bei den zahlreichen Aktivitäten, Strukturen und Rechtsinstrumenten zur Förderung des Friesischen „stellt sich jetzt [die Frage], inwiefern diese Maßnahmen, insbesondere die Strukturen, effektiv sind“ (Walker, in diesem Band) und wie der vorhandene Sachverstand sinnvoll gebündelt werden kann.

      (3) Zum anderen ist Friesisch in der Gemeinde Saterland im Nordwesten Niedersachsens zu finden. Das dortige Saterfriesisch ist die letzte noch gesprochene Varietät des Ostfriesischen; sie kam erst ab zirka dem 11. Jahrhundert durch emsfriesische Einwanderer in das ursprünglich sächsisch besiedelte Gebiet. Erst seit den 1980er Jahren gibt es in der Bevölkerung ein wachsendes Bewusstsein darüber, dass es sich beim Saterfriesischen um eine Ausprägung des Friesischen – und nicht des Niederdeutschen – handelt. Durch Zuzug Plattdeutsch sprechender Kolonisten aus der Umgebung im 19. Jahrhundert und Zuzug v.a. aus den Ostgebieten nach dem Zweiten Weltkrieg stellen die Saterfriesischsprecher nur noch eine Minderheit der Gesamtbevölkerung mit einem eingeschränkten Kommunikationsraum dar. Umso gewichtiger wird die Rolle der schulischen Bildung als „wohl die beste[…] Möglichkeit[…], die Gebrauchsdomänen für das Saterfriesische zu erweitern“ (Peters, in diesem Band).

      (4) Im Mittelalter bzw. in der Hansezeit als Sprache voll umfänglich ausgebaut und verwendet, wurde das Niederdeutsche als Folge des Schreibsprachwechsels der norddeutschen Städte zum Hochdeutschen soziolinguistisch zu einem Dialekt heruntergestuft. „Damit einher gingen niedrige Prestigewerte und eine weitgehende Unbesetztheit von Feldern der öffentlichen Kommunikation“ (Goltz/Kleene, in diesem Band). Mit der Aufnahme des Niederdeutschen als Regionalsprache in das deutsche Ratifizierungsdokument der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen begann ein Prozess der Umbewertung zugunsten eines kulturellen Wert- und Identitätsfaktors. Zudem zeigen aktuelle Umfragen ein in den letzten zehn Jahren gleichgebliebenes Kompetenzniveau unter den Sprechern. Dennoch bergen die nur zu einem sehr geringen Teil in der Familie stattfindende Weitergabe und die im Alltag fehlende Notwendigkeit, Plattdeutsch zu können, ein gewisses Gefährdungspotenzial.

      (5) Auch die Lausitzer Sorben hatten zu keinem Zeitpunkt der Geschichte einen eigenen Staat.

      Nach vorherrschender Ansicht gibt es nur ein sorbisches Volk, das aber zwei Schriftsprachen hervorgebracht hat, die nieder- und die obersorbische […]. Es handelt sich um zwei eigenständige westslawische Sprachen mit jeweils spezifischer Dialektgrundlage, wobei die Sprachgrenze aufgrund des Vorliegens von Übergangsdialekten in der mittleren Lausitz nicht eindeutig festzulegen ist. (Menzel/Pohontsch, in diesem Band)

      Auch in soziolinguistischer Hinsicht befinden sich Nieder- und Obersorben in unterschiedlichen Situationen: So ist der Großteil der Niedersorben im Laufe des 20. Jahrhunderts von deutsch-sorbischer Zweisprachigkeit zur deutschen Einsprachigkeit übergegangen. Das Kerngebiet des Sorbischen liegt in der Oberlausitz, wo die Obersorben leben. Dabei spielen auch die beiden unterschiedlichen Konfessionen eine große Rolle: Evangelische Regionen der Lausitz und deutschsprachige Region sind im Grunde deckungsgleich.

      Anders ist die Konstellation im obersorbischen Kerngebiet, in dem die Weitergabe der Sprache bis heute ohne Bruch stattfand. Die Kirche entwickelte sich hier aufgrund eines historischen Sonderweges zu einem Schutzraum für das Obersorbische. (Menzel/Pohontsch, in diesem Band)

      (6) Romanes, die Sprache der Sinti und Roma, gilt als nicht territorial gebundene Sprache, d.h. als Sprache „die keinem bestimmten Gebiet innerhalb des betreffenden Staates zugeordnet werden [kann]“ (Europarat 1992: 2). Sie ist integraler Bestandteil der (gesamt-)europäischen Kultur; ihre Sprecher sahen sich v.a. in der Vergangenheit jedoch Marginalisierung, stereotypen Vorurteilen sowie Diskriminierung seitens der Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt. Der seit ein paar Jahren stattfindende politische Emanzipationsprozess und die vermehrte Verwendung des Romanes auf internationaler Ebene durch Aktivisten bewirken nicht nur seine Aufwertung, sondern auch einen Funktions- und Strukturausbau. Eine Erforschung dieser Sprache mit indoarischen Wurzeln und starker Prägung durch die jeweiligen Kontaktsprachen erweist sich (v.a.) für Deutschland vor dem historischen Hintergrund als äußerst schwierig. Zu

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