Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel. Christoph Bausenwein

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Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel - Christoph Bausenwein

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Lizenz. Die sollte er also jetzt endlich nachholen.

      Es waren arbeitsreiche Tage. In dichter Abfolge standen Taktik und Trainingsführung, Psychologie und Rhetorik sowie Sportmedizin auf dem Programm, die Diskussionen in den Arbeitsgruppen dauerten teilweise bis in den späten Abend an. »Weil das Programm so komprimiert war, entstand bald eine sehr intensive Arbeitsatmosphäre«, erinnert sich Bisanz. Und er war begeistert von den Qualitäten seiner Teilnehmer. Fast alle hatten das Spiel selbst auf höchstem Niveau betrieben und ihre Erfahrungen ausgiebig reflektiert. Weil sich die meisten der Teilnehmer bereits sehr gut kannten und die Außenseiter inklusive der beiden Frauen hervorragend integriert wurden, habe sich ein besonderes Gruppengefühl eingestellt. Bisanz sprach von einer »verschworenen Gemeinschaft«. Als Sprecher der Gruppe hatte sich schon bald der mit einer natürlichen Autorität ausgestattete Klinsmann herauskristallisiert. Was er einmal mit seinem Trainerschein beginnen wollte, hatte der Schwabe, der sich auch in seiner Wahlheimat Kalifornien gezielt in Sachen Fußball weitergebildet hatte, freilich noch nicht entschieden. Er sah darin erstmal »eine weitere Option für die Zukunft«.

      Klinsmann fand in Hennef Gefallen am Trainerjob, an der Aufgabe zumal, die Komplexität des Spiels zu durchdringen und anderen zu vermitteln. Laut Bisanz hatte er auch Talent bewiesen. Er habe während der Übungen mit einem ausgeprägten Sinn für »die Fußballstruktur« die Fehler gesehen und auf den Punkt gebracht. Andere scheinen aber noch besser gewesen zu sein. Insbesondere sein Lehrgangskamerad Joachim Löw, ein Mann mit bemerkenswert »geradliniger Denkweise«. Der habe ihm in nur zwei Minuten die Vorteile einer Viererkette erklären können. »Ich war 18 Jahre Profi«, soll der schwer beeindruckte Klinsmann zu seinem Banknachbarn Guido Buchwald gesagt haben, »aber kein einziger meiner Trainer konnte mir das so vermitteln.«

      Diese nette Geschichte, die gleichsam die Qualität eines Ritterschlags haben sollte, wird Klinsmann nach der vier Jahre später erfolgten Ernennung Löws zu seinem Assistenten immer wieder mal erzählen. Vorerst freilich hatte die Tatsache, dass Klinsmann von Joachim Löws theoretischem Wissen und didaktischem Können beeindruckt war, noch keine Konsequenzen. Der Bundestrainer in spe ging wieder nach Kalifornien zurück, und der in Karlsruhe erfolglose Zweitligatrainer sollte nach einer Kurzzeit-Pleite im türkischen Adana versuchen, in Österreich beim FC Tirol sowie bei Austria Wien wieder in die Erfolgsspur zurückzufinden.

      Bei der deutschen Nationalmannschaft trat indessen Besserung ein. Der allseits beliebte Ex-Stürmerstar Rudi Völler übernahm zunächst interimsweise das Amt des Bundestrainers für den ab 2001 vorgesehenen Leverkusener Trainer Christoph Daum, der dann schlagenzeilenträchtig gescheitert war, weil ihm Kokainkonsum nachgewiesen wurde. Unter »Ruuudi« ging es von den Ergebnissen her wieder aufwärts, auch wenn die Ästhetik des deutschen Spiels oft recht zu wünschen übrig ließ. Das glückliche Erreichen des mit 0:2 gegen Brasilien verloren gegangenen WM-Finales von 2002 musste geradezu als sensationell eingestuft werden. Doch mit der vorübergehenden Euphorie war es bald wieder zu Ende. Auf heftige Kritik nach mauen Spielen gegen Gegner wie Island und die Färöer platzte Völler mehrfach der Kragen. Mehr gebe das Potenzial des deutschen Fußballs eben nicht her, meinte er. Schließlich wurden die realen Möglichkeiten der deutschen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal auf drastische Weise bloßgelegt. Die Bilanz von »Rudis Rumpelfüßlern«: eine gute Halbzeit beim 1:1 gegen die Niederlande, ein torloses Unentschieden gegen Lettland und schließlich eine demütigende 1:2-Niederlage gegen Tschechiens B-Elf – und damit ein erneutes Aus in der Vorrunde. Wer’s gesehen hat, der wird nie vergessen, wie der ratlos-deprimierte Rudi Völler nach dem letzten Spiel zu den deutschen Fans ging und achselzuckend anzeigte: »Mehr war nicht drin. Wir haben alles versucht.« Einen Tag später trat er zurück. Völler hatte eingesehen, dass nach dieser Mega-Pleite sein Kredit aufgebraucht war und er damit einem unübersehbar notwendig gewordenen fundamentalen Neuanfang nur im Wege stehen würde.

      Die DFB-Führung verfiel in eine geradezu bestürzende Ratlosigkeit. Niemand hatte eine Ahnung, wer den Job nun übernehmen könnte. Denn im Grunde war der von den Fans selbst in der Pleite immer noch gefeierte Rudi Völler (»Es gibt nur ein’ Rudi Völler«) die einzig übriggebliebene Lichtgestalt am sich bedrohlich verdunkelnden Fußballhimmel Deutschlands. Viele gute Möglichkeiten blieben da nicht. DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder präsentierte zunächst seinen Wunschkandidaten Ottmar Hitzfeld als sicheren neuen Bundestrainer. Dieser sagte aber wieder ab. Nun gründete sich eine seltsame »Trainerfindungskommission«, bestehend aus Franz Beckenbauer, Werner Hackmann, Horst Schmidt und eben Mayer-Vorfelder. Allerlei Namen wurden gehandelt, unter anderem Otto Rehhagel, doch auch nach vier Wochen dilettantischen Werkelns war der DFB noch immer nicht in der Lage, einen Trainer zu präsentieren. Und dann tauchte plötzlich, ins Spiel gebracht vom Ex-Bundestrainer Berti Vogts, ein ganz neuer Name auf: Jürgen Klinsmann.

      Es war die Riesenüberraschung des Fußballjahres 2004. Tatsächlich durfte der inzwischen in Kalifornien ansässige ehemalige Stuttgarter Stürmerstar, Weltenbummler (AS Monaco, Inter Mailand, Tottenham Hotspurs), Welt- und Europameister das höchste Amt in Fußball-Deutschland übernehmen. Kurz nach seiner Inthronisierung erinnerte er sich an den Viererketten-Versteher von Hennef und kürte ihn zu seinem Assistenten. Alle wunderten sich: Was wollte Klinsmann denn mit diesem Löw, den man als Spieler kaum wahrgenommen hatte, der als Trainer des VfB Stuttgart nur kurzzeitig erfolgreich gewesen und dann in der Türkei und Österreich jenseits des großen Fußballs untergetaucht und inzwischen beinahe schon vergessen war?

      Der Amstantritt des Trainerteams Klinsmann/Löw war der Beginn einer radikalen Umwälzung im DFB, die bis heute anhält und zu einer begeisternden Attraktivität des deutschen Spiels geführt hat, die sich damals, im grauenvollen Sommer des Jahres 2000, wirklich niemand ernsthaft hatte vorstellen können. Damals war Joachim Löw ein Nobody, heute ist der Mann, der 2006 das Klinsmann-Erbe als Chef übernommen hat, der Liebling der Nation. So erstaunlich diese Entwicklung von außen betrachtet aussehen mag, so nachvollziehbar wird sie für den, der die innere Konsequenz des Hauptakteurs in den Fokus stellt. Den Traum vom perfekten Spiel hegte Joachim Löw schon zu einer Zeit, als er von der großen Öffentlichkeit noch gar nicht wahrgenommen wurde. Heute entfaltet er ihn in gereifter Form an höchster Stelle mit einer frappierenden Selbstverständlichkeit. Er interpretiert den Job des Bundestrainers inzwischen in einer Art und Weise, dass Amt und Person beinahe zu verschmelzen scheinen. Man kann sich kaum vorstellen, von wem er jemals ersetzt werden könnte. Und dabei weiß man nach wie vor nur sehr wenig über diesen Mann, der spätestens seit der WM 2010 beinahe wie ein natürlicher Herrscher über dem deutschen Fußball zu thronen scheint. So wird es Zeit, den Weg Joachim Löws ein wenig zu erhellen und aufzuzeigen, wie sein Traum vom perfekten Spiel sich entwickelt hat.

      I. TEIL

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       Der Aufstieg eines Unscheinbaren

      KAPITEL 1

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      Der unvollendete Profi

      oder: Eine Spielerkarriere ohne Höhepunkte

      Ein 40 Kilometer von Freiburg entfernter, kaum 3.000 Einwohner zählender Luftkurort im südlichen Schwarzwald, ein zwischen Wiesen, Bergen und Wäldern eingebettetes Urlaubsidyll zwischen dem Feldberg und der Schweizer Grenze bei Lörrach, die Stadt Schönau, ist die Heimat des späteren Bundestrainers. Hier wuchs der am 3. Februar 1960 geborene Sohn eines Ofensetzermeisters als ältester von vier Brüdern auf, hier besuchte er die Grundschule, hier war er in der Dorfkirche Ministrant, hier ging er in das Gymnasium, das er im Juni 1977 vorzeitig abbrach und mit der mittleren Reife verließ, hier entdeckte er seine Begabung und seine Liebe für den Fußball.

      Es war ein einfaches und erdgebundenes Aufwachsen in einer überschaubaren Welt. Die vor dem Krieg aus dem etwa 80 Kilometer

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