Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel. Christoph Bausenwein

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Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel - Christoph Bausenwein

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und, soweit es die Alteingesessenen betrifft, jederzeit zu einem kleinen Plausch, zum »Babbele«, bereiten Bundestrainer zu berichten. Zum Beispiel im Tabak- und Zeitschriftenladen »Holderied« in der Herrenstraße, wo er sich regelmäßig seine Sportzeitschriften holte – und zur Begeisterung des Besitzers geduldig die Fankarten unterschrieb, die andere Kunden hinterlegt hatten. Auch beim »Mode Herr« in der Kaiser-Joseph-Straße – einem alteingesessenen Geschäft, das mittlerweile einem O2-Laden gewichen ist – war er Stammgast. Seine Verkäuferinnen seien von dem modebewussten Bundestrainer immer wieder hellauf begeistert gewesen, erzählt der Inhaber Peter Herr über seinen Kunden mit den genauen Vorstellungen und dem besonderen Sinn für sportive Kleidung.

      Kurzum: In Freiburg fühlt sich Joachim Löw zuhause. Hier kann er tun, was er auch schon als Nicht-Prominenter getan hat, hier kommt er zur Ruhe, selbst wenn er bekannt ist wie ein bunter Hund. »Der Erfolg hat ihn nicht verändert«, sagt Jürgen Weiss, ein alter Freund der Familie, »er ist vielleicht etwas zurückgezogener als früher. Aber hier ist er derselbe geblieben.« Die Schwarzwald-Metropole ist der Rückzugsort des Badeners, seine Basis. Der perfekte Ort also, um authentisch und sich selbst treu bleiben zu können, wie Joachim Löw sagt. Um ein einfaches und erdiges Glück zu leben. Und um ungeniert und unbelächelt so zu reden, wie einem der badische Mund gewachsen ist. Um »höggschde« Zufriedenheit zu erleben, braucht dieser Joachim Löw augenscheinlich nicht sehr viel. Und in diesem Sinne ist er ein recht typischer Vertreter des hier beheimateten Völkchens. Der Badener gilt als kreativer und genauer Denker, als zuverlässiger Arbeiter, aber auch dem Genuss zugewandt, als tolerant, weltoffen und liberal, und in all dem stets bescheiden und nicht auftrumpfend. »In gewissem Sinne«, urteilt der »Stern« vielleicht nicht zu Unrecht, sei Joachim Löw »das fleischgewordene Freiburg in seiner Gründlichkeit und seinem Understatement«. Was dann manchmal vielleicht etwas langweilig wirken kann.

      Joachim Löws Antworten auf die Frage, was ihm »Glück« bedeute, fallen äußerst bieder aus. »Zeit« vor allem bedeute ihm Glück. »Dazu gehört zum Beispiel, ohne Zeitdruck die Familie oder Freunde zu treffen, gemeinsam einen Kaffee oder Wein zu trinken, spontan ins Kino zu gehen oder in einer Gruppe Sport zu treiben. Es reicht auch, gemütlich in einer vertrauten Runde zu reden.« Als Themen der privaten Gespräche nennt er »Privates« und »Freizeitgestaltung«, aber es geht auch um Ernsteres: »Der Wertewandel in unserer Gesellschaft – auch global betrachtet – ist ein interessantes Feld. Was heißt heutzutage noch Freundschaft, Hilfe, Toleranz, Verständnis? Alles elementare Dinge unseres Lebens.« Gespräche mit Freunden, die sich nicht um Fußball drehen, seien ihm besonders wichtig. »Ich lechze förmlich danach, weil ich kein Gefangener des Fußballs sein will.« Und so sind für ihn auch regelmäßige Auszeiten wie die Festtage zum Jahreswechsel sehr wichtig. »Weihnachten gehört bei uns der Familie«, bekundete er zum Ende des WM-Jahres 2010. »Ich war in diesem Jahr mehr als 200 Tage unterwegs, habe viel Zeit in Hotels verbracht. Für mich ist es deshalb großer Luxus, mal wieder zu Hause zu sein, abschalten zu können und meine Zeit mit der Familie und Freunden zu verbringen«, oder einfach mit seiner Frau Daniela »die Seele baumeln« zu lassen. Das beschauliche Freiburg, gute Freunde, seine Familie und natürlich seine Frau – das sind für den harmoniebedürftigen Menschen die Stützen, die er schätzt und auf die er sich verlassen kann.

      In Freiburg ist Joachim Löw bekannt und beliebt, in seinem Geburtsort Schönau wird er geradezu verehrt. Im Jahr 2006 ließ Bürgermeister Bernhard Seger zu Ehren des neu ernannten Bundestrainers ein riesiges Glückwunsch-Transparent anfertigen und über der Hauptstraße aufhängen. Alle Schönauer seien »sehr stolz«, meinte er und lobte den berühmtesten Sohn des Ortes als »sehr sympathisch«. Er sei kein Schreier, sondern einer, der seine Worte mit Bedacht wähle. »Diese Zurückhaltung ist eine typische Eigenschaft vieler Schwarzwälder.« Aber es gibt Ausnahmen. Zur EM 2008 wurden in der Heimat des Bundestrainers »Löw«-T-Shirts gedruckt, und im Landkreis Lörrach stiegt die Zahl der Autos mit dem Kennzeichen »LÖ-W« deutlich an. Und die Besitzer des Hotels Adler haben »zu Ehren unseres Fußballbundestrainers Jogi Löw« ein »Fußballzimmer« eingerichtet, in dem sich die Fans der Nationalmannschaft besonders wohlfühlen sollen.

      In Zeiten der großen Fußballturniere verwandelte sich der »Jogi-Ort« Schönau zeitweise zu einer Pilgerstätte. Das Elternhaus im Ortskern kann zwar nicht mehr besichtigt werden – es ist einem Zweifamilienhaus gewichen –, der Vater ist 1997 verstorben, aber die Mutter Hildegard, für die der Jogi immer der »Joachim« geblieben ist, lebt hier noch, und außerdem der jüngste Bruder Peter, »Pit« gerufen.

      Peter, ein gut genährter Mann und Brillenträger, betreibt als Pächter das Vereinsheim des FC Schönau im kleinen Buchenbrandstadion (das gerüchteweise irgendwann in »Jogi-Löw-Stadion« umbenannt werden soll). Es ist in ganz Schönau als »Pit-Stop« bekannt. Natürlich gab es dort zu allen großen Jogi-Turnieren Public Viewing – zum »Sommermärchen« 2006, zur »Bergtour« 2008 und zu der auf Plakaten als »Sommermärchen II« angekündigten WM 2010 in Südafrika. Halb Schönau versammelte sich dann beim »Pit« und natürlich viele Neugierige und zahlreiche Journalisten. Aber viel erfahren haben sie nicht über den Bundestrainer. Der »Pit-Stop« ist die erste Anlaufstelle für Wissbegierige, aber wer dort Auskünfte erhalten will, wird enttäuscht. »Das hier ist mein Wohnzimmer, und es soll nicht so enden wie Frau Klinsmanns Bäckerei«, begründet Peter brummig seine Weigerung, irgendwas über seinen ältesten Bruder zu sagen.

      Aber nicht nur der Peter blockt ab. Wer bei einem Besuch in Schönau von irgendjemandem irgendetwas über den berühmtesten Sohn des Ortes erfahren will, wird enttäuscht. Man scheut jeden Rummel und übt sich in Zurückhaltung. Der Jogi, wird der Frager aufgeklärt, könne das Gerede über sich nicht leiden. Auskünfte gebe es nur mit schriftlicher Genehmigung von Herrn Löw, erklärt zum Beispiel eine Dame aus dem katholischen Pfarramt. Es ist eine badische Jogi-Omertá. Alle halten dicht. Die Familie redet öffentlich praktisch gar nicht, und die anderen erzählen allenfalls Unverbindliches. Wenngleich: Stolz ist die Familie schon auf den berühmten Sprössling. Der bereits 1997 verstorbene Vater verfolgte die Karriere seines Sohnes trotz aller Skepsis mit Wohlwollen, und die Mutter zeigt sich bis heute als Fan ihres Ältesten. Seit eine Schulkameradin einen Brief von Hildegard Löw ins Internet gestellt hat, weiß man, wie sehr sich die Mutter über den ersten großen beruflichen Erfolg ihres Sohnes freute. »Du wirst vielleicht meinen ältesten Sohn Joachim des Öfteren im Fernsehen in der Sportschau sehen können«, berichtete sie der Freundin, »denn er ist momentan Trainer beim Fußballklub VfB Stuttgart.«

      Joachim Löw mag es nicht, wenn ihm die Leute allzusehr hinterherschnüffeln. »Wenn ich heute meine Wohnung verlasse, werde ich zu einem Stück Allgemeingut«, meinte er vor der EM 2008. »Daran musste ich im ersten halben Jahr nach meiner Ernennung gewöhnen. Ich hatte den Eindruck, ständig unter Beobachtung zu stehen.« Schon vor seinem ersten großen Turnier hatte er sein Reihenhaus im Stadtteil St. Georgen in der Schneeburgstraße – ein Anwesen mit wunderbarem Blick auf den dem Schwarzwald vorgelagerten Schönberg – wegen des immer größer gewordenen Trubels aufgegeben. Sogar im Garten waren die Autogrammjäger aufgetaucht. Also war er mit seiner Frau Daniela in eine noble Altbauwohnung in der Landsknechtstraße umgezogen, in den von Studenten geprägten Stadtteil Wiehre. Aber auch hier machten sich Fans, Touristen und Amateur-Paparazzi einen Sport daraus, nach seinem Mercedes SUV (M-Klasse) mit Frankfurter Kennzeichen zu suchen, lauerten ihm bei der Bäckerei Bühler auf, wo er seine Brötchen holte, oder im Sternwald, wo er gern joggte mit Musik im Ohr. So zog er auf der Flucht vor neugierigen Blicken nach der Europameisterschaft hinaus ins Ländliche, Richtung Süden, in einen kleinen Ort an der Landstraße Nummer 122.

      Sicherlich, das Interesse der Leute habe ihn durchaus »mit sehr viel Stolz erfüllt«, erklärt er. Er freue sich natürlich über die Freude der Leute, wenn sie ihn ansprechen und nach einem Autogramm fragen. Aber aggressiv bedrängt werden will er nicht. Nicht zuhause und auch nicht im öffentlichen Raum. Wenn zum Beispiel in der Bahn Massen ankommen und jeder ein Foto, ein Autogramm, ein kurzes Gespräch will, dann wird es einfach zu viel. »Manchmal möchte man eben auch seine Ruhe haben. Und es ist mir heute kaum noch möglich, im Zug, im Restaurant oder im Flugzeug zu sitzen, ohne angesprochen zu werden.« Manchmal ist

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