Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel. Christoph Bausenwein

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Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel - Christoph Bausenwein

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die Note drei. Was den Prüfling später, als er Chefspion der deutschen Nationalelf geworden war, überhaupt nicht mehr stören wird: »Ich habe dazugelernt.«

      Siegenthaler versuchte sich in der Schweiz zunächst als Spielertrainer bei kleineren Vereinen wie dem FC Schaffhausen und dem FC Laufen. 1983 wurde er beim FC Toulouse (1. französische Division) Assistent seines schweizerischen Landsmannes Daniel Jeandupeux, unter dem er 1986 auch Assistent der Schweizer Nationalmannschaft werden sollte. Schließlich trat er 1987 beim FC Basel seine erste Cheftrainerstelle im Profifußball an. Es sollte zugleich seine letzte sein. Bereits in seiner ersten Saison stieg er mit dem Traditionsklub ab, die Entlassung erfolgte ein Jahr später, als er mit seinem Team den direkten Wiederaufstieg verpasst hatte. Er sei nicht konservativ genug gewesen für den Trainerjob, kommentierte Siegenthaler sein Scheitern.

      Sein Streben nach Veränderung in Trainingslehre und Taktik konnte er mit seiner Tätigkeit als Trainerausbilder beim Fußballverband der Schweiz, die er inzwischen aufgenommen hatte, weitaus besser verfolgen. »Unter ihm und Nationaltrainer Daniel Jeandupeux wurden in der Schweiz viele Dinge geprägt, neue Ideen geboren, der Fußball revolutioniert«, erinnert sich Martin Andermatt. Jahrelang war Siegenthaler, der 1998 den Vorsitz der Union Schweizer Fußballtrainer übernahm, als Ausbilder in der Trainerschmiede des Schweizer Verbandes in Magglingen tätig, wo er zwischen 1992 und 2002 auch mehrere Lehrgänge im Auftrag der FIFA durchführte. Ein »absoluter Fachmann«, schwärmt Joachim Löw von dem Leiter der Schweizer Trainerausbildung, bei dem er so manchen Schein erworben hat, »keiner hat mir Taktik so rübergebracht«. Siegenthaler trat als Ausbilder mit dem Selbstbewusstsein dessen auf, der die Materie tief durchdringt. »Viele kennen den Fußball, aber wenige verstehen ihn«, lautet ein markanter Satz von ihm, mit dem er keinen Zweifel daran lässt, dass er sich zu den Verstehern rechnet.

      Was waren damals Siegenthalers Grundideen? »Wir haben zum Beispiel die Bereiche Technik, Taktik, Kondition nicht einzeln, sondern als Ganzes unterrichtet«, erzählt er. »Wir haben auch mit polysportiven Trainingseinheiten angefangen, das waren Lehrgänge mit Badminton, Hockey, Handball oder Basketball. Wir haben versucht, die Trainer dafür zu begeistern, Elemente aus anderen Sportarten einmal im Monat ins Training einzubauen. Andere Bewegungsabläufe zu erlernen ist für Achtbis Zwölfjährige sehr wichtig. Wir haben auch nach einer einheitlichen Spielphilosophie ausgebildet. Alle Teams spielen nach dem System 4-4-2, das kennen und können alle in der Schweiz.« Hinter der Trainerausbildung stand der Gedanke, dass man nur dann eine nachhaltige Verbesserung und Erneuerung erreichen kann, wenn bereits Kinder und Jugendliche entsprechend gefördert werden. »Mit besseren Trainern«, beschreibt Siegenthaler seinen damaligen Ansatz, »bekommen wir eine bessere Jugendmannschaft, mit den Erfolgen ein besseres Feedback.«

      Wenn man keine besseren Spieler hat, muss man sie eben besser ausbilden, lautete eine seiner Überzeugungen. Und das versuchte man am besten gleich mit den besten Methoden, die sich in den führenden Fußballländern würden finden lassen. Vorbild Siegenthalers waren vor allem die fortschrittliche Jugendausbildung in Frankreich mit den beiden Aushängeschildern Auxerre und Lyon, das erfolgreiche Wirken von José Pekerman im Jugendbereich des argentinischen Verbandes sowie die Innovationen des späteren Startrainers von Arsenal London, Arsène Wenger, der 1980 als Jugendcoach bei RC Straßburg eingestiegen war. Und weil damals ein Direktor des Schweizer Verbandes großes Verständnis für die Ideen Siegenthalers und seiner Mitstreiter hatte, konnte dort eine Fußballrevolution, wie sie Klinsmann im Jahr 2004 in Deutschland anzetteln sollte, bereits 15 Jahre früher Erfolge feiern. Stichworte wie ballorientiertes Taktiktraining, verbesserte Trainerausbildung oder einheitliche Spielphilosophie von den Jugendteams bis zu den Senioren waren also keineswegs, wie manch ein Klinsmann-Feind vermutete, irgendwelche obskuren Ideen-Importe aus den USA, sondern im fortschrittlichen Fußballland Schweiz bereits seit Jahren eingeübte Selbstverständlichkeiten.

      Nach dem französischen Vorbild begannen Siegenthaler und seine Mitstreiter damit, nun auch in der Schweiz Trainingszentren für Jugendspieler einzurichten. Dort werden seitdem Viererkette, Raumdeckung und eine offensive Grundeinstellung unterrichtet. Zum Beispiel sollen die Spieler lernen, wie man sich konstruktiv aus einer Bedrängnis befreien kann. Das Ziel: in jeder Situation eine offensive Handlungsoption zu erreichen und Hilfslösungen wie Querspielen, Rückpässe oder Befreiungsschläge zu vermeiden. Aber die Schweizer Trainer-Macher richteten ihr Augenmerk nicht nur auf das rein Fußballerische. Auf eine gute schulische Ausbildung, teils durch externe Lehrer, legte man ebenso großen Wert, weitere Themenfelder waren die Förderung sozialer Intelligenz sowie die gezielte Persönlichkeitsbildung. »Im modernen Fußball sind mentale Fähigkeiten gefragt, die man eben nicht auf dem Fußballplatz erlernt«, so Siegenthaler, »sondern in der Schule«. Ein guter Fußballspieler, betont er, müsse sehr intelligent sein. »Die koordinativen Fähigkeiten unter Druck zu benutzen und in Sekundenbruchteilen Entscheidungen zu treffen, ist eine Art von Intelligenz, die sogar überdurchschnittlich sein kann.« Fußballspieler müssen die ihnen gestellten Aufgaben konzentriert und systematisch angehen. Und daneben geht es auch darum, besser mit Verletzungen umzugehen, mit dem Umfeld, mit der Presse, mit der eigenen Zukunft und überhaupt ein bewusstes und selbst kontrolliertes Leistungssportler-Leben zu leben, um regelmäßig seine Höchstleistung abrufen zu können.

      Neben den kognitiven Fähigkeiten richtete Fußball-Mastermind Siegenthaler seine Aufmerksamkeit vor allem auf die emotionalen Gegebenheiten. Emotionen können Spiele entscheiden, ist er überzeugt. Das gelte nicht nur für die augenblickliche Verfassung einzelner Spieler, sondern für das gesamte Team. Daher müsse man wissen, wie sich eine Elf unter Druck verhält, wie sie den Ball erobert oder wie sie antwortet, wenn sie in Rückstand gerät, kurz: wie sich ihre Mentalität fußballerisch ausdrückt. Es sei also äußerst nützlich, in dieser Hinsicht den jeweiligen Gegner zu studieren, aber auch das eigene Team auf mögliche schwierige Situationen vorzubereiten, einen »Matchplan für alle Eventualitäten« zu haben. Denn unter Druck, so Siegenthaler, würden alle Mannschaften auf das zurückgreifen, was sie im Grunde ausmacht. Im Fall Deutschland hieß das zum Beispiel jahrzehntelang, nur noch quer zu spielen und weite Bälle nach vorne zu schlagen.

      Siegenthaler hatte ein richtungsweisendes Konzept, einen breiten Ansatz und viele interessante Ideen. Schade war nur, dass das Spielerreservoir der Schweiz qualitativ nie ausreichte, um auf internationalem Parkett große Erfolge feiern zu können. Als Trainerausbilder in Magglingen, erzählt Siegenthaler, habe er zusammen mit den anderen Ausbildern immer wieder an der »perfekten« schweizerischen Nationalmannschaft herumgetüftelt. »Kann man den Nachteil der unterschiedlichen Sprachregionen nicht in einen Vorteil verwandeln? Wenn wir die Tessiner in die Verteidigung stellen, die Deutschschweizer rennen, die Welschen zaubern und das Spiel gestalten lassen – dann hätten wir eine gute Mannschaft. So haben wir damals herumspekuliert.« Das schweizerische Dreamteam blieb ein Hirngespinst der Magglinger Fußballintellektuellen. Aber immerhin sollte Siegenthaler einen Teil seiner Träume beim deutschen Sommermärchen 2006 und vor allem bei den Zaubernächten im südafrikanischen Winter von 2010 verwirklicht sehen.

      KAPITEL 3

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      Der (zu) nette Herr Löw

      oder: Aufstieg und Demontage eines Trainer-Neulings

      1995/96 war die erste Bundesliga-Spielzeit, in der es drei Punkte pro Spiel gab. Es waren drei statt zwei Auswechslungen erlaubt. Die Spieler trugen erstmals feste Rückennummern. Und es war die Saison, in der Joachim Löw als Co-Trainer des VfB Stuttgart sein Debüt gab. Auf diesem Posten war er die Wunschbesetzung des neuen VfB-Coaches Rolf Fringer. »Ich kannte seine Einstellung, seine Seriosität und seinen Willen, sich zu verbessern«, begründete Löws Schaffhausener Ex-Trainer seine Wahl. Außerdem sei er »ein ganz vernünftiger Kerl und kein Blender«. Der Kontakt war nach seinem Weggang in Schaffhausen nie abgerissen. »Als dann das Angebot von Stuttgart kam«, schildert Fringer die damalige Situation, »habe ich mich dafür eingesetzt, dass er bei seinem damaligen Verein FC Frauenfeld aus dem laufenden Vertrag kommt.« Also zog Löw

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