Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel. Christoph Bausenwein

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Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel - Christoph Bausenwein

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der FC Schaffhausen in der Nationalliga B/Ost. Der nebenberufliche A-Junioren-Trainer Löw glänzte dort im Herbst seiner Karriere als Kapitän, Spielmacher und Torjäger. Sein ehemaliger Mitspieler René Weiler erlebte ihn als »absolute Persönlichkeit«, als Musterprofi mit Rückgrat. Der Kapitän hatte klare Ansichten und scheute sich auch nicht, seine Meinung dem damaligen Trainer Wolfgang Frank unmissverständlich vorzutragen. Das bestätigt auch Giorgio Contini, damals ein hoffnungsvolles Stürmertalent. Sein Kapitän Löw, dessen taktisches Verständnis das seiner Mitspieler weit überstiegen habe, habe die Dinge oft selber in die Hand genommen und keine Auseinandersetzung mit dem Trainer gescheut. Manchmal freilich sei er auch etwas zu weit gegangen, weiß Contini zu berichten. Einmal hatte der Kapitän den Trainer in der Kabine verbal angegriffen. Jogi habe dann aber schnell eingesehen, dass sowas unmöglich war: »Tags darauf ist er vor der Mannschaft gestanden und hat sich entschuldigt. Ich denke, dies war für seine spätere Trainerkarriere eine wichtige Erfahrung.« Löws große Karriere, meint sein ehemaliger Mitspieler, habe ihn von daher eigentlich gar nicht erstaunt. Schon damals sei klar gewesen, »dass er es einmal weit bringen würde«. Dem Stürmer-Kollegen Patrik Ramsauer ist vor allem der coole Vollstrecker in Erinnerung geblieben: »Ich wurde häufig im Strafraum gelegt, und Jogi Löw erzielte per Elfmeter das Tor.« Beeindruckt hat Ramsauer aber auch der schier unstillbare Wissensdurst seines Kapitäns: »Er hat die Fußballzeitschriften wie den ›Kicker‹ richtiggehend auswendig gelernt, er wusste einfach alles.«

      1994 wäre der »Kicker«-Fachmann beinahe von der Winterthurer »Schützenwiese« zum nahegelegenen »Reitplatz« des kleinen FC Töss gewechselt. Dort hatte man mitbekommen, dass der Winterthurer Kapitän ins Trainergeschäft einsteigen wollte. »Obwohl ich das Mittagessen im Restaurant Wiesental in Ohringen berappte und ihm ein Klubheft mitgab, erhielt ich zwei Tage später eine Absage«, erinnert sich der Tössener Präsident Müller. Joachim Löw übernahm stattdessen als Spielertrainer den drittklassigen FC Frauenfeld (er spielte in der den Nationalligen A und B nachgeordneten 1. Liga).

      Der neue Spielertrainer aus Deutschland hatte in der Saison 1994/95 maßgeblichen Anteil daran, dass die im Vorjahr beinahe abgestiegenen Thurgauer hinter dem SC Brühl und dem FC Altstetten in ihrer Liga einen respektablen dritten Rang belegten und damit die Teilnahme an der Aufstiegsrunde in die Nationalliga B nur knapp verpassten. Mit dabei in Frauenfeld waren auch zwei Weggefährten aus der Winterthurer Zeit. Urs Egli assistierte im Training, Stürmer Contini sorgte für die Tore. Nach einer schwierigen Saison mit dem FC Winterthur, wo man ihn aussortiert hatte, stand Continis Karriere damals auf der Kippe. Der erst 20-jährige Stürmer war bereits dabei, seinen Traum von der großen Karriere zu beerdigen. Aber dann wurde er in Frauenfeld unter der Anleitung Löws Torschützenkönig der 1. Liga. Contini schaffte den Sprung in die Nationalliga A zum FC St. Gallen. Dort wurde er im Jahr 2000 Schweizer Meister und kurz darauf auch Nationalspieler. »Eigentlich habe ich es nur dank Löw so weit geschafft«, ist sich Contini sicher. Löw habe die besondere Qualität, einen Spieler starkzureden und ihm Selbstvertrauen einzuimpfen. Besonders beeindruckt habe ihn die Sozialkompetenz des späteren Bundestrainers. »Als Trainer des FC Frauenfeld verstand er es, den Spielern die Freude am Fußball zu vermitteln – egal welche Probleme diese von der Arbeit oder von zu Hause ins Training mitgenommen haben.« Diese Fähigkeit war bemerkenswert für einen derart jungen Trainer, der mit seinem Job gerade erst begonnen hatte. »Er hat eine große Ausstrahlung, ohne überheblich zu wirken«, urteilt Contini über den Bundestrainer bei der WM 2010. Sicherlich werde Löw von den deutschen Nationalspielern genauso geschätzt und respektiert wie damals von seinen ersten »Schülern« in Frauenfeld. Er persönlich jedenfalls, so Contini, habe während der WM in Südafrika oft an den Jogi von damals denken müssen. »Wenn ich sehe, wie bei dieser WM Miroslav Klose aufblüht, kommt mir meine eigene Geschichte in den Sinn.«

      Parallel zu seinem Job in Frauenfeld hatte Löw in Magglingen seine Ausbildung als Fußballtrainer vorangetrieben. Er war gerade dabei, den letzten und entscheidenden Schein in Angriff zu nehmen, der ihm die Profilizenz verschaffen würde, da wurde dieser Plan durch ein Angebot seines Ex-Lehrers Fringer durchkreuzt. Fringer hatte in diesem Sommer 1995 soeben ein Angebot des VfB Stuttgart angenommen und benötigte noch einen Co-Trainer. Ob er, Löw, nicht Lust habe dazu? Die Entscheidung sei ihm nicht leicht gefallen, meinte der 35-Jährige. In Frauenfeld würde er selbstständig arbeiten können, außerdem hatte er sich bereits ein Konzept für die nächsten Jahre ausgedacht. Hier würde er in aller Ruhe seine Idee vom Fußball entwickeln können, zudem stand er beim Verein im Wort. Aber die Chance, nun in der Bundesliga Fuß zu fassen, wollte er sich dann doch nicht entgehen lassen. Klar war ja, dass er keinesfalls auf der »Kleinen Allmend«, wie das Mini-Stadion in Frauenfeld heißt, versauern wollte. Klar war andererseits auch, dass er seine künftige Rolle nicht in der Position des Assistenten sah. Aber das musste er als Übergangsphase wohl hinnehmen, um sein Ziel zu erreichen: Cheftrainer zu werden bei einem großen Bundesligaverein.

      EINWURF

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      Die Trainerschmiede Magglingen

      Die Lektionen, die Joachim Löw von Rolf Fringer erhalten hatte, konnte er während seiner Trainerausbildung in der schweizerischen Sportschule Magglingen vertiefen. Hier liegt denn auch die eigentliche Quelle für die späterere »Helvetisierung« der deutschen Nationalelf. Denn Magglingen war in den 1990er Jahren, was die Ausbildung von Fußball-Lehrern und die Vermittlung von Lehrmethoden betraf, eine Hochburg der Innovation und ein Geheimtipp für Eingeweihte. Leiter der Trainerausbildung war damals ein Mann, den heute in Deutschland jeder Fußballinteressierte kennt: Urs Siegenthaler. Jener Mann also, den man im Mai 2005 unter dem Titel »Chefscout« in Klinsmanns Trainerteam holen und der eine wichtige Rolle bei der »Fußballrevolution« im DFB übernehmen wird. Er sei stolz darauf, wird er sagen, dass ihn »aufrichtige, innovative Leute« unbedingt hätten haben wollen. Andere Experten werden den damals nahezu unbekannten, eher introvertierten und öffentlichkeitsscheuen Taktikfuchs als schweizerisches Kuriosum belächeln, im Team jedoch wird man ihn sehr gut aufnehmen. Denn Joachim Löw, der in der Schweiz sozialisierte Trainer, wird bis dahin seine Aufklärungsarbeit bereits geleistet und deutlich gemacht haben, dass man in dem Alpenland fußballerisch nicht hinter dem Mond lebt.

      »Wenn ich die deutsche Nationalelf spielen sehe«, sagte im Jahr 2007 der damalige Bundesligatrainer Marcel Koller, »dann erkenne ich die Handschrift von Joachim Löw – und die von Urs Siegenthaler.« Der Schweizer Koller, langjähriger Trainer des VfL Bochum, kennt sich aus. Denn er war wie Löw – und übrigens auch Ottmar Hitzfeld – einst im schweizerischen Magglingen vom Trainerausbilder Urs Siegenthaler unterrichtet worden. Ein weiterer Siegenthaler-Schüler ist Martin Andermatt, der 1999 als Nachfolger Ralf Rangnicks den Aufstieg des SSV Ulm bewerkstelligte. »Eine legendäre Trainerausbildung war das«, schwärmt Andermatt noch heute. Vom akribischen Tüftler Siegenthaler, der »keine Halbheiten« geduldet habe, sei man da auf den neuesten taktischen und trainingsmethodischen Stand gebracht worden.

      Wer aber ist dieser Urs Siegenthaler? Die Rahmendaten: Geboren 1947 in Basel, spielte als Verteidiger hochklassig mit dem Erstligisten FC Basel, war fünfmal Schweizer Meister, schloss ein Studium als Bauingenieur ab, gründete 1970 die »Urs Siegenthaler AG« in Basel, eine Firma für Mess-, Steuer- und Regeltechnik. Der Brotberuf allein füllte den fußballverrückten Ex-Profi Siegenthaler jedoch nicht aus. 1978 ging er an die Sporthochschule Köln, um dort seinen Trainerschein zu machen. »Er war sehr ehrgeizig, hat früh über den Zaun geschaut, sich für andere Kulturen und Sportarten interessiert«, erinnert sich der Ausbildungsleiter Gero Bisanz, sein Schweizer Schüler sei »forsch, selbstbewusst und diskussionsfreudig« gewesen. Ein wenig glich er wohl dem jungen Joachim Löw, als der in Magglingen seine Trainerausbildung aufgenommen hatte. Einem der dortigen Instruktoren, Roland Frei, ist der heutige Bundestrainer als besonders aufgeweckter Schüler in Erinnerung geblieben: »Mir ist damals aufgefallen, wie wissbegierig er war.«

      Joachim Löw war auch stets einer der Fleißigsten.

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