Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel. Christoph Bausenwein

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Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel - Christoph Bausenwein

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die eine für damalige Verhältnisse recht üppige Ablöse von 500.000 DM hinlegten. Er hatte nun glänzende Perspektiven. Sein letztes Spiel für den SC Freiburg bestritt er am 18. Mai 1980 in Bürstadt. Die Breisgauer gewannen locker mit 5:1. Doch Joachim Löw war beim Abpfiff nicht mehr auf dem Platz: In der 49. Minute hatte er nach einem Ellbogencheck Rot gesehen. Es war ein etwas unrühmlicher Abschied für den normalerweise stets fairen Spieler.

      Während der Vorbereitung zur Bundesligasaison in Stuttgart hinterließen das Talent aus dem Schwarzwald und die zwei weiteren Neuzugänge aus der 2. Liga – Karl Allgöwer von den Stuttgarter Kickers und Dieter Kohnle vom SSV Ulm – in den ersten Testspielen einen guten Eindruck. Während Allgöwer zu einer tollen Karriere durchstartete, hatten jedoch Kohnle und Löw Pech. Denn sie lagen noch vor Saisonbeginn zusammen auf Zimmer 544 des Stuttgarter Katharinenhospitals. Kohnle mit Kapsel- und Bänderriss, Löw mit Schienbeinbruch. Jürgen Sundermann bedauerte den Ausfall seiner beiden Talente: »Beide hatten sich mit großem Ehrgeiz hineingekniet, waren auf dem besten Wege, versprachen viel.«

      Vier Tage vor dem ersten Ligaspiel hatte Löw das Schicksal in Gestalt des englischen Nationaltorhüters Ray Clemence ereilt. Es war schon etwas kurios. Löw hatte bis dahin immer à la Paul Breitner mit heruntergezogenen Stutzen gespielt. Ohne Schienbeinschoner. Nach dem Wechsel zum VfB war dann die Anweisung von Trainer Jürgen Sundermann ergangen: »Stutzen unten geht nicht mehr, verboten. Schienbeinschoner anziehen!« Balltechnisch begabte Spieler wie Joachim Löw hassten Schienbeinschoner. Aber er gehorchte und zog sie sich an. Und dann passierte es: »Mein allererstes Spiel mit Schienbeinschoner, ein Vorbereitungsspiel gegen Liverpool: Schienbeinbruch! Ich bin von der Mittellinie alleine auf den Torwart zugelaufen, den Ball ein bisschen zu weit vorgelegt – dann tritt Ray Clemence auf mein Standbein.«

      Diese 13. Minute im Stuttgarter Neckarstadion beim letzten Vorbereitungsspiel zur Saison 1980/81 hatte schwerwiegende Folgen. »Bis vor meinem Schienbeinbruch war ich überragend, wirklich gut«, erinnert sich Löw. Es war ein komplizierter Bruch. Vier Wochen lag er im Krankenhaus, insgesamt acht Wochen trug er Gips: »Mein Oberschenkel hatte danach den Umfang meines Oberarms.« Es dauerte Monate, bis er wieder einigermaßen belastbar war. Am Ende der Saison wagte er vier Einsätze. Aber es war nicht mehr so wie zuvor. »Ich war nicht mehr so schnell, das war das Problem. Und ich hatte Angst.« Aber noch gab es Hoffung. Er war ja gerade erst 21 Jahre alt geworden. Hätte die Verletzung eine Fortsetzung der Fußballkarriere nicht mehr zugelassen, hätte er vermutlich eine Tätigkeit in seinem gelernten Beruf aufgenommen, überlegt Joachim Löw heute. Oder er hätte früher mit seiner Trainerausbildung begonnen.

      Der Vorgänger von Jürgen Sundermann, Lothar Buchmann, arbeitete inzwischen bei der Frankfurter Eintracht. Er hatte Löw schon zu seiner Zeit beim VfB als entwicklungsfähiges Talent ins Auge gefasst und holte ihn nun als Leihspieler. Das Geld für einen Kauf besaß der amtierende deutsche Pokalsieger nicht, den damals immense Schulden drückten. Buchmann stellte Löw als möglichen Nachfolger für Bernd Hölzenbein vor, den Weltmeister von 1974. Der Schwarzwälder sei ein schneller und trickreicher Offensivspieler mit Torriecher, behauptete er. Und er wagte sogar einen direkten Vergleich: »Ein Talent wie Allgöwer.« Das war eine gewaltige Hypothek. Und nicht wenige Beobachter in Frankfurt waren skeptisch. Umso erstaunlicher war es, dass er in der Vorbereitung durchaus zu überzeugen wusste. In einem mit 6:1 gewonnenen Testspiel gegen eine Auswahl St. Margarethen/Höchst erzielte er respektable vier Treffer, gegen AS St. Etienne in Paris zeigte er ebenfalls eine ansprechende Leistung. Die »Abendpost« schrieb: »Joachim Löw trug als zweite Sturmspitze Bernd Hölzenbeins hinterlassene Nummer 7. Eifrig, fleißig, immer bereit, sich anzubieten, und immer gewillt, den Ball sofort wieder abzugeben, bemühte Löw sich an die neue Umgebung zu gewöhnen.« Trainer Buchmann sah sich in seiner Einschätzung bestätigt: »Ich habe immer an Löw geglaubt und ich wusste, dass er genau in unser Frankfurter Konzept passen würde. Deshalb habe ich mich für ihn stark gemacht.« Löw selbst war ebenfalls zuversichtlich: »Das komplizierte, vertrackte Passspiel der Frankfurter liegt mir. Ich bin kein Dauerläufer. Ich hab’ den Ball lieber flach, passe mich den Nebenleuten an, gehe auf ihre Ideen ein, wenn ich so viel Verständnis wie von meinen neuen Kameraden finde.«

      Aber würde er dem harten Bundesliga-Alltag gewachsen sein? Im Vorbericht der »Bild« zum ersten Saisonspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern meinte der Neu-Frankfurter: »Ich konzentriere mich zwar auf das Spiel, habe mir auch schon ausgemalt, wie ich gegen Kaiserslautern ein Tor schießen könnte, aber ein Hölzenbein-Trauma gibt’s bei mir nicht. Ich bin nicht der Holz. Ich bin der Löw.« Tatsächlich erzielte er im Spiel gegen die »Roten Teufel« (Endstand 2:2) die 1:0-Führung. »Bei meinem Tor hab’ ich nicht überlegt, sondern einfach draufgehalten«, berichtete er in seinem ersten Interview als Bundesliga-Torschütze. Sein Trainer war begeistert von dem feingliedrigen Stürmer. Der Jogi sei »eine echte Verstärkung«, meinte er, man werde »noch viel Freude« an ihm haben. Bei Lothar Buchmann, im Vergleich zum Disziplinfanatiker Sundermann ein eher väterlicher Trainer, schien Löw in guten Händen. Doch der stets etwas schüchtern wirkende 21-Jährige sollte in der Folgezeit kaum einmal besonders auffällig werden, obwohl er meist in der Startelf stand. Ab und zu deutete er seine Qualitäten an, meist aber bewies er wenig Durchsetzungsvermögen. Da auch seine Kondition zu wünschen übrig ließ, wurde er fast immer ausgewechselt – ob im Europapokal gegen Saloniki, im DFB-Pokal gegen Brunsbüttel oder in der Bundesliga. Erst am 10. Spieltag, beim 2:1 gegen Bielefeld, gelang ihm wieder ein Treffer. Doch auch in diesem Spiel hatte er nicht wirklich überzeugt. Er müsse mehr aus sich machen, insisistierte der Trainer, vor allem müsse er zweikampfstärker werden.

      Löw schien sich diese Kritik zu Herzen zu nehmen. Er traf beim 2:3 im Auswärtsspiel in München gegen die Bayern und beim folgenden 3:1-Heimspielsieg gegen Bayer Leverkusen. Sein Treffer gegen die Werkself war sehenswert: Auf Höhe der Mittellinie schnappt er sich den Ball, setzt zu einem fulminanten Spurt an, zieht dann aus 20 Metern satt ab – und die Kugel zischt in den Winkel. Mit drei Treffern in drei aufeinanderfolgenden Spielen schien Löw auf dem besten Weg, sich in der Bundesliga durchzusetzen. Aber es war nur ein Strohfeuer. Er kam in dieser Saison noch zu 13 weiteren Einsätzen, ins Netz traf er jedoch nur noch ein einziges Mal. Beim 4:2 gegen den 1. FC Köln am 21. Spieltag verwandelte er einen Elfmeter.

      Seine Bilanz nach einem Jahr Frankfurt fiel somit recht mager aus: 24 Bundesligaspiele, nur drei davon über die volle Distanz, fünf Tore. Es zeichnete sich immer deutlicher ab, dass sein Talent für die Bundesliga nicht ausreichen würde. Er war zu langsam und zu wenig durchsetzungsfähig, zudem vor dem Tor insgesamt zu harmlos. Zum Ende der Saison wurde er nicht einmal mehr bei Freundschaftsspielen berücksichtigt. Als er während einer Bundesligapause im März 1982 in Kassel zur Halbzeit ausgewechselt wurde, soll er sich frustriert in der Kabine eingeschlossen haben. Womöglich hatte er sich bei der Eintracht am Ende doch zu wenig angestrengt, sollte er Jahre später einräumen. Letztlich habe sein Scheitern in Frankfurt »schon irgendwie« an ihm selbst gelegen, da wolle er »nichts beschönigen«.

      Im Juni 1982 kam folgerichtig die Zurückstufung. Ein frustrierter Joachim Löw kehrte wieder zurück in die 2. Liga zum SC Freiburg, der für seinen nun als erstliga-untauglich abgestempelten Ex-Spieler immerhin noch 350.000 DM auf das Konto der Eintracht überwies. Die Investition lohnte sich. Unter dem ehemaligen Bayern-Spieler Werner Olk, den die Breisgauer eben erst als neuen Trainer verpflichtet hatten, bekam der jetzt mit reiferer Spielanlage überzeugende Offensivspieler sein Selbstvertrauen zurück. Joachim Löw avancierte zum Spielgestalter und entscheidenden Mann beim SC. Am Ende seiner ersten Saison hatte er sämtliche 34 Spiele bestritten und acht Tore geschossen. 1983/84, nun unter dem Trainer Fritz Fuchs, lief er zu noch größerer Form auf: Ihm gelangen in 31 Spielen 17 Tore. Er war damit, als Mittelfeldspieler, der beste Torschütze seines Teams und der fünftbeste in der Liga. Nun stand fest: In der 2. Liga konnte er bestehen, von seinen fußballerischen Möglichkeiten her und auch als Torjäger. Dort konnte er seine Technik ausspielen, die er in der höchsten Spielklasse wegen seiner körperlichen und kämpferischen Defizite nicht so zur Geltung hatte bringen können.

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