Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel. Christoph Bausenwein
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel - Christoph Bausenwein страница 9
Wenn er dann auch noch mit schlechten Manieren konfrontiert wird, kann Joachim Löw ziemlich ungehalten werden. Als Prominenter, so seine Erfahrung, habe man es mit drei Arten von Leuten zu tun. Nämlich mit freundlichen, aufdringlichen und unverschämten. Vor allem diejenigen, die unhöflich und respektlos ein Gespräch stören, ärgern ihn. Im Laufe der Zeit habe er sich daher eine Art »seelische Ritterrüstung« angelegt; heute könne er dazu stehen, nicht mehr alles an sich heranzulassen, auch mal distanziert oder abweisend zu sein.
Je prominenter er als Bundestrainer wurde, desto mehr freute er sich auf einen Urlaub in der Anonymität und desto besser konnte er nachvollziehen, »warum der Jürgen gerne in den Flieger gestiegen ist. Sich zurückziehen, sich völlig frei bewegen können, das ist schon angenehm.« Besonders belastet es ihn, wenn die Neugier der Jogi-Jäger sich ausbreitet, wenn Familienmitglieder und sogar Nachbarn seinetwegen belästigt werden. Daher versucht er immer konsequenter, sich und alle Bekannten und Verwandten bestmöglich abzuschirmen. Besonders seine Frau Daniela, geborene Schmid. Tatsächlich gelang es, dass über sie kaum etwas bekannt wurde. Kaufmännische Lehre, als Buchhalterin bei einer Autovermietung tätig, in erster Ehe seit 1986 verheiratet, keine Kinder – das war’s dann schon.
Die beiden Eheleute treten kaum einmal gemeinsam in der Öffentlichkeit auf. Sie sind alles andere als ein sich ins Rampenlicht drängendes Glamour-Paar. »Sie lebt ihr eigenes Leben«, sagt Löw. »Sie will nicht als die Frau des Bundestrainers durch die Gegend laufen.« Warum sollte man auch, meint er, Beruf und Privatleben zusammenzwingen? »Ein Sparkassen-Angestellter nimmt seine Frau auch nicht mit in die Bank.« Bei großen EM- und WM-Turnieren telefoniere er zwar täglich mit seiner Frau, fußballspezifische oder gar taktische Fragen würden da jedoch nie zum Thema. Sie habe Interesse am Fußball, aber wirklich Ahnung habe sie »natürlich nicht«. Das sei aber auch nicht nötig: »Es gibt ja noch was anderes zu bereden.« Zuhause will er auch mal eine Pause haben vom Fußball, seine eigenen vier Wände schätzt er als eine Insel der Zweisamkeit, der Entspannung und der Muße, als eine Oase, in der man aber auch mal getrennt seinen Neigungen nachgehen kann, etwa mittels zweier Fernsehgeräte, wenn er doch mal Fußball gucken will und seine Frau lieber »Sex and the City«. Viel mehr spricht Löw nicht über seine Frau, nur das Geheimnis seiner Ehe verrät er: »Treue ist wichtig.«
Joachim Löw hat sogar die Veröffentlichung von Fotos seiner Frau verboten. Als die »Bild« während der EM 2008 Schnappschüsse seiner Daniela veröffentlichte – sie hatte das Kroatien-Spiel im Stadion besucht –, empfand er das als Tabuverletzung. »Das war nicht gewünscht. Meine Frau möchte nicht in die Öffentlichkeit. Sie ist eigentlich immer im Stadion. Jetzt ist diese Situation dargestellt worden. Ich war überrascht davon und es war mir nicht recht.« Dadurch, dass alles Private an die Öffentlichkeit gezerrt werde, sei das Amt des Bundestrainers schon auch eine Last, beklagt er sich. »Sportlich gesehen spüre ich es weniger, aber in dieser Hinsicht schon. Das ist einfach ein Eingriff.«
KAPITEL 2
Als Lehrling in der Schweiz
oder: Ein Erweckungserlebnis in der Fußballprovinz
Vor der EM 2008 bezog der DFB-Tross unter dem Bundestrainer Joachim Löw Quartier im Hotel Giardino in Ascona am Lago Maggiore. Ausgesucht hatte man es bereits zu einem Zeitpunkt, als die Gruppengegner und Spielorte noch gar nicht bekannt waren. So kam es zu dem eigentlich unglücklichen Zusammentreffen, dass die im Süden der Schweiz wohnende deutsche Auswahl in den Flieger steigen musste, um zu den im östlichen Österreich liegenden Stadien zu gelangen, in denen ihre Vorrundenspiele angesetzt waren. Ein schlimmer Planungsfehler, möchte man meinen. Halb so schlimm bzw. gar nicht schlimm, meinte hingegen der Bundestrainer Löw. Er wollte eben einfach gern in der Schweiz wohnen. Weil es im Tessin so ruhig ist. Und natürlich auch – aber das sagte er so natürlich nicht –, weil er eine besondere Beziehung zur Schweiz hat. Der Trainer Löw ist in der Schweiz sozialisiert worden, ja man könnte sagen, ohne Löws Schweizer Erfahrung wäre aus dieser Nationalmannschaft niemals jene geworden, die sie heute ist. Die fulminante Entwicklung der deutschen Nationalelf in den letzten Jahren lässt sich nicht nachvollziehen, wenn man nicht auf das besondere Verhältnis ihres Trainers zur Schweiz eingeht. Geboren ist Löw zwar in Baden, seiner Seele nach ist er aber auch ein Gefühlsschweizer.
Worum es bei diesem helvetischen Einfluss geht, konnte man bereits im Genfer Trainingslager vor der WM 2006 erleben. Löw war damals noch Assistent und als solcher für die taktische Neuausrichtung des Teams zuständig. Einmal ließ er die deutsche Elf testhalber gegen die U17 von Servette Genf antreten. Die deutschen Elitekicker gewannen standesgemäß mit 12:0. Aber der Sieg war den Klinsmännern schwerer gefallen als gedacht. Ungefähr eine halbe Stunde lang hatten die Schweizer Jugendlichen sehr gut standgehalten. Ihre Viererkette funktionierte, das gesamte Team beherrschte das ballorientierte Verschieben mit schlafwandlerischer Sicherheit. Deutsche Beobachter waren verblüfft. »Das kann hier in der Schweiz jede U17«, erklärte Löw. Und er sah sich bestätigt in dem, was er seit seiner Ernennung zum Bundestrainer-Assistenten immer wieder gepredigt hatte: dass der deutsche Fußball sich öffnen müsse und endlich reagieren müsse auf taktische und trainingsmethodische Änderungen im internationalen Fußball.
Der Assistent Löw zeigte sich 2006 in Genf als akribischer Arbeiter, der sich nicht davor scheut, selbst mit routinierten Profis noch das Fußball-Einmaleins zu üben. »Wir müssen in Deutschland lernen, im Training noch seriöser zu arbeiten. Das sind oft einfache Dinge«, bemerkte er. Und so ließ er gestandene Nationalspieler wie Arne Friedrich, Per Mertesacker, Christoph Metzelder und Philipp Lahm die Grundlagen einer Vierer-Abwehrkette üben – also das, was die U17 von Servette bereits sehr gut beherrschte.
Dieses Spiel war eine Art Anschauungsunterricht für das, was er tags zuvor bei einer Pressekonferenz ganz im Geiste Rudi Völlers erklärt hatte. Die Ansprüche der sogenannten Experten an den deutschen Fußball seien im Verhältnis zu dessen überschaubarer Qualität viel zu hoch, in Deutschland sei die Ausbildung rückständig. Die Quintessenz also: »Wenn einer die Grundrechenarten nicht beherrscht, kann man auch nicht sagen: Du wirst später mal Professor.« Als der Satz fiel, lachten die Journalisten. Aber Löw meinte es durchaus ernst. Die deutsche Nationalmannschaft, wollte er damit sagen, beherrsche nicht einmal die Grundrechenarten. »Wir üben hier elementare Dinge, die eigentlich zum Trainingsprogramm jeder U16 oder U17 gehören.« Er musste also nachholen, was man in Deutschland jahrzehntelang versäumt hatte. Nämlich Fußballspielern eine Grundausbildung verpassen. Ihnen zeigen, wie eine Viererkette funktioniert, wie man sich ballorientiert verschiebt, wie man mit vertikalen Kurzpässen das Spiel eröffnet. Und so ließ Löw die ihm anvertrauten Bundesligastars üben wie ABC-Schüler: Abstände einhalten, Verschieben, die richtigen Laufwege antizipieren. Immer wieder. Verschieben! – Laufwege, Abstände einhalten – Verschieben! – Laufwege, Abstände einhalten – Verschieben! – Laufwege, Abstände einhalten …. und so weiter und so weiter. Damit sie es irgendwann so gut beherrschen würden wie eine Schweizer U17.
Und irgendwann, in den Pausen zwischen dem Üben, erklärte er seinen Spielern wie einst Klinsmann die Vorteile der Viererkette, vielleicht in zwei Minuten, etwa so:
Die Viererkette ist ein Defensivsystem, in dem jeder der vier Abwehrspieler in der Grundformation etwa ein Viertel der Spielfeldbreite abdeckt. Jeder orientiert sich im Raum und am Mitspieler; Gegenspieler, die ihre Position wechseln, werden übergeben; die Kette verschiebt sich kompakt, immer am Ball orientiert. Die Vorteile: Erstens: Da er sich im Raum und am Mitspieler orientiert, weiß jeder Abwehrspieler immer, wo er verteidigen muss. Zweitens: Weil die Verteidiger auf Manndeckung verzichten und die Laufarbeit rochierender Gegner nicht mitmachen, sparen sie Kraft. Drittens: Durch das kollektive Verschieben zum Ball – nicht nur in die Breite, sondern auch