Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel. Christoph Bausenwein

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Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel - Christoph Bausenwein

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Sommer, erklärte er im August bei seinem Amtsantritt als Co-Trainer, wolle er in der Schweiz noch seinen letzten Trainerschein machen. Dann sei er auf dem Stand des Fußball-Lehrers des DFB. Denn: »Klar ist mein Ziel, Cheftrainer zu werden.«

      Die VfB-Führung um den mächtigen Präsidenten Gerhard »MV« Mayer-Vorfelder versprach sich viel vom Schweiz-Import Fringer. Denn mit Trainern aus dem südlichen Nachbarland – Helmut Benthaus (Meister 1984) und Jürgen Sundermann (Aufstieg 1977, Vizemeister 1979) – hatte man schon durchaus gute Erfahrungen gemacht. Fringer hatte mit dem FC Aarau 1993 einen Meistertitel geholt; warum sollte ihm das, so wurde spekuliert, nicht auch in Stuttgart gelingen. Schließlich galt der Mann, der am Spieltag stets mit Anzug und Krawatte erschien, als ein Meister der Taktik. In der Führungsetage war man überzeugt davon, dass er der unter anderem mit Spielmacher Krassimir Balakov und Abwehrchef Frank Verlaat wesentlich verstärkten Mannschaft einen modernen und erfolgreichen Fußball beibringen würde.

      Fringer führte die Viererkette und die Raumdeckung ein und forderte von seinen Spielern die bedingungslose Unterordnung unter das System. In der Umsetzung seiner Neuerungen wurde er von seinem Assistenten tatkräftig unterstützt. Joachim Löw, so zeigte sich rasch, war kein Hütchenaufsteller, sondern ein selbstbewusster Teamarbeiter. Er war stets loyal, hatte aber auch eine eigene Meinung und trug mit seiner akribischen Arbeitsweise viel zur Trainings- und Spielvorbereitung bei.

      Die Ergebnisse freilich, die das innovationsfreudige Trainerteam aus der Schweiz generierte, waren zunächst irritierend. Geschwächt nicht zuletzt durch das Fehlen eines erfahrenen Torwarts – Eike Immel war zu Beginn der Saison verkauft und durch den jungen Marc Ziegler ersetzt worden –, flog der VfB im Pokal gegen den SV Sandhausen raus (13:14 im Elfmeterschießen) und musste in der Bundesliga deprimierende Niederlagen hinnehmen: am 5. Spieltag ein 1:4 im Heimspiel gegen Leverkusen, am 6. Spieltag ein 3:6 in Dortmund, das der »Kicker« als »taktische Trauervorstellung« beschrieb. Doch die Rehabilitation folgte nur eine Woche später, als der VfB die Borussia aus Mönchengladbach mit 5:0 überrannte. In diesem Spiel zeigte die Fringer-Mannschaft ihr großes Potenzial, vor allem in der Offensive, wo das »magische Dreieck« mit Balakov, Bobic und Elber erstmals seine Zauberkünste aufblitzen ließ. Das Team mit dem roten Ring auf der Brust spielte nun konstanter und überzeugte mit erfrischender Spielweise, selbst wenn die Ergebnisse nicht immer stimmten. Eine 3:5-Niederlage in München Ende Oktober kommentierte der Fringer-Assistent Joachim Löw mit den selbstbewusst-süffisanten Worten: »Jetzt haben wir wenigstens dafür gesorgt, dass auch die Münchner mal ein attraktives Spiel gesehen haben.« Zur Winterpause lagen die Stuttgarter hinter den Bayern auf Rang drei.

      Doch dann folgte in der Rückrunde der Einbruch, unter anderem bedingt durch den mehrwöchigen Ausfall von Abwehrchef Verlaat. Der VfB rutschte in der Tabelle immer weiter nach unten, am 22. Spieltag musste er mit dem 0:5 gegen Borussia Dortmund die höchste Heimniederlage der Vereinsgeschichte hinnehmen. Das Trainerteam stand machtlos am Spielfeldrand. Während der Co-Trainer mit der Prinz-Eisenherz-Frisur sich hinter seinem dichten schwarzen Haar, das ihm wie ein Visier vor der Stirn stand, zu verstecken schien, bildete sich im Gesicht des rotblonden Chefs, der vorne gezwungenermaßen offen trug, das schiere Entsetzen ab. Am Ende reichte es immerhin noch für den zehnten Platz.

      Als Ursache für den Absturz diagnostizierte der »Kicker« die instabile Defensive – 62 Gegentreffer waren die zweitmeisten der Liga, zurückzuführen waren sie unter anderem auf den zu Beginn der Saison vollzogenen Torwartwechsel – sowie die nie gelösten Konflikte des Trainers mit wichtigen Führungs- und Stammspielern. Fringers Rauswurf schien schon vor dem Saisonende nur noch eine Frage der Zeit. Einer Kündigung stand jedoch die schwierige finanzielle Situation des Vereins entgegen, und so herrschte eine gewisse Ratlosigkeit. Als der angeschlagene Fringer schließlich vier Tage vor Saisonbeginn, am 13. August 1996, verkündete, dass er Nationaltrainer in der Schweiz zu werden gedenke, atmete der VfB-Präsident auf. Man werde ihm, ließ er verlauten, keine Steine in den Weg legen. Zum vorläufigen Nachfolger wurde der bisherige Assistent Joachim Löw bestimmt. Der stets loyale Co kommentierte den Journalisten in die Notizblöcke, er sei »sehr traurig« gewesen, als sein Chef in die Schusslinie geraten war. Aber da er nun seinen Dienst vorzeitig quittiert hatte, wolle er sich diese Chance natürlich auch nicht entgehen lassen. Wobei er sich allerdings keine allzu großen Hoffnungen machen durfte: Mayer-Vorfelders Wunschtrainer hieß Nevio Scala. Man hatte den beim AC Parma unter Vertrag stehenden Italiener bereits kontaktiert und wartete nur noch auf das Okay von seinem bisherigen Arbeitgeber.

      Der 36-jährige Cheftrainer-Neuling Joachim Löw hatte zur Vorbereitung des ersten Saisonspiels gegen Schalke 04 ganze drei Tage Zeit. In dem zum Spieltag erschienenen Stadionheft versuchte Löw den Schulterschluss mit den Fans. Seit seiner Zeit als Spieler sei er immer eng mit dem VfB verbunden geblieben, er sei »gerne beim Verein« und wolle »auch gerne hierbleiben«. Wer wollte, konnte hier durchaus eine Bewerbung für den Posten des Cheftrainers herauslesen. Um eine Chance zu haben, musste er aber erstmal Erfolge vorweisen.

      Vor dem Anpfiff des Schalke-Spiels machte Löw seine Spieler heiß. »Ganz Deutschland schaut auf euch. Jeder erwartet, dass ihr verliert. Geht raus und beweist, dass ihr als Mannschaft noch lebt!« Und wie die Mannschaft lebte! Am Ende hieß es 4:0, und das ganze Stadion tobte. Was für ein Einstand! Der potenzielle VfB-Trainer Nevio Scala sah es auf der Tribüne und rieb sich verwundert die Augen: »Wieso braucht diese Mannschaft eigentlich einen neuen Trainer? Die spielt doch einen wunderbaren Fußball.« Auch im Umfeld des Vereins kamen Gedanken auf, dass man den sympathischen und im Team respektierten Neuling durchaus behalten könnte, wenn es ihm gelänge, auch die nächsten Spiele ähnlich erfolgreich zu gestalten. Tatsächlich folgten zwei weitere überzeugende Siege – 2:1 gegen Bremen und 4:0 in Hamburg –, die bei Fans und Kommenatoren für Euphorie sorgten. Die »Bild«-Zeitung stellte die rhetorische Frage: »Der nette Herr Löw: Ist er besser als alle Star-Trainer?« Der »Kicker« kürte den Stuttgarter Interimstrainer gar zum Mann des Monats August. »Der 36-Jährige hat die Chance, die er ursprünglich gar nicht hatte, beim Schopf gepackt.« 9:0 Punkte und 10:1 Tore – das konnte selbst der Löw-kritische »MV« nicht ignorieren. »Möglich, dass die Variante Löw eintreten kann«, begann er zu überlegen. Verlockend war die Variante in jedem Fall aus finanziellen Gründen, denn mit seinem Monatsgehalt von 15.000 DM lag der Ex-Assistent nur bei einem Zehntel dessen, was Branchengrößen wie Hitzfeld und Daum verdienten.

      Mayer-Vorfelder stand nun unter Druck, selbst ohne konkrete Forderungen des Cheftrainer-Kandidaten. Die Erfolge, die Begeisterung der Fans, die nun sogar zum Training in Massen kamen, und nicht zuletzt die positive Stimmung der Spieler sprachen für sich. Während Fringer den psychologischen Fehler begangen hatte, die Cliquenwirtschaft in der Mannschaft nicht zu unterbinden und sich damit einige Spieler zum Feind gemacht hatte, schien Löw einen neuen Teamgeist entfacht zu haben. Der frustrierte Bulgare Krassimir Balakov, der den Verein bereits hatte verlassen wollen, lebte wieder auf. Den von Fringer als Störenfried aussortierten Thomas Berthold gliederte er ohne Vorbehalte wieder ein. »Wir können nur gemeinsam Erfolg haben«, lautete die Losung des Trainers. Und die Spieler verstanden sie. »Alle haben begriffen, dass sie ihr Ego zurückstecken müssen«, ließ sich Fredi Bobic vernehmen, außerdem mache das Training endlich wieder Spaß, »weil der Jogi die Mannschaft viel mit einbindet«. Löw legte Wert darauf, die Spieler in langen Gesprächen von seinen Ideen und Maßnahmen zu überzeugen. »Ich glaube, dass es das Wichtigste ist, dass die Mannschaft die fachliche Seite anerkennt«, begründete er sein Vertrauen auf die Kraft der Überzeugung. Eine weitere Erklärung für seinen Erfolg sah er darin, dass er die nach dem Weggang von Fringer unter Zugzwang geratene Mannschaft in die Verantwortung genommen und sie bei ihrer Ehre gepackt hatte. »Das hat eine Eigendynamik entwickelt.«

      Vor dem Auftritt des VfB am 4. Spieltag in Köln fragte die »Stuttgarter Zeitung«: »Schafft es der freundliche Herr Löw mit dem vierten Sieg auf den Chefsessel?« In der Frage schwang ein leichter Zweifel mit. Diesem so jugendlich wirkenden Jogi, diesem Kumpeltyp, der seine Spieler duzte und locker mit ihnen plauderte, diesem sperrigen Moralisten, der sich gegen die Gepflogenheiten der Branche

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