Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel. Christoph Bausenwein
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Ende mit Finale
Trotz aller Querelen war im Saisonendspurt Fakt: Man hatte in der Bundesliga wieder Erfolg und man stand im Finale eines Europacups! Löw hatte den kompletten Kader nach Moskau mitgenommen, um die Gelegenheit des langen Trips nach Russland für die Stärkung des Zusammenhörigkeitsgefühl zu nutzen. Er vertraute nach wie vor auf die Wirksamkeit seines kooperativen Führungsstils, er wollte auch in der Krise seine Überzeugungen nicht verraten. Mayer-Vorfelder freilich verfolgte parallel ebenso konsequent sein Vorhaben, den jungen Trainer von seiner Verantwortung zu entbinden. »Ich mag den Jogi, seine Ehrlichkeit und Offenheit«, behauptete der Präsident und fügte zweideutig hinzu: »Er ist halt noch sehr jung. Aber er hat bei uns so viele Erfahrungen gesammelt, dass er bestimmt ein ausgezeichneter Trainer wird.« Jetzt, so sollte das wohl heißen, war er es noch nicht.
Dummerweise gewann der angeblich noch nicht ausgezeichnete Trainer dann auch noch das nächste Match (2:0 gegen den VfL Bochum am 19. April). Innerhalb von einer Woche hatte er damit drei wichtige Spiele gewonnen. Entertainer Harald Schmidt witztelte, dass der Jogi jetzt vielleicht als Europacupsieger entlassen werde. »MV« hatte ein stetig anwachsendes Problem: Wie sollte er die geplante Entlassung Löws begründen, wenn die Mannschaft weiterhin siegen sollte?
Der Wind drehte sich immer mehr gegen Mayer-Vorfelder. In seiner Ausgabe vom 4. Mai kürte der »Kicker« den Stuttgarter Trainer zum Mann des Monats April. Die Begründung: Er habe den VfB in der Bundesliga im Rennen um den UEFA-Cup-Platz gehalten, zudem habe er sich für das Finale im Europapokal der Pokalsieger qualifiziert. Wie zur Bestätigung gewann der VfB dann sein letztes Saisonspiel gegen Werder Bremen mit 1:0 und sicherte sich damit die Teilnahme am UEFA-Cup. Am Rande des Spiels gab es jede Menge Protestplakate von VfB-Fans, die für ein Bleiben von Löw plädierten (»Alle gegen Schäfer«. »Löw ist o. k., MV zum KSC«). Verantwortung zu tragen sei schwerer, als Plakate zu schreiben, kommentierte ein sichtlich genervter »MV«.
Löw, dessen 1997 geschlossener Zwei-Jahres-Vertrag ja immer noch für ein Jahr gültig war und der nach wir vor keine offizielle Mitteilung des Vereins erhalten hatte, dass man nicht mehr mit ihm plant, machte gute Miene zum bösen Spiel. Tag für Tag hatte der Trainer in den Zeitungen lesen müssen, dass er nur noch befristet geduldet war. Und er blieb immer noch freundlich und nett. Kein böses Wort über seinen Präsidenten kam ihm über die Lippen. »Ich gehe davon aus, dass ich meinen Vertrag bis 1999 erfülle«, erklärte Löw im »Kicker«. Er wollte Haltung zeigen. Und wenn er dennoch gehen musste, dann wollte er vorher auf jeden Fall den größten Erfolg der Vereinsgeschichte unter Dach und Fach bringen. Ein Abschied im Triumph, als moralischer Sieger von der VfB-Bühne abtreten – das wenigstens sollte es sein.
Vor der Finalnacht am 13. Mai in Stockholm gegen den FC Chelsea machte das Team des VfB einen konzentrierten Eindruck. Die Spieler waren guter Stimmung und zuversichtlich. Der Trainer habe »es super verstanden, störende Einflüsse von der Mannschaft fernzuhalten«, meinte Fredi Bobic. Der VfB erwischte keinen glanzvollen Abend, hielt aber gegen die Stars aus London gut mit. Er begann mutig und hatte einige Torchancen, erst allmählich gewann dann Chelsea die Oberhand. Die Entscheidung fiel in der 71. Minute. Nur 17 Sekunden nach seiner Einwechslung markierte Gianfranco Zola das 1:0. Dabei blieb es. Löws Resümee fiel zwiespältig aus: »Eine Siegchance gab es, wenn wir vor der Pause eine der gut herausgespielten Chancen genutzt hätten. Mit hohen Bällen, wie später, hatten wir gegen diese Chelsea-Deckung keine Chance.«
Nach dem Spiel erschien »MV« nicht einmal mehr in der Kabine. Es war der letzte Auftritt von Joachim Löw als Trainer des VfB. Mitgeteilt hatte ihm die vorzeitige Vertragsauflösung freilich noch immer keiner.
Nachrufe und Lehren
Das Ende des VfB-Trainers Löw wurde in der Presse mit durchaus unterschiedlichen Betonungen kommentiert. Die »Sport-Bild« resümierte, dass selten zuvor ein Trainer derart böse über Monate hinweg auf Raten demontiert worden sei. »Löws ›Todesurteil‹ war, dass er immer an das Gute im Menschen glaubte«, schrieb die »Bild« über den Trainer, der zeitweise den »schönsten und attraktivsten Fußball in Deutschland« habe spielen lassen und sicherlich als einer der besten Trainer der Vereinsgeschichte bezeichnet werden müsse. »Es ist die alte Geschichte vom Lehrling, der zum Meister wurde«, hieß es in der »Stuttgarter Zeitung« deutlich unfreundlicher. »Die Mannschaft hat den ehemaligen Co-Trainer in ihrer Euphorie mit hochgespült. Und Spielern weh zu tun, denen er seinen Karrieresprung zu verdanken hat, entspricht nicht Löws Naturell.«
Joachim Löw selbst haderte hernach vor allem mit dem ihm chronisch schlecht gesonnenen Präsidenten. »Es ist für jeden Trainer unheimlich wichtig, dass er von den Chefs absolute Rückendeckung bekommt«, meinte er. »Jeder macht mal Fehler, muss in Kauf nehmen, dass er Schrammen davonträgt. Doch man kann Autoritätsverluste zurückholen, wenn man von oberster Stelle unterstützt wird.« Große Wunden aber seien dennoch nicht zurückgeblieben. Trotz aller Irritationen sei es eine schöne Zeit gewesen, in der er viel gelernt habe. Vor allem, dass ein Trainer »eine Machtposition ausfüllen muss«. Nachhaltig verstimmt blieb er über die gegen ihn betriebene Kampagne »netter Herr Löw«. Das sei »von gewissen Teilen der Presse und einigen Leuten im Verein« gezielt gesteuert worden, war er überzeugt, um seine Entlassung beim VfB zu provozieren. »Ich weiß genau, dass ich nicht zu nett war«, stellte er schon beinahe trotzig fest. Eventuell, gab er zu, habe er manche Entwicklung zu spät erkannt. »Da habe ich vielleicht den Fehler gemacht, dass ich mich zu lange schützend vor manchen Spieler gestellt habe, gerade in der Öffentlichkeit.« Er habe die Konflikte innerhalb der Mannschaft als Kinderkram eingestuft, deswegen nicht wirklich ernst genommen und laufen lassen; sicher hätte er da früher eingreifen müssen. Vielleicht, sollte er Jahre später selbstkritisch sinnieren, war der Schritt zum Cheftrainer für ihn ein paar Jahre zu früh gekommen.
Stolz konnte er jedenfalls auf seine Bilanz sein: Innerhalb von zwei Spielzeiten hatte er mit dem VfB den DFB-Pokal gewonnen, war ins europäische Pokalsieger-Endspiel gelangt, und zudem hatte er zweimal die Qualifikation für den UEFA-Pokal erreicht. Sowas sollte ihm erstmal einer nachmachen. Winfried Schäfer, der seinen Job zum 1. Juli 1998 offiziell angetreten hatte, schaffte es nicht. Der als »harter Hund« angekündigte Löw-Nachfolger wurde bereits im Winter wegen Erfolglosigkeit entlassen. Vom »Wir-Gefühl« hatte er gesprochen, das er wiederherstellen wolle; gezeigt hatte er dann aber lediglich Egozentrik, Führungsschwäche und schlechte Ergebnisse. Bereits nach fünf Monaten hatte der Patriarch Mayer-Vorfelder genug und riss das Ruder heftig herum. Mit dem jungen Konzepttrainer Ralf Rangnick verpflichtete er einen Bundesliga-Neuling für die nächste Saison; bis dahin sollte Rainer Adrion als Interimstrainer die vom Abstieg bedrohte Mannschaft aufrichten und zugleich auf das Spielsystem seines designierten Nachfolgers vorbereiten.
»Eine größere Kehrtwende kann man wohl nicht machen«, kommentierte Joachim Löw schmunzelnd. Das ebenso turbulente wie erfolglose Intermezzo mit dem »Traditionalisten« Schäfer hätte man sich sparen können, sollte das heißen, denn wenn jetzt mit Rangnick wieder ein innovativer Ansatz gefragt war, dann hätte man auch gleich den Trainer Löw behalten können. Er selbst jedenfalls hatte durch das unrühmliche Ende beim VfB den Glauben an seine Fähigkeiten nicht verloren. Und es gab auch noch einige