Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel. Christoph Bausenwein

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel - Christoph Bausenwein страница 18

Автор:
Серия:
Издательство:
Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel - Christoph Bausenwein

Скачать книгу

Trainer, die ich je hatte«, meinte der; sicherlich werde er »noch von sich reden machen«.

      EINWURF

image

      Die Fußballprofessoren aus Baden-Württemberg

      Mir Ralf Rangnick hatte Gerhard Mayer-Vorfelder einen Trainer verpflichtet, der mit neuen Ideen und Methoden in die Schlagzeilen geraten war. Der im schwäbischen Backnang geborene Fußball-Lehrer hatte dem Nobody SSV 1846 aus Ulm eine frische und moderne Spielweise verpasst und zum Durchmarsch von der Regionalliga in die 1. Liga angesetzt. Rangnicks überraschender Erfolg wurde viel bestaunt, manche Trainer-Kollegen waren jedoch nicht besonders erfreut, als er den Fernsehzuschauern im »Aktuellen Sportstudio« oberlehrerhaft die Vorteile der Viererkette erklärt hatte. Nun, als Chef beim großen VfB, sah sich der nassforsche Fußballintellektuelle am Ziel. Er träumte von einem Fußballunternehmen nach dem Vorbild Ajax Amsterdam, von einem Profiteam, das die Gegner mit Viererkette, ballorientierter Raumdeckung und einstudiertem Tempo-Offensivspiel das Fürchten lehren und alljährlich von nach Plan aufgezüchteten Jungprofis ergänzt werden würde. Rangnick rettete die Stuttgarter vor dem Abstieg und erreichte in der darauffolgenden Saison den UEFA-Pokal. In der folgenden Spielzeit aber kam der Verein sportlich und auch wirtschaftlich ins Schlingern. Der immer wieder wegen seines überbordenden Reformeifers kritisierte Rangnick überlebte zwar den autokratischen Präsidenten Mayer-Vorfelder, der am 30. Oktober 2000 zurücktrat und einen hochverschuldeten Verein hinterließ. Durchsetzen aber konnte er sich letztendlich nicht. Im Februar 2001 musste er Felix Magath Platz machen.

      So weit zur Entwicklung beim VfB nach der Ära Löw. Interessanter ist die Vorgeschichte. Denn Ralf Rangnick war in Stuttgart kein Unbekannter. Ab 1990 war er vier Jahre lang A-Jugendtrainer und hatte zusammen mit dem Jugendleiter Helmut Groß den Unterbau des Vereins nach modernsten Kriterien umgekrempelt. Die beiden Trainer sind die Aushängeschilder einer südwestdeutschen Trainer-Connection, die damals ausgezogen war, das Spiel zu revolutionieren. Es war von daher wohl auch kein Zufall, dass die Stuttgarter 1995 mit Rolf Fringer einen in der Schweiz ausgebildeten Trainer verpflichtet hatten, der in Methodik und Ansatz mit diesen jungen deutschen Fußballintellektuellen manche Gemeinsamkeit aufwies. Darüber hinaus kann man den Eindruck gewinnen, dass der vom heutigen Bundestrainer Joachim Löw vertretene Fußballstil dem dieser baden-württembergischen »Fußballprofessoren« in der einen oder anderen Hinsicht ähnelt.

      Zentrale Figur und »Mastermind« dieser zunächst auf einige kleine württembergische Vereine beschränkten Fußballrevolution ist der einem größeren Kreis von Fußballinteressierten allenfalls als Rangnicks Scout und Taktikflüsterer in Hoffenheim bekannt gewordene Helmut Groß. Doch Rangnick und junge Trainer wie der Mainzer Jürgen Tuchel halten den passionierten Taktiktüftler für einen der hellsten Köpfe im deutschen Fußball überhaupt. 1981 übernahm Groß im Alter von 34 Jahren das Training der ersten Mannschaft des baden-württembergischen Verbandsligisten SC Geislingen und stieß dort umwälzende Neuerungen an. Der junge Trainer war frustriert vom altväterlichen deutschen Fußballspiel mit seiner tumben Stopper-Philosophie. Ihm war klar geworden: Manndeckung, Libero und deutsche Tugenden wie Kampf- und Willenskraft – das allein konnte die Fußballwahrheit nicht sein. Viererkette, Raumdeckung, Pressing – das waren die Ideen, aus denen Groß etwas Neues entwickeln wollte. Trainer wie Gyula Lorant, Pal Csernai und Ernst Happel waren damals die ersten in der Bundesliga, die sich von der alles dominierenden Manndeckung distanzierten und eine Raumdeckung spielen ließen. »Durch Raumdeckung«, erklärt Groß, »kann man ökonomischer agieren, weil die Spieler Kraft sparen, indem sie nicht unsinnig dem Gegner hinterherlaufen müssen.« Dieser Ansatz war richtig, doch Groß wollte noch weitergehen. Man müsste, so seine Überlegung, die gesparte Kraft sofort ummünzen in ein aggressives Pressing. Agiert man dabei mit kluger Raumaufteilung, so kann man den Gegner schließlich dazu zwingen, Fehlpässe zu produzieren. Ansätze zu dieser Spielweise zeigte damals Ernst Happel mit der niederländischen Nationalmannschaft. Aber auch das ging Groß noch nicht weit genug. Seine Vorstellung war, »dass man den Ball so schnell es geht erobern sollte«. Das war die Grundidee der ballorientierten Raumdeckung. In den Worten von Groß: »Bei gegnerischem Angriff müssen sich die Spieler so verschieben, dass sie – so weit entfernt vom eigenen Tor wie möglich – in Überzahl den ballführenden Gegenspieler angreifen und ihm so den Raum und die Zeit nehmen für eine vernünftige Aktion, um selbst Konter einzuleiten.« Es ging jetzt also nicht mehr nur darum, den Gegner durch Raumverengung zu Fehlern zu zwingen, sondern das Ziel war die möglichst schnelle Rückeroberung des Balles, um mit schnellen Pässen in die geöffneten Räume hinein einen Tempo-Gegenstoß zu starten. Das gut organisierte aggressive Pressing wurde damit konstruktiv als eine Art Vorspiel für die eigene Offensive.

      Nach seinen ersten Versuchen mit dem SC Geislingen wechselte Groß zum gleichklassigen VfL Kirchheim/Teck, wo er in der Region mit erstaunlichen Erfolgen für Furore sorgte. Kirchheim stieg mit seinem revolutionären Spielsystem 1986 in die Oberliga auf und wurde zweimal württembergischer Meister. Ihre denkwürdigsten Spiele lieferten die Teckstädter Ende der 1980er Jahre in zwei Testspielen gegen das mit internationalen Stars wie Oleg Blochin und Oleg Protassow gespickte Team des Europapokalsiegers Dynamo Kiew. Die von dem berühmten russischen Nationaltrainer Valerij Lobanowski mit wissenschaftlicher Akribie getrimmten Ukrainer, die ein ballorientiertes Spiel auf allerhöchstem taktischen Niveau pflegten, hatten damals ihr Wintertrainingslager in der Sportschule Ruit aufgeschlagen, um so den allzu frostigen Temperaturen in der Heimat zu entgehen. Das erste Kräftemessen im Februar 1987 verloren die Oberliga-Spieler nur knapp mit 2:4. Das zweite Spiel im Januar 1988 – ausgetragen übrigens, wie ein Chronist überliefert, ausgerechnet bei »sibirischer Kälte« – endete sensationell mit 1:1.

      Die Deutschen staunten über die Disziplin der Staatsamateure von Dynamo. Wenn Trainer Lobanowski nach dem Essen seinen Wodka getrunken hatte und sich erhob, standen auch die Spieler stracks auf und folgten ihm – gleich, ob da noch was auf ihrem Teller lag. Umgekehrt waren die Spitzenspieler aus der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik erstaunt, dass eine unterklassige Mannschaft aus Deutschland einen taktisch derart fortgeschrittenen Fußball beherrschte, dass sie sogar die mit individuellen Könnern gespickte Passmaschine des Fußballingenieurs Lobanowski ins Stottern hatten bringen können.

      Neben Groß war damals auch Ralf Rangnick, der junge Spielertrainer des Verbandsligisten Viktoria Backnang, von dem ballsicher und oft nahezu perfekt zelebrierten Rasenschach der Ukrainer fasziniert. Sein erstes Aha-Erlebnis hatte er im Winter 1984/85, als die Dynamo-Stars, die als Gastgeschenk ganz standesgemäß Kaviar im Gepäck hatten, auf verschneitem Kunstrasen brillierten und sein Team mit 7:2 besiegten. Intensiv studierte Rangnick, wie die Lobanowski-Truppe mit kollektiven Verschiebeaktionen den Ballführenden des Gegners ständig unter Zeitdruck setzte und in der Vorwärtsbewegung mit einstudierter Überzahlbildung sowie nahezu reibungslos funktionierenden Passstafetten den Gegner scheinbar mühelos ausspielte.

      Als Rangnick, der bereits als 28-Jähriger kurzzeitig das Training der Stuttgarter Amateure übernommen hatte, später in den Trainerlehrstab des württembergischen Fußballverbands eintrat und dort auf Groß traf, war ein schlagkräftiges Duett der Modernisierer perfekt. In nächtelangen Videositzungen und Taktikdiskussionen perfektionierten die beiden ihr Wissen. Neben den Niederländern und den Lobanowski-Teams studierte man vor allem die Spiele des AC Milan, als dieser mit einer von Arrigo Sacchi ausgetüftelten Raumdeckungsvariante den europäischen Fußball dominierte. »Ich habe damals ein sündhaft teures Videogerät gekauft«, so Groß. »Das modernste auf dem Markt, für 3.000 Mark. Aber das ging schnell kaputt, weil wir die Bänder so oft vor- und zurückgespult haben, um alle Details in der Taktik von Sacchi und anderen Toptrainern zu erkennen.« Aus ihren Erkenntnissen entwickelten sie ein Lehrsystem, um die ballorientierte Raumdeckung den Jugend- und Amateurtrainern des Verbands näher zu bringen. So höhlte sich langsam der Stein, auch wenn in Rest-Fußballdeutschland zunächst kaum jemand etwas von diesen Vorgängen mitbekam.

      Im Jahr 1989 wurde Helmut Groß Jugendkoordinator des VfB Stuttgart und erarbeitete

Скачать книгу