Der Fall des Staatsministers. Bo Balderson

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Der Fall des Staatsministers - Bo Balderson

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mußte geordnet werden.

      Aber die Unordnung war groß und überwältigend, als habe der Herbst alle gefallenen Blätter der Kastanie gesammelt, eins nach dem anderen ... Und das Bild der Sphinx führte meine Gedanken zu den Beamten, denen ich soeben begegnet war: der Ausdruckslosigkeit von Justizchef Rydlander, der steinharten Brutalität von Ministerialrat Dååbh, der Hohläugigkeit von Staatssekretär Svanberg. Ich erkannte, daß sie zu jenen Männern gehörten, die die schwedische Verwaltung trugen und unsere Geschicke lenkten. Und dann noch der Staatsminister ...

      Ich sank auf das Bett nieder und blätterte mit ungewohnter Unlust in Dardels Memoiren. Eine Seite reichte, und die Buchstaben verloren ihre Konturen, verschwammen, verschwanden ...

      Ich schlief.

      Von den Stimmen wurde ich geweckt.

      Ich leistete Widerstand. Doch sie schlugen ein Loch in den Schlaf, ständig neue Löcher, die die Müdigkeit nicht stopfen konnte. Ich war jetzt wach oder so gut wie.

      Sie kamen von unten, von draußen, und sie ergaben keinen Sinn und verrieten keine Identität. Doch der Tonfall war erschreckend: hart, erbittert, aggressiv.

      Während ich durch das Zimmer zum Fenster ging, verstummten sie.

      Ich schaute hinunter in den Garten.

      Dort wuchs zwischen Weg und Wand eine Ansammlung von Eiben. Im Kreis gepflanzt, schlossen sie alle Blicke aus.

      Nur diejenigen, die hoch plaziert standen, hätten den kleinen Mann erspähen können, der im Rondell aus dichtgewachsenen, geschnittenen Bäumen kniete.

      Er rieb sich die Wange.

      Zu früherer Stunde an diesem Nachmittag war ich Zeuge geworden, wie Staatssekretär Svanberg im Arbeitszimmer von seiner Assistentin Frau Johansson geohrfeigt wurde.

      Jetzt hatte ihm offenbar jemand eine Neuauflage beschert.

      Auf der Toilette saß ein Kind und legte bei offener Tür ein Puzzle und rief: »Hallo, Onkel, haste was zu naschen?« Und auf der Treppe wäre ich beinahe über einen der Hunde gestolpert, bekam aber das Geländer zu fassen und rettete meine Knochen. Zum Glück fielen mir auch die Worte meiner Schwester ein, daß die Tiere nur Personen bissen, die sie nicht mochten – sie sollen angeblich mittels ihres unglaublich gut entwickelten Geruchssinns zwischen Freund und Feind unterscheiden können –, und unterdrückte nach Kräften alle giftigen Gefühle und bösen Gedanken.

      Das Eßzimmer war menschenleer, doch im Wohnzimmer stand Ministerialrat Dååbh rauchend vor einem französischen Fenster. Ich hatte mir vorgestellt, er bevorzuge Pfeife; die kräftige, untersetzte Gestalt deutete es gewissermaßen an, die Finger aber umschlossen eine feingliedrige Zigarette. Er hörte mich erst, als der Fuß auf dem Parkett aufsetzte.

      »Was?!« sagte er, und es gelang ihm, trotz des frappanten Mangels eines Halses schnell den Kopf in meine Richtung zu drehen. »Wo zum Teufel sind denn alle? Ich warte auf Svanberg«, fuhr er fort. »Haben Sie ihn gesehen? Diesen, kleinen Kerl von einer Ratte?«

      Ich antwortete, ohne weiter ins Detail zu gehen, daß ich ihn zuletzt im Garten gesehen hätte. Ministerialrat Dååbh nahm die Nachricht – sofern es überhaupt eine Nachricht war, das grobschlächtige Gesicht gab einem nichtgeschulten Beobachter wenig Aufschluß – mit einem Schnauben auf. Verstohlen maß ich mit Blicken seine Arme, die leicht eingeknickt an der Seite herabhingen. Sie waren in der Tat ungewöhnlich lang. Und diese fliehende Stirn und die Halslosigkeit ... Ein häßlicher Gedanke schoß mir durch den Kopf. Konnte er wirklich ... Nein, es war einfach nicht möglich! Irgendwo wäre es entdeckt worden ... Wenn nicht im Finanzministerium, wo bestimmt allerlei passieren durfte, wenn der fiskalische Eifer da war, dann früher in der Schule bei den jährlichen Lehrerkontrollen ... Und er war schließlich des Sprechens kundig. Insgeheim überprüfte ich, wie es um meine eigenen Arme bestellt war – seltsam, wie lange man leben kann, ohne über so etwas nachzudenken –, und glaubte erheblich normalere Proportionen feststellen zu können.

      »Er steckt bestimmt mit dem Bergbaukonsul zusammen. In dessen Gesellschaft dürfte er sich heimisch fühlen. Widerlicher Typ«, murmelte der Ministerialrat, ohne sich präziser auszudrücken. »Widerliche Typen übrigens überall in diesem Haus. Der Staatsminister, Svanberg, Konsul Karling ... Ebensogut könnte man im Direktoriumszimmer der Enskilda Banken sitzen und arbeiten! Der einzige anständige Kerl ist doch Justizchef Rydlander. Doch er verträgt leider Gottes keinen Rauch, so daß man sich für eine Zigarette wie ein Schuljunge davonschleichen muß«, ergänzte er, wie um seine Anwesenheit im Wohnzimmer des Staatsministers zu erklären. »Haben Sie Aktien?«

      Ich antwortete sofort mit »Nein«. Ich besitze allerdings drei Anteile an Stockholms Ångslups AB, eine Erbschaft meines Vaters, aber in Kenntnis des Temperaments des Ministerialrats und seiner allgemeinen Einstellung zu Aktien und Aktieneignern erachtete ich es als unnötig, in diesem Punkt eine pedantisch wahrheitsgetreue Antwort zu geben.

      Er streckte einen seiner auffälligen Arme aus und zog mich ans Fenster.

      »Kennen Sie Leute mit Aktien? Die meisten haben ein derartig intimes Verhältnis zu ihren Papieren, daß sie sie beim Vornamen nennen. ›LM‹ und ›Atlas‹ und ›Gränges‹. Wie Kinder oder Hunde. Und dann haben diese Teufel Glück und sterben, wenn der Kurs seinen Tiefststand erreicht hat, und bringen die Gesellschaft um die Steuereinnahmen. Pfui Teufel!« schrie er auf und knöpfte damit offensichtlich wieder an Staatssekretär Svanberg an. »Daß ein Mensch mit einer Führungsposition in der Bewegung von den Anstrengungen der Arbeiter profitiert, ist geschmacklos, daß er außerdem herumläuft und damit prahlt, macht das Ganze unerträglich. Ihn sollte man hinauswerfen. Aber sie müssen wohl Rücksicht auf den Staatsminister und all seine Konzerne nehmen. Mein Gott, was für ein Dreckstall!«

      Nach einigen anderen Äußerungen gleichen Stils öffnete er die Glastür und marschierte in den Garten hinaus.

      Ich selbst suchte den Staatsminister.

      Beide Arbeitszimmer waren verwaist. Ich machte die Haustür einen Spalt auf, auch der mit Steinplatten ausgelegte Gartenweg zur Pforte lag menschenleer zwischen Reihen von blühendem Phlox da.

      Ich machte eine letzte Runde durch die Räume, und nun stand Konsul Karling an einem der Schreibtische im Arbeitszimmer.

      Ich hatte nicht angeklopft – dort war es schließlich eben noch menschenleer gewesen –, und er mußte mich erst sehr spät gehört haben, erst als die Türklinke nach unten gedrückt wurde. Auf der Schwelle zum Zimmer erlebte ich, wie sich sein Gesicht vor meinen Augen verwandelte. Das viril Festgefügte, männlich Regelmäßige löste sich auf, das Kinn verlor an Halt und wurde zu einem von vielen, und der Mund wurde geöffnet und blieb es, wie bei einem sehr alten oder sehr überraschten Menschen. Seine Verwirrung war so offensichtlich und mein eigenes Versäumnis, nicht anzuklopfen, so peinlich, daß ich bloß einige unverständliche Entschuldigungen stammelte, ehe ich mich ins Zimmer des Staatsministers zurückzog.

      Erst dort erlangte ich Denk- und Reflektionsvermögen zurück.

      Was hatte der Konsul allein im Arbeitszimmer der Mitarbeiter zu suchen? Warum hatte er so schuldbewußt überrumpelt ausgesehen? Und warum hatte er die Hände so gehalten, hinter sich? Was verbarg er da hinter dem Rücken?

      4

      Kurze Zeit später lief mir in der Eingangshalle Justizchef Rydlander über den Weg, den ich nur flüchtig gesehen hatte, seit wir gemeinsam bei lebendigem Leibe aus dem Auto gestiegen waren. Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob er Staatssekretär

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