Der Fall des Staatsministers. Bo Balderson
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Und irgend etwas sagte mir, daß das noch nicht das Ende der Geschichte war.
Der Staatsminister kehrte allein und ohne Spur aus dem Garten zurück.
Der Gong rief zum Adendessen.
Es wurde ein anstrengendes Unterfangen, aber ein wohl kaum anstrengenderes, als unter den gegebenen Umständen zu erwarten gewesen wäre. Staatssekretär Svanberg, seine temperamentvolle Assistentin Frau Johansson, Ministerialrat Dååbh und Konsul Karling hatten uns gebeten zu warten und es offensichtlich – im Gegensatz zu Justizchef Rydlander – nicht fertiggebracht, die Einladung abzulehnen.
Die Erwachsenen saßen wie eine unbedeutende Sekte an einem Ende des Tisches, und dann folgten die Kinder in der Reihenfolge ihres Alters, sich heftig zankend und in voller Garnitur, die Kleinsten zum Glück so weit entfernt, daß man ihre quengelnden Mißfallensäußerungen über den unbeugsamen Willen der Kindermädchen und ihre proteinhaltige Kost mehr erahnte als wahrnahm. Es ist mir ein Rätsel, warum eine Familie, die über sechsundzwanzig Zimmer und ausreichend Personal verfügt, darauf beharrt, geschlossen das Adendessen einzunehmen, auch wenn Gäste anwesend sind. Doch der Staatsminister ist in diesem Punkt vollkommen unnachgiebig. »Es ist nützlich«, sagt er. Und vielleicht hat er trotz allem recht. Denn nachdem der Finanzminister an einer solchen Fest- und Jubelveranstaltung teilgenommen hatte, ließ er sich endlich dazu bewegen, den Lehrern, die bei den Schulspeisungen Aufsicht führten, einen Ausgleich zukommenzulassen.
Hochstimmung kam an unserem Tischende nicht auf. Das Ganze erinnerte offen gestanden eher an einen Leichenschmaus, bei dem ein schlecht angesehener Toter wieder zu Leben erwacht war und unter den Gästen Platz genommen hatte. Der Leichnam, der in diesem Fall auch über äußere Übereinstimmungen mit etwas kürzlich Ausgegrabem verfügte, sollte Staatssekretär Svanberg sein. In genauer konstitutioneller Übereinstimmung mit Karl XII. als Toter, die mir schon bei unserer ersten Begegnung aufgefallen war, waren nunmehr weitere schönheitssteigernde Blutergüsse und Beulen hinzugekommen. Er hatte einen schweren Nachmittag hinter sich. Und die Prüfungen nahmen kein Ende.
Seine eigene Assistentin sah ihn kalt über den Tisch hinweg an und zischte hin und wieder etwas, fast so wie ein Novembertag, der der Ansicht ist, es sei mit Wind und Kälte noch nicht genug, sondern indessen einen Regenschauer niedergehen ließ. Ministerialrat Dååbh grunzte nur einmal quer durch ihn hindurch, als sei er ein Feld verunreinigter Luft. Konsul Karling, der inzwischen wieder seine Kinnlade unter Kontrolle gebracht hatte, wirkte etwas zerstreut; vielleicht berechnete er, wieviel ihm nach der Halbierung durch den Staatsminister und der neunzigprozentigen Steueranhebung auf den Rest durch den Ministerialrat von seinem Gehalt bleiben würde. Indessen versäumte er es nicht, zwischen Kauen und Denken dem Staatsminister feindselige Blicke zuzuwerfen. Hätte dieser um das Brot gebeten, hätte er es vermutlich bekommen, aber ohne ein kurzes Lächeln.
Staatssekretär Svanberg ließ die ihn umgebende Kälte nicht unberührt. Er redete zwar, jedoch viel gedämpfter, viel sporadischer, während das Abendessen, das aus Sandwiches, Kalbsfilet und Eis bestand, seinen Fortgang nahm.
Der einzige Mensch, von meiner Schwester, der Gastgeberin, einmal abgesehen, der so war wie immer, das war der Staatsminister. Er erläuterte mit energischer Verwirrung die trivialsten Fakten über Japan und das japanische Volk, die für alle sensationelle und unbekannte Neuigkeiten darstellten. Ich empfand mit einem Mal große Sympathie für den japanischen Premierminister. Nachdem er endlich in der nordischen Nacht gelandet war, würde er spüren, daß er sehr weit gereist war.
Gleich nach dem Dessert, sich kaum Zeit lassend, die Hand der Wirtin unter dem Kronleuchter zu drücken, brach Staatssekretär Svanberg auf. Es hatte den Anschein, als beabsichtigte Konsul Karling, ihm zu folgen; er brachte einige abgehackte Dankesworte hervor und setzte zum Anlauf auf die Halle und den Flur an, doch der Staatsminister legte ihm den Arm um die Schulter und führte ihn zurück.
Den Kaffee nahm man im Wohnzimmer. Der Staatsminister hatte verschiedene Wände ausschlagen lassen und eine Atmosphäre geschaffen, die an einen behelfsmäßig hergerichteten Hangar erinnerte. Auch hier waren die Kinder bei uns. Man liest davon, daß die Jugend von heute nie zu Hause sei, sie treibe sich auf der Straße herum und bilde Cliquen oder jage Rentner. Doch der Nachwuchs meiner Schwester ist immer zu Hause. Außerdem halten sie sich in demselben Zimmer auf wie ihre Eltern und deren Gäste, was so gut wie ein Einzelfall sein dürfte. Bedenkt man, daß jedes Kind mindestens zwei Kameraden anzieht, ist leicht zu verstehen, daß das Wohnzimmer des Staatsministers kaum ein Aufenthaltsort ist, den ältere, gebrechliche Menschen aufsuchen, um nach dem Abendessen ihren Kaffee zu trinken.
Dennoch wird dort der Kaffee serviert.
An diesem Abend glich der Raum mehr denn je einem gutbesuchten Mehrzwecksaal. In einer Ecke spielte sich das ab, was der Kleidung nach zu urteilen die allwöchentliche Versammlung von Spångas Pfadfindern sein mußte. Offensichtlich wurde ihnen als gute Tat für den Tag Hilfsbereitschaft gegenüber älteren Mitmenschen eingeschärft, denn als ich mich bei einigen Gelegenheiten in meinem Sessel drehte, stürmten einige der uniformierten Kleinen herbei, zogen mich hoch und führten mich im Zimmer auf und ab (einmal auch zur Toilette), bis es mir gelang, zu verstehen zu geben, daß ich nur die Sitzposition zu verändern suchte. An einer anderen Stelle des Zimmers wurden verbrechensvorbeugende Maßnahmen trainiert und weiter hinten probte ein Orchester. Der Staatsminister, der sich zunächst an einem Holzfeuer im Kamin zu schaffen gemacht hatte, aber vom Rauch vertrieben wurde, war dazu übergegangen, eine Gruppe von Jugendlichen im Schottischen, einem polkaähnlichen Rundtanz, anzuführen. Sein Vortanz war energisch, allerdings weniger schön zu nennen. Mitten im Zimmer, gewissermaßen in Konkurrenz zu der Tanzgruppe, waren einige Jugendliche mit dem Bau eines Kanus beschäftigt.
Es herrschte ein wildes Treiben wie in der Hölle.
Ich begreife nicht, worin der tiefe Sinn bestehen soll, Milliardär zu sein, wenn man in solchen Verhältnissen leben muß. Genausogut könnte man seine Abende in einer Obdachlosenunterkunft verbringen oder bei einem Krawall oder beim Treffen einer Bürgerinitiative.
Nahe dem Eßzimmer waren ein paar Sofas zu einer Art Wagenburg zusammengeschoben worden, eine relativ friedliche Ecke, wo meine Schwester Margareta mit dem Verbandskasten und umgeben von ein paar betäubten Gästen präsidierte. Dort schliefen auch die Kleinsten. (Früher waren sie von ihren Kindermädchen in kühle, ruhige Räume gebracht worden, waren dort aber nicht eingeschlafen, zurück in den Krach getragen worden und sofort eingeschlummert. Als der Lärmpegel einmal sank, wälzten sie sich unruhig hin und her.)
Nach einer halben Stunde riß sich Konsul Karling los. Er verabschiedete sich von der Gastgeberin, und ich glaube, er bedankte sich bei ihr, doch die Worte verstand ich nicht, obwohl es vollkommen offensichtlich war, daß er sie herausschrie. Eine Viertelstunde später war eindeutig Frau Johansson der Ansicht, ihren Teil für das Essen abgeleistet und die jugendlichen Aktivitäten lange genug ausgehalten zu haben. Sie winkte mir ein wenig hilflos zu und wurde von einer verständnisvollen Gastgeberin in die Halle gelotst. Zur gleichen Zeit erhob sich Ministerialrat Dååbh und bahnte sich den Weg über den Fußboden und riß den Staatsminister aus seinem Tanz. Dieser vollführte einige erschöpfte Gesten und verschwand mit seinem Gast im Arbeitsbereich.
Kurz danach begann meine Schwester, die Kinder eins nach dem anderen abzufertigen. In regelmäßigen Abständen führte sie mehrmals unterschiedlich viele Schläge gegen einen Gong aus, und bei jedem Signal (oder kurz darauf) löste sich eine Altersgruppe und wünschte eine gute Nacht. Ein General hätte sein Heerlager nicht mit größerer Gewandtheit und Autorität räumen können.
Dann saßen wir zusammen und unterhielten uns einige Zeit in Ruhe und Frieden. Meine Schwester interessiert es immer zu erfahren, wie es mir