Nathan der Weise. Gotthold Ephraim Lessing
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Nathan. Doch hätt’ auch nur
Ein Mensch — ein Mensch, wie die Natur sie täglich
Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt: er müßte
Für dich ein Engel sein. Er müßt’ und würde.
Recha. Nicht so ein Engel, nein! ein wirklicher;
Es war gewiß ein wirklicher! — Habt Ihr,
Ihr selbst die Möglichkeit, daß Engel sind,
Daß Gott zum Besten derer, die ihn lieben,
Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?
Ich lieb’ ihn ja.
Nathan. Und er liebt dich; und tut
Für dich und deines Gleichen stündlich Wunder;
Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit
Für euch getan.
Recha. Das hör’ ich gern.
Nathan. Wie? Weil
Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,
Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr
Gerettet hätte; sollt’ es darum weniger
Ein Wunder sein? — Der Wunder höchstes ist,
Daß uns die wahren, echten Wunder so
Alltäglich werden können, werden sollen.
Ohn’ dieses allgemeine Wunder hätte
Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je
Genannt, was Kindern bloß so heißen müßte,
Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,
Das Neuste nur verfolgen.
Daja. (zu Nathan). Wollt Ihr denn
Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn
Durch solcherlei Subtilitäten ganz
Zersprengen?
Nathan. Laß mich! — Meiner Recha wär’
Es Wunders nicht genug, daß sie ein Mensch
Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder
Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder!
Denn wer hat schon gehört, daß Saladin
Je eines Tempelherrn verschont? Daß je
Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden
Verlangt? Gehofft? Ihm je für seine Freiheit
Mehr als den ledern Gurt geboten, der
Sein Eisen schleppt, und höchstens seinen Dolch?
Recha. Das schließt für mich, mein Vater. — Darum eben
War das kein Tempelherr, er schien es nur. —
Kommt kein gefangner Tempelherr je anders
Als zum gewissen Tode nach Jerusalem;
Geht keiner in Jerusalem so frei
Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig
Denn einer retten können?
Nathan. Sieh, wie sinnreich!
Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab’ es ja
Von dir, daß er gefangen hergeschickt
Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr,
Daja. Nun ja. — So sagt man freilich; — doch man sagt
Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn
Begnadigt, weil er seiner Brüder einem,
Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.
Doch da es viele zwanzig Jahre her,
Daß dieser Bruder nicht mehr lebt, — er hieß,
Ich weiß nicht wie, — er blieb, ich weiß nicht wo: —
So klingt das ja so gar — so gar unglaublich,
Daß an der ganzen Sache wohl nichts ist.
Nathan. Ei, Daja. Warum wäre denn das so Unglaublich? Doch wohl nicht — wie’s wohl geschieht —
Um lieber etwas noch Unglaublichers
Zu glauben? — Warum hätte Saladin,
Der sȩin’ Geschwister insgesamt so liebt,
In jüngern Jahren einen Bruder nicht
Noch ganz besonders lieben können? — Pflegen
Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? — Ist
Ein alter Eindruck ein verlorner? — Wirkt
Das Nämliche nicht mehr das Nämliche? —
Seit wann? Wo steckt hier das Unglaubliche? —
Ei freilich, weise Daja, wär’s für dich
Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur
Bedürf . . . verdienen, will ich sagen, Glauben.
Daja. Ihr spottet.
Nathan. Weil du meiner spottest. — Doch Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung
Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten
Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe
Der Könige, sein Spiel — wenn nicht sein Spott —
Gern an den schwächsten Fäden lenkt.
Recha. Mein Vater!
Mein Vater, wenn ich irr’, Ihr wißt, ich irre
Nicht gern.
Nathan. Vielmehr, du läßt dich gern belehren. —
Sieh! Eine Stirn, so oder so gewölbt;