Texten fürs Web: Planen, schreiben, multimedial erzählen. Stefan Heijnk
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Kontrovers diskutiert wurde immer wieder die Frage, ob Webnutzer auf Desktop-Sites scrollen oder nicht. Usability-Guru Jakob Nielsen hatte Mitte der 90er-Jahre zunächst behauptet, die Webnutzer scrollten nicht, dies aber später relativiert. In 2010 kam er dann zu dem Ergebnis, dass die Nutzer auf stationären Webseiten zwar durchaus scrollen, den allergrößten Teil der Seitenrezeptionszeit aber »above the fold« verweilen, also für die erste Bildschirmportion verbrauchen. Nur 20 Prozent der Verweilzeit verbrachten sie auf der Fläche unterhalb der ersten Bildschirmportion. Die Aussagen aus der Studie des Jahres 2010 basierten auf Eyetrackingsitzungen mit 21 Probanden. Zwischenzeitlich waren zahlreiche andere Usability-Studien und Datenauswertungen zu dem Befund gelangt, dass die Nutzer auf Desktop-Sites sehr wohl scrollen. Clicktale zum Beispiel präsentierte 2006 eine Nutzungsdaten-Auswertung für 120.000 Seitenaufrufe, wonach in 76 Prozent aller Fälle gescrollt wurde, in 22 Prozent sogar jeweils bis zum Seitenende. Insgesamt lässt sich dazu festhalten, dass Webnutzer am Desktop-Monitor sicherlich kein Problem mit dem Scrollen haben.
Vertiefende Rezeption am Desktop
Ist die Scanphase vorbei und wird per Klick eine Artikelseite aufgerufen, dann kann das vertiefende Rezipieren auf den Zielseiten beginnen. Dort dauert der Besuch auf einer Einzelseite durchschnittlich etwa 30 bis 60 Sekunden, wobei die gemessenen Werte auch hier durchaus streuen. Jakob Nielsen wiederum taxierte 2006 die durchschnittliche Verweilzeit für die inneren Seiten auf 45 bis 60 Sekunden; durchschnittlich wurde nur ein gutes Viertel der unterbreiteten Textmenge tatsächlich gelesen. Der Content-Analyst Chartbeat maß in 2018 eine Lesezeit auf Artikelseiten am Desktop-Monitor von durchschnittlich 38 Sekunden. Und: Je länger die Verweilzeit, desto höher auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nutzer innerhalb einer Woche die Website erneut besucht. Wer drei Minuten auf einer Site verbringt, wird doppelt so wahrscheinlich innerhalb der nächsten 7 Tage zurückkehren wie jemand, der nur eine Minute geblieben ist. Es zeigt sich: Nutzerinnen und Nutzer wollen für ihre Zeit-Investition möglichst rasch belohnt werden, sonst sind sie weg. Fühlen sie sich gut informiert, dann entsteht Bindung.
Abb. 12:Je länger die Verweilzeit, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Nutzer zurückkehren. Quelle: Chartbeat.
Lesen auf dem Smartphone – was läuft da anders?
Der zentrale Kontaktpunkt zwischen Nutzerinnen und Web ist das Smartphone. Wie läuft die Rezeption auf den Kleindisplays ab? Gibt es Unterschiede zur Desktop-Nutzung? Wie orientieren sich Menschen auf mobilen Sites beziehungsweise in mobilen Apps? Was stört sie? Was ist für sie nützlich und angenehm?
Grundsätzlich ist die Befundlage für mobil abgerufene Webseiten nicht so ausdifferenziert wie für die Desktop-Nutzung. Das ist kaum überraschend, denn massentaugliche Endgeräte für die mobile Webnutzung sind einfach noch nicht so lange auf dem Markt. Apples iPhone bedeutete 2007 den Durchbruch für dieses Segment. User-Experience-Forscher und Online-Marketer haben sich deshalb zwischenzeitlich auch der Fragen des mobilen Webdesigns angenommen. Zumindest die grundlegenden Determinanten der mobilen Webnutzung sind inzwischen ausgeleuchtet.
Prinzipiell gilt für den Nutzer-Mobilseiten-Kontakt, dass er die gleichen drei Phasen durchläuft wie der Kontakt mit der Desktopsite. Im Detail lassen sich die Erkenntnisse zur Desktop-Rezeption allerdings nicht ohne weiteres auf die Mobil-Rezeption übertragen. Zudem ist die Sache auch technisch nicht ganz ohne: Googles sanfter Zwang, mobile Seiten in der Produktion zu priorisieren, trifft in der Praxis immer noch auf Content-Management-Systeme, die nicht unbedingt zukunftsoffen aufgestellt sind. Webdesigner kämpfen ohnehin schon seit den Kindertagen des WWW mit den plattformbedingten Restriktionen des Mediums (siehe Exkurs Responsive Design).
Der zentrale Unterschied zur Desktop-Rezeption ist die relativ kleinere Sichtfläche auf dem Smartphone-Display. Dieser Aspekt ist so naheliegend, dass seine weitreichenden Konsequenzen schnell übersehen werden. Analytisch sieht es so aus: Eine kleinere Sichtfläche bedeutet zwangsläufig weniger Raum für die zu präsentierenden Inhalte, bietet weniger Sichtkontakt zu Kontext-Informationen und verlangt einen vergleichsweise kleineren Standard-Schriftgrad. Das Point-and-Click-Navigieren wird auf dem Kleinbildschirm nicht per Mauszeiger erledigt, sondern mit den Fingern, vor allem mit dem Daumen. Interaktive Elemente wie Buttons, Drop-downs oder Hyperlinks müssen deshalb in Mindestgrößen bereitgestellt sein. Auf einer ohnehin relativ kleineren Sichtfläche geht das unweigerlich zulasten der Fläche für die Inhalte.
Auch für das Scrollen sind kleine Touchscreens eher unvorteilhaft: Wer auf einer Mobilseite nach unten scrollen will, muss aufs Display schauen und dabei zeitgleich die Fingerbewegungen steuern. Taktile Aktion und visuelle Rezeption sind also permanent zu koordinieren. Die kognitive Last wächst. Und: Weil Mobilseiten im Responsive Design in der Regel einspaltig laufen und damit sehr schnell sehr lang werden, müssen Mobilnutzer entweder relativ häufig kurze Scrollbewegungen anstoßen oder mit Schwung scrollen, was wiederum die visuelle Rezeption erschwert. Der mobile Internetzugang ist zwar zweifellos ein echtes Plus, für die Rezeption sind Smartphone-Displays allerdings in vielen Aspekten eher ungünstig. Entsprechend unterscheidet sich das Rezeptionsgeschehen auf Smartphones in den drei Kontaktphasen zum Teil erheblich von den Vorgängen am Desktopmonitor.
Die Ladephase auf Mobile Sites
Es ist davon auszugehen, dass die Nutzer auch auf dem Touchscreen in den ersten Sekundenbruchteilen eine erste Bewertung des betrachteten Stimulus aufbauen. Für einen positiven ersten Eindruck sind, wie beschrieben, zwei Dinge entscheidend: Die Oberfläche darf visuell nicht überfrachtet sein. Und die zu sehenden Komponenten müssen prototypisch sein für die Objektklasse. Sie sollten also verzögerungsfrei vermitteln, was funktional angeboten wird – ein Shop, eine Nachrichtensite, ein Lernangebot oder ein Geldinstitut. Die kleinere Sichtfläche hat hier durchaus ihren Vorteil: Sie zwingt dazu, Anzahl und Größe der Oberflächenkomponenten sehr bewusst auszuwählen und zu arrangieren. Fürs mobile Webdesign folgt daraus eine simple Gestaltungsmaxime: Reduziere auf das Wesentliche.
Die Nutzererwartungen in punkto Ladezeit für Mobilseiten sind nahezu identisch mit jenen für stationäre Webseiten: Die Hälfte der Nutzergemeinde will eine Seite spätestens nach zwei Sekunden vollständig auf dem Bildschirm sehen; nach 3 Sekunden brechen 53 Prozent der Mobilnutzer den Ladevorgang ab. Die durchschnittliche Ladezeit für Mobilseiten beträgt 4 Sekunden. Auch Google ist der Frage nach der Länge des Geduldsfadens in der mobilen Webnutzung wiederholt nachgegangen.
Je nach Verbindungstyp variieren die Werte dabei erheblich. Beim Google-Tochterunternehmen Doubleclick hat man in 2016 die Ladezeiten für die Nutzung in Mobilfunknetzen gemessen: Dort sind es durchschnittlich 19 Sekunden je Seite für 3G- und 14 Sekunden für 4G-Verbindungen. Deutlich langsamer also als per WLAN. Anbieter, die es in Mobilfunknetzen schafften, ihre Mobilseiten innerhalb von maximal 5 Sekunden auf den Touchscreen zu bringen, belohnten sich letztlich selbst: Die Anzahl der Pageviews je Visit stieg um 60 Prozent (gegenüber jenen Sites, die 19 Sekunden für die Erstseite verbrauchten), die Verweilzeit stieg um 70 Prozent, und der Werbeumsatz verdoppelte sich. Die Ladezeit-Werte in den 3G- und 4G-Netzen dürften überdies auch erklären, warum etwa 80 Prozent des Mobiltraffics nach wie vor über WLAN-Verbindungen läuft. Noch. Es ist absehbar,