Die Löwenskölds - Romantrilogie. Selma Lagerlöf
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An einem Sonntag im Sommer war Jungfer Spaak in der Kirche gewesen und wanderte nun auf einem schmalen Richtweg, der schräg über die Felder der Propstei führte, heimwärts. Der eine und der andere von den Kirchgängern hatte denselben Weg eingeschlagen, und Jungfer Spaak, die es eilig hatte, mußte eine Frau überholen, die zu langsam für sie dahinwanderte. Gleich darauf kam die Jungfer an ein Gatter, das ziemlich schwierig zu übersteigen war, und diensteifrig, wie sie sich immer zeigte, dachte sie jetzt gleich an die langsame Wanderin, und so blieb sie stehen, um ihr über das Gatter hinüber zu helfen. Sie reichte ihr die Hand und sah, daß die Frau gar nicht so alt war, wie sie zuerst geglaubt hatte. Sie hatte ein ungewöhnlich weißes und glattes Gesicht, und Jungfer Spaak dachte jetzt, sie könne möglicherweise nicht mehr als fünfzig Jahre alt sein. Obgleich sie offenbar nichts anderes als eine gewöhnliche Bäuerin war, lag doch eine eigene Würde über ihr, wie wenn sie irgend etwas erlebt hätte, was sie über ihren Stand hinaus gehoben hätte.
Als Jungfer Spaak der andern über das Gatter hinüber geholfen hatte, gingen sie nebeneinander auf dem schmalen Pfad weiter.
»Sie ist gewiß die Jungfer, die dem Haushalt auf Hedeby vorsteht?« fragte die Bäuerin.
»Ja, die bin ich«, antwortete Jungfer Spaak.
»Ich möchte wohl wissen, ob Sie gern dort ist?«
»Warum sollte man in einem so guten Hause nicht gerne sein?« erwiderte Jungfer Spaak zurückhaltend.
»Die Leute sagen ja, es spuke dort.«
»Man soll nicht alles glauben, was die Leute sagen«, erwiderte Jungfer Spaak in zurückweisendem Ton.
»Nein, das soll man allerdings nicht, nein, das weiß ich wohl«, sagte die andere.
Beide schwiegen eine Weile. Es war deutlich, diese Bäuerin wußte etwas, und in Wirklichkeit brannte Jungfer Spaak vor Begierde, sie auszufragen. Aber das schickte sich nicht und war nicht richtig.
Dann begann die Bäuerin aufs neue: »Ich finde, die Jungfer sieht sehr gut und lieb aus, und ich will Ihr deshalb einen guten Rat geben! Bleibe Sie nicht zu lange auf Hedeby, denn er, der dort umgeht, mit dem ist nicht zu spaßen. Er gibt nicht nach, bis er hat, was er haben will.«
Jungfer Spaak wollte zuerst ein wenig von oben herab für die Warnung danken, diese letzten Worte aber erregten ihre Neugier.
»Was ist es denn, was er haben will? Weiß Sie, was das ist?«
»Weiß die Jungfer das nicht?« antwortete die Bäuerin. »Nun, dann will ich nichts mehr sagen; es ist vielleicht am besten für die Jungfer, wenn Sie nichts weiß.«
Damit reichte sie Jungfer Spaak die Hand, bog in einen andern Fußpfad ein und war bald außer Sicht.
Jungfer Spaak hütete sich wohl, dies Gespräch der ganzen Familie beim Mittagessen zu erzählen; am Nachmittag aber, als Adrian sie in der Milchkammer aufsuchte, tat sie ihm kund, was die fremde Frau zu ihr gesagt hatte, und er war wirklich recht überrascht.
»Das muß Marit Erikstochter von Olsby gewesen sein«, sagte er. »Dies ist seit dreißig Jahren das erste Mal, daß sie mit irgend jemand von Hedeby ein freundliches Wort gesprochen hat. Mir hat sie einmal eine Mütze geflickt, die mir einer der Jungen von Olsby zerrissen hatte; aber sie sah dabei aus, als wollte sie mir die Augen auskratzen.«
»Aber weiß sie denn, was der General sucht?«
»Ach, Jungfer Spaak, sie weiß es besser als irgend sonst jemand, und ich weiß es auch. Mein Vater hat mir die Geschichte erzählt. Die Eltern aber wollen nicht, daß man es den Schwestern mitteilt. Sie würden von Gespensterfurcht befallen werden und dann nicht mehr hier wohnen. Ich darf es auch der Jungfer Spaak nicht erzählen.«
»Gott bewahre uns!« erwiderte die Jungfer. »Wenn der Herr Baron es verboten hat ...«
»Es tut mir leid«, sagte Baron Adrian. »Ich glaube, Jungfer Spaak könnte mir behilflich sein.«
»Ach, wenn ich das dürfte!«
»Denn ich wiederhole es«, sagte Baron Adrian, »ich möchte dem armen Geist zur Ruhe verhelfen. Ich habe keine Angst vor ihm. Sobald er mich ruft, werde ich ihm folgen. Warum zeigt er sich allen anderen, nur mir nicht?«
Zehntes Kapitel
Adrian Löwensköld lag in seinem Giebelzimmer auf dem Bodenraum in festem Schlaf, als er durch ein leichtes Geräusch geweckt wurde. Er schlug die Augen auf, und da die Fensterladen nicht verschlossen waren und draußen helle Sommernacht herrschte, sah er deutlich, wie die Tür aufging. Er glaubte, ein Windstoß habe sie geöffnet, sah aber jetzt eine dunkle Gestalt in die Türöffnung treten, die, sich etwas vorbeugend, in das Zimmer hineinspähte.
Adrian unterschied ganz deutlich einen alten Mann in einer altmodischen Reiteruniform. Ein Elchlederkoller zeigte sich unter dem etwas aufgeknöpften Rock. Die Stiefel reichten bis an die Knie, und den langen Haudegen hielt er erhoben, wie um nicht damit zu rasseln.
»Wahrhaftig, das ist der General!« dachte der junge Baron. »Das ist recht. Hier kann er jemand sehen, der keine Angst vor ihm hat.«
Alle die anderen, die den General gesehen hatten, pflegten zu sagen, er verschwinde, sobald man den Blick auf ihn richte. Aber das geschah jetzt nicht. Noch eine gute Weile, nachdem Adrian ihn entdeckt hatte, blieb der General in der Tür stehen. Nach einigen Minuten jedoch, als er sich vergewissert zu haben schien, daß Adrian seinen Anblick ertragen konnte, hob er eine Hand auf und winkte ihn zu sich her.
Adrian setzte sich sofort im Bett auf. »Jetzt oder nie«, dachte er. »Jetzt endlich verlangt er meine Hilfe, und ich werde ihm folgen.«
Tatsächlich hatte er seit vielen Jahren auf diesen Augenblick gewartet. Er hatte sich darauf vorbereitet, ja, seinen Mut im Hinblick darauf gestärkt. Immer hatte er gewußt, daß das etwas war, was er durchmachen mußte. Er wollte den General nicht warten lassen, und ganz so, wie er aus dem Bett kam, folgte er ihm; nur ein Bettuch riß er noch an sich und hüllte sich darein.
Erst als er mitten im Zimmer stand, fiel ihm ein, es könnte am Ende doch eine gefährliche Sache sein, wenn er sich so ohne weiteres einem Wesen aus der andern Welt überließe, und er wich etwas zurück. Da aber sah er, daß der General wie in verzweifeltem Flehen beide Hände nach ihm ausstreckte.
»Was sind das für Dummheiten?« dachte Adrian. »Soll ich mich fürchten, bevor ich nur das Zimmer verlassen habe?«
Er näherte sich der Tür, der General schritt vor ihm auf den Bodenraum hinaus, ging aber dabei immer rücklings, wie um sich zu vergewissern, daß der junge Mann ihm folgte.
Als Adrian über die Schwelle treten und das Zimmer verlassen wollte, um sich auf den Bodenraum hinaus zu begeben, überfiel ihn wieder ein kalter Schauder. Etwas sagte ihm, er solle die Tür zuschlagen und in sein Bett zurückeilen. Er begann zu ahnen, daß er seine Kräfte überschätzt hatte. Er gehörte nicht zu denen, die, ohne Schaden zu nehmen, in die Geheimnisse der andern Welt hineinzuschauen vermögen.
Immerhin war ihm wohl ein kleiner Rest Mut verblieben. Er redete sich selbst gut zu und sagte sich, der General werde ihn doch sicherlich nicht in Gefahren locken wollen. Er werde ihm nur zeigen wollen, wo der Ring sich befand. Wenn