GABALs großer Methodenkoffer. Walter Simon
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Nicht nur das Individuum sehen
Dementsprechend handeln die Arbeiter nicht nur als Individuen, sondern meist im Kontext der Gruppenbeziehungen. Das soziale Leben der Beschäftigten bezieht seine Bedeutung aus der Berufssphäre. Insofern stellt Arbeit nichts Fremdes im Leben der Menschen dar. Sozialer Status, Verbrauchsgewohnheiten, gesellschaftliche Beziehungen u. a. m. stehen mit der beruflichen Tätigkeit und dem Betrieb in engster Beziehung.
Verhalten hängt von den Normen der Gruppe ab
Jene Experimente führten zu der Erkenntnis, dass die tatsächliche Produktionsmenge industrieller Arbeit nur im losen Zusammenhang mit der möglichen physischen Tagesleistung der Arbeiter steht. Diese ist in erster Linie eine Funktion sozialer Normen, die sich in den verschiedenen Arbeitsgruppen herausbildeten. Dadurch wurde deutlich, dass Arbeit eine Gruppentätigkeit, das heißt ein sozialer Prozess, ist und das Verhalten des Arbeiters wesentlich von den Normen jener Gruppe abhängt, der er angehört.
Faktoren für die Arbeitsleistung
Der materielle Lohn und die physischen Arbeitsbedingungen sind deshalb nicht die einzigen entscheidenden Faktoren für die Arbeitsleistung. Der Wunsch nach Anerkennung, Sicherheit und echter Zugehörigkeit, nach Prestige und Status sind für den Mitarbeiter ebenso wichtig. Allein die Tatsache, im Blickpunkt der Wissenschaftler zu stehen, hatte dazu geführt, dass im Arbeitsteam ein elitäres Gruppenbewusstsein entstand, aus dem Motivation und Identifikation resultierten. Diese Folgewirkungen gingen als so genannter Hawthorne-Effekt in die industriesoziologische Diskussion ein.
Im Gegensatz zu Taylor, der sich für die Leistung des einzelnen Arbeiters interessierte, betont die Human-Relations-Schule, dass es die Organisation nicht nur mit Individuen, sondern zugleich mit Arbeitsgruppen zu tun hat, die sich nicht unbedingt mit den formellen Arbeitseinheiten decken. Die Mitglieder solcher Gruppen gehen Wechselbeziehungen ein, die nicht dem Fluss der Arbeit folgen, sondern kreuz und quer durch den ganzen Betrieb verlaufen.
Ergänzende und vertiefende Informationen zur Gruppenarbeit finden Sie im Kapitel D 2 dieses Buches.
Einfluss informeller Gruppen
Diese informellen Gruppen sind für die Human-Relations-Schule von besonderer Bedeutung, da sie nicht nur – wie schon erwähnt – den Arbeitsrhythmus ihrer Mitglieder bestimmen, sondern auch das Sicherheitsgefühl, die sozialen Verhaltensformen sowie die Bewertung der eigenen Arbeit und des Betriebes.
Kein Störfaktor
Während die tayloristische Organisationstheorie solche informellen Gruppen als Störfaktor betrachtet, sieht sie die Human-Relations-Schule als wichtig und notwendig für das betriebliche Funktionieren: „Informelle Beziehungen sind nicht zufällig und nebensächlich für den Ablauf des Betriebes, im Gegenteil: Keine Organisation vermag wirksam zu funktionieren, wenn sie nicht ein parallel laufendes, spontanes Netz zwischenmenschlicher Beziehungen enthält.“ (Roethlisberger und Dickson, in: Oetterli 1971, S. 552)
Für Zufriedenheit sorgen
Eines der Hauptziele der Human-Relations-Schule bestand nun darin, für die Zufriedenheit der Arbeitnehmer zu sorgen. Sie empfahl, die informellen Gruppenbeziehungen zu beachten. Statt starrer Organisationsstrukturen und formaler Abläufe, fordert die Human-Relations-Schule, die informellen Aspekte des Organisationsgeschehens zu erkennen.
Informelle Führer
Ein weiteres, wichtiges Resultat der Human-Relations-Experimente modifizierte auch jene Annahmen des Scientific-Managements, wonach allein Vorarbeiter, Meister oder Abteilungsleiter die Mitarbeiter führen. Bei verschiedenen Untersuchungen wurden so genannte „informelle Führer“ festgestellt, die dadurch, dass sie die Gruppennormen am besten erfüllten, aus der Gruppe herausragten und diese beeinflussten.
Platz in der sozialen Pyramide
Solche informellen Führer bilden sich heraus als Folge von informellen Wechselbeziehungen, aus denen soziale Wert- und Einschätzungen hervorgehen. Während der Arbeiter einerseits einen bestimmten räumlichen Platz einnimmt, bekommt er andererseits aufgrund solcher sozialen Bewertungsprozesse seinen sozialen Platz innerhalb der sozialen Statuspyramide zugewiesen, der nicht unbedingt mit dem Status des formell zugewiesenen Platzes übereinstimmen muss.
Drei Empfehlungen
Als Folge der Experimente ergingen diese Empfehlungen an das Management:
1 Die Mitarbeiter und insbesondere jene, die mit Führungsaufgaben betraut sind, sollen lernen, auf andere zu hören und Fragen zu stellen, die einen Überblick über gegebene Situationen ermöglichen, die eigenen Gefühle und die der anderen erkennen sowie die soziale Realität des Betriebes beobachten.
2 Untere Ränge sollten an den Entscheidungen der oberen beteiligt werden, besonders in Angelegenheiten, die sie selbst betreffen. Delegierung wird in diesem Zusammenhang auch als Mittel zur Freisetzung des schöpferischen Potenzials der Beschäftigten auf allen Ebenen des Betriebes empfohlen.
3 Auch das Führungsverhalten muss einer gründlichen Revision unterzogen werden. An die Stelle des bis dahin vorherrschenden autoritären Führungsstils sollte das Konzept „demokratischer Führung“ treten. Man war der Meinung, dass die möglichen Führungsstile anhand der Begriffe „demokratisch“, „autoritär“ und „laisser-faire“ operationalisierbar seien. Nach entsprechenden Untersuchungen – unter anderem mit Kindergruppen – gelang man zu der Erkenntnis, dass die „personenbezogene Führung“ bessere Auswirkungen auf die Produktivität hat als die „produktionsbezogene“.
Plötzliches Ende
Der Schwarze Freitag 1929 und die nachfolgende Weltwirtschaftskrise bereiteten den Experimenten ein plötzliches Ende. Dann kam der Zweite Weltkrieg. Noch bevor die breite Diskussion über die Erkenntnisse aus den Chicagoer Fabrikhallen begann, griffen die amerikanischen Manager wieder zu den ihnen vertrauten Mitteln der Kommandowirtschaft mit Befehl, Gratifikation, Sanktion und Kontrolle im Zentrum des Führungsverhaltens.
1.2 Max Webers Führungstypologie
Verschiedene Führungsstile
Ein Managementmodell deutscher Provenienz entstand in der Heidelberger Denkschmiede des Soziologen Max Weber (1864– 1920). Sein Bürokratiemodell wurde zum Organisationsgerüst aller deutschsprachigen Amtsstuben und Industriekontore vom Baltikum bis hin zum Balkan. Er war der Erste, der verschiedene Führungsstile zu erkennen meinte, begrifflich differenzierte und wie folgt beschrieb (vgl. Weber 1956):
Patriarchalischer Führungsstil
Wie ein Familienvater
Der Patriarch führt seine Mitarbeiter fast wie ein Familienvater, ohne sie an der Führung zu beteiligen. Er sieht seinen „Herrschaftsanspruch“ im bloßen Generations-, Reife-, Wissens- und Erfahrungsunterschied begründet. In der Rolle der Vaterfigur befriedigt er gleichzeitig den „Treue- und Versorgungsanspruch“ seiner „Belegschaftskinder“.
Der Koordinationsaufwand der patriarchalischen Führung ist aufgrund der einfachen Überschaubarkeit gering, doch die Effizienz in dem Sinne beschränkt, dass sie das geistige Potenzial der Mitarbeiter nur wenig beziehungsweise gar