Wettbewerbsvorteil Gender Balance. Anke van Beekhuis
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Selbstredend muss sich keiner meiner männlichen Kollegen jemals Gedanken machen, wenn er mit Arbeitern alleine ist. Bei der Begegnung unter Männern gibt es keine Respektlosigkeiten und keine Übergriffe. Und auch, wenn ich gelernt habe, diesen Unterschied zu akzeptieren, so trifft mich die Erkenntnis, wie verschieden die Gegebenheiten sind. Ich muss jederzeit damit rechnen, dass die Grenzen nicht eingehalten werden und der eine oder andere eine Handlung ausführt, die im günstigsten Fall nicht korrekt und im ungünstigsten Fall wirklich gefährlich ist.
Eine große Rolle spielt in diesem Zusammenhang natürlich auch das Thema »Alkohol«: Egal ob bei Weihnachtsfeiern oder Dachgleichen: Zu viel Alkohol kann die Stimmung kippen und manche Hemmungen fallen lassen. Gleichzeitig ist es aber wichtig, mit den Kollegen zu feiern, um – nun ja – dazuzugehören. Trotzdem trinke ich niemals mit – und muss dennoch den Schein wahren. Ab und zu lasse ich mich von den Arbeitern in ein Lokal einladen. Meistens bestelle ich hier Bacardi-Orange oder Cola-Rum und bitte an der Bar darum, nur die Säfte einzuschenken und den Alkohol wegzulassen. So habe ich mir den Ruf erworben, trinkfest zu sein. Tarnen und täuschen – ich bin nicht stolz darauf, aber es funktioniert. Und irgendwie ist es auch Selbstschutz: Hätte ich mitgetrunken, hätte ich womöglich die Kontrolle verloren.
Diese Gedanken und Erlebnisse aus meiner Zeit als Technikerin hatte ich auch im Hinterkopf, als ich mich zum ersten Mal damit beschäftigte, warum es in unserer Gesellschaft so schwierig ist, Geschlechterausgewogenheit im Management von Unternehmen anzustreben.
Ich gehe gedanklich noch weiter zurück ins Jahr 1990: Steinzeit? Ich bin eine von drei Schülerinnen unter 600 Schülern einer Technischen Schule. Wenn ich auf die Toilette muss, steht mir im gesamten Schulgebäude genau eine Damentoilette zur Verfügung. Wenn wir Unterricht in der Werkstatt im Nebengebäude haben, begleitet mich ein Lehrer zur Herrentoilette, um sicherzustellen, dass ich dort ungestört bin. Der Weg zur Damentoilette im Hauptgebäude würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Zugegeben, das alles war vor einer Ewigkeit. Heute, im Jahr 2019, ist doch sicherlich alles ganz anders, oder? Nun, zumindest, was die Anzahl der Damentoiletten betrifft …
Heute bin ich längst keine Technikerin mehr. Es hatte mich zunächst ins Marketing verschlagen, dann ins Consulting. Seit mehr als zwölf Jahren arbeite ich nun als Organisationsberaterin und habe mein eigenes Unternehmen. Neben der wirtschaftlich orientierten Beratung von mittelständischen Unternehmen wurde der Bereich »Geschlechterausgewogenes Management« mein Spezialgebiet. Ich arbeite mit Konzernen und Betrieben und erstelle »Unternehmenskulturanalysen«, um Hindernisse für Gender Balance und die damit verbundene Vielfalt an Führungsstilen auszumachen. Ein Teil der angestrebten Vielfalt ist »Female Empowerment« – also eine Unterstützung der weiblichen Belegschaft beim Ansteuern höherer Karriereziele.
Anstatt von Arbeitern bin ich nun also von Führungskräften und Vorstandsmitgliedern umgeben. Es sind Männer in Anzügen statt im Blaumann. Männer mit hoher Bildung und mit manikürten Fingernägeln. Und dennoch finde ich mich in Situationen wieder, die jenen von vor 20 Jahren stark ähneln. Selbstverständlich findet alles an anderen Schauplätzen und vor einem anderen Horizont statt, aber im Grunde ist die Problematik die gleiche geblieben: Frauen sind immer noch regelmäßig Sexismus und verbalen Übergriffen ausgesetzt. Ich entdecke mich nicht mehr selbst als Kritzelei auf Baustellenwänden, aber ich begegne vielen Frauen, die mir davon berichten, dass sie in gewisser Form immer noch als »die anderen« gelten und sich »ungleich« behandelt wissen. Viele dieser Geschichten werde ich in diesem Buch erzählen.
Raus aus den Klischeefallen
Eines möchte ich gleich zu Beginn klarstellen und damit jenen den Wind aus den Segeln nehmen, die zur einfachsten aller Ausreden tendieren, um sich diesem Thema zu entziehen: Ich bin keine Klischee-Emanze auf einem Kreuzzug gegen das männliche Geschlecht! Mein Motiv ist nicht Rache für all die Ungerechtigkeiten, die mir selbst als junge Frau widerfahren sind. Kurz gesagt: Es geht mir nicht darum, Frauen aufs Podest zu heben und Männer schlechtzumachen! Es geht mir um Balance – Geschlechterausgewogenheit. Sie ist für mich ein Schlüssel zu höheren Umsätzen von Unternehmen, weil sie Lösungen, Dienstleistungen und Produkte ermöglicht, die Kunden erreichen. Wie Unternehmen mit diesem Fokus erfolgreicher werden und diese Balance für einen größeren wirtschaftlichen Erfolg nutzen können, beschreibe ich ausführlich in den nächsten Kapiteln. Ich bin auch davon überzeugt, dass Gesellschaften, die Männer und Frauen gleichbehandeln, von dieser Ausgewogenheit profitieren und die Entwicklung von innovativeren und familientauglicheren Unternehmenskulturen begünstigen. Solche Modelle sind allerdings heute noch rar, weil wir noch immer in alten Denkmustern feststecken.
Gesellschaften, die Frauen und Männer gleichbehandeln, profitieren von dieser Ausgewogenheit.
Ein aktuelles Beispiel: Im französischen Fernsehen schob kürzlich ein männlicher Gast einer Talkshow den Rock einer neben ihm sitzenden Frau nach oben, um »mehr Quote« zu erreichen. Alle Anwesenden flüchteten sich in Gelächter und in die einhellige Auffassung, dass das wohl eine Art »freches Kompliment« gewesen sei. Nüchtern betrachtet, nahm sich der Mann – übrigens ein national bekannter Entertainer – etwas Unerhörtes heraus und tat das, was noch immer als ein Kavaliersdelikt gewertet wird: Er reduzierte die Frau – ebenfalls eine bekannte Künstlerin – auf ihr Äußeres. Oder denken Sie daran, wie oft Sie schon beobachtet haben, dass Männer bei Fotoshootings ganz selbstverständlich die Hand um die Taille einer Frau legen. Haben Sie das jemals umgekehrt gesehen? Oder haben Sie jemals zwei Männer gesehen, die sich die Hand um die Taille legen? Wenn Sie jetzt denken, das seien Kleinigkeiten, dann sind Sie im Zentrum der alten Denkmuster angekommen. Derartige Übergriffe sind keine Kleinigkeiten, sondern werden nur durch Gewohnheit als solche betrachtet. Es sind Grenzüberschreitungen, die in den Augen vieler keiner Kontrolle bedürfen, weil sie ja »nicht böse« gemeint sind.
Ich habe damals auch mit niemandem darüber gesprochen, was ich auf den Baustellen über mich ergehen lassen musste. Ich hatte diese Vorgehensweise für mich gewählt, weil ich nicht infrage stellen wollte, was anscheinend von jedem akzeptiert wird. Erst viel später wurde mir klar, dass genau das der Grund ist, warum sich eine Gesellschaft, ein System oder ein Unternehmen nicht weiterentwickelt.
Gender Balance entsteht durch ein alltägliches neues Verhalten von Männern und Frauen – durch Unterlassen und Ändern jener Kleinigkeiten, die früher »nicht der Rede wert waren«. Erst, wenn ihnen eine bestimmte Wertigkeit zugestanden wird, ist bleibende Veränderung möglich.
Zur Klarstellung: Es sind nicht nur »schreckliche Männer«, die für Starrheit im System sorgen. Es steckt auch nicht immer böse Absicht dahinter. Viel fataler ist, dass Fehlverhalten unbewusst passiert und den Beteiligten völlig normal erscheint. Auch Frauen überschreiten unbewusst Grenzen: Kleidung, die körperliche Reize preisgibt oder überbetont, irritiert Männer zwangsläufig. Kleidung spielt eine wichtige Rolle in der Vorbeugung von Sexismus. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich Frauen wie Männer kleiden sollten! Worum es wirklich geht: Wenn Äußeres zu sehr von Inhalten ablenkt, wird irgendwann nur mehr die »Hülle« beachtet.
Mir ist durchaus bewusst: Sexismus wird nie völlig abgestellt werden können. Dazu geschieht auf zu vielen Ebenen zu viel Zwischenmenschliches. Aber: Männer und Frauen können vorsichtiger und bewusster damit umgehen.
Was ist Sexismus und wo ist der Ausweg?
Der Begriff »Sexismus« umfasst Geschlechterstereotype, Affekte und Verhaltensweisen, die einen ungleichen sozialen