Scheiß auf perfekt!. Stefan Dederichs
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Es geht dabei um die Abwägung von Aufwand und Nutzen und die Frage nach dem tatsächlichen Mehrwert. Und zwar im Zusammenhang mit der Aufgabe, die du bewältigen willst. Denn: Wäre es um etwas ganz Wichtiges gegangen, einen Rekord, der unsterblich macht, oder einen Top-Job, den ich nur mit der Note 1 bekommen hätte, dann hätte ich die Ausgangslage wohl anders beurteilt. Wie wichtig sind also diese letzten Prozent, und welche Auswirkung hat es, wenn wir nicht bereit sind, die dafür notwendige Leistung zu erbringen? Natürlich ist dies eine Sache der subjektiven Einschätzung. Andere Gesellen hätten die Mühsal auf sich genommen und den notwendigen Aufwand investiert. Die Frage ist, welcher Aufwand für eine überdurchschnittliche Leistung erforderlich und notwendig ist und wo die neurotische Perfektion anfängt. Um dies zu erkennen, hilft uns zuweilen der gesunde Menschenverstand weiter, kombiniert mit der Frage nach dem Nutzen, der durch den hohen Aufwand entsteht.
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Die Frage, die wir uns immer stellen müssen, ist, ob sich der Aufwand lohnt, der notwendig ist, um die letzten 5 Prozent doch noch zu erreichen. Welchen Nutzen ziehen wir daraus? Oder ist es besser, den Mut zur Lücke zu zeigen und sich mit 95 Prozent zufriedenzugeben?
Sind Sie ein Leistungs- und Glücksverhinderer?
Als ich einem guten Freund erzählte, dass ich ein neues Buch schreibe, fragte er mich natürlich gleich neugierig, worum es darin gehe. Ich sagte ihm, dass ich über Perfektionismus schreibe, etwa darüber, ob es vielleicht sinnvoll sein könnte, in manchen Situationen seinen Perfektionsdrang zu überdenken oder anzupassen. Darauf meinte er, dass dann Menschen wie er in dem Buch nicht besonders gut wegkämen. Dies ist aber ganz und gar nicht so. Denn mir geht es nicht darum auszudrücken, dass es nur Schwarz oder Weiß gibt, und den Perfektionisten in die schlechte Ecke zu stellen und den, der fünf auch mal gerade sein lässt, in die gute. Mir geht es vielmehr darum, dass beide, der Perfektionist und der Nicht-Perfektionist, ins Nachdenken geraten. Ich möchte dazu anzuregen, den Blickwinkel zu verändern und die Perspektive zu wechseln. Vielleicht können beide voneinander lernen. Es ist zielführend, wenn wir manchmal unser eigenes Verhalten beobachten und überdenken. Dies gilt für beide Seiten. Zum einen für die Menschen, die viel zu oberflächlich durchs Leben gehen, alles viel zu schnell, chaotisch und unordentlich machen und denen ein wenig mehr Perfektionsdrang zuweilen guttäte. Und zum anderen für diejenigen, die vor lauter neurotischem Perfektionismus die Welt nicht mehr erkennen und stets und überall nach Verbesserungsmöglichkeiten suchen, um auch noch die letzten Prozentchen aus etwas herauszuquetschen. Aus meiner Sicht handelt es sich bei beiden extremen Typen um Leistungs- und Glücksverhinderer.
Ja, der oben erwähnte Freund ist tatsächlich perfektionistisch veranlagt. Ja, er pflegt manchmal neurotisch perfektionistische Ansätze. Ja, er verstrickt sich oft in Details. Ja, er überprüft Dinge häufig viel zu oft. Ja, er braucht dadurch oftmals viel länger, als er brauchen müsste. Ja, er ist manchmal sehr penetrant. Nur: Ist dieses Verhalten grundsätzlich schlecht? Ist es immer und in jeder Situation falsch? Nein, ganz im Gegenteil, es gibt Situationen, da brauchen wir genau diese Penetranz.
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Es geht nicht darum, den Perfektionismus in den Himmel zu heben, aber auch nicht darum, ihn zu verteufeln. Es geht um die richtige Entscheidung in der richtigen Situation.
Wenn ich die Welt neu erobern wollte, wenn ich ein neues Produkt schnell neu einführen müsste, dann würde ich nicht gerade meinen Freund von oben um Hilfe bitten. Bis er gestartet wäre, wäre der Markt wahrscheinlich schon von der Konkurrenz besetzt. Bis er alle Möglichkeiten abgewogen und alle Gefahren ausgeschlossen hätte, wäre der Zug längst abgefahren. Im Vergleich zu ihm bin ich in vielen Situationen genau das Gegenteil: Allzu oft agiere ich zu schnell, zu ungenau und zu oberflächlich. In einigen Situationen wäre es von Vorteil, wenn ich detailgenauer vorgehen würde, mehr Augenmerk auf die Feinheiten legen würde. Ich bin eher ein Anpacker, ein Macher, ein Sprinter. Sicherlich wäre ich bei der Einführung eines neuen Produkts immer dann der Richtige, wenn etwas schnell und zuverlässig umgesetzt werden müsste. Wenn es aber darum geht, die Strukturen, die Pläne ordentlich und sauber bis ins Detail auszuarbeiten, wenn es also um Präzision und Details geht, dann wäre er der Richtige und ich eher fehl am Platz. Entscheidend jedoch ist: Beide Verhaltensweisen und Eigenschaftsausprägungen haben ihre Daseinsberechtigung. Im Grunde brauchen wir uns sogar gegenseitig. Er braucht jemanden, der antreibt und voranschreitet, der schnell ins Handeln kommt. Und ich brauche jemanden, der hinter mir aufräumt und die Detailarbeit übernimmt. Wir würden uns also hervorragend ergänzen.
Neurotische Perfektionisten sind oft nicht in der Lage, sich über Ergebnisse zu freuen, sie glauben immer, dass es noch besser geht, dass die eigene Leistung nicht ausreicht. Sie erkennen ihre eigene Arbeit nicht an. Sie empfinden keine positiven Emotionen, wenn ein Etappenziel erreicht wurde. Sie schaffen es einfach nicht, ein gutes Ergebnis zu akzeptieren. Dies gilt für sie selbst, aber auch für andere. Im Beispiel meines Freundes ist es nicht so: Er erkennt seine Leistung an, er freut sich über das Erreichte und kann sich über positive Ergebnisse freuen. Und er findet die Grenze, wann es dann mit der Genauigkeit auch mal genug ist (zumindest meistens).
Nimm dir Zeit zum Nachdenken
Es bleibt wiederum die Frage zu beantworten, wo der gesunde und konstruktive Perfektionismus anfängt – und wo der neurotische Perfektionismus. Was fällt noch in den Bereich des wichtigen Strebens nach Qualität und was zählt schon zum destruktiven, weil blockierenden Verstricken ins Detail? Wiederum gilt: Der Unterschied ist fließend, es gibt keine klare Grenze. Beschäftige dich darum bitte mit den folgenden Fragen:
•Stellt sich bei dir nach dem Erreichen eines Ziels ein Zufriedenheitsgefühl ein?
•Empfindest du ein Gefühl von Stolz, wenn du etwas erreicht hast?
•Bist du jemand, der immer alles selbst machen möchte, weil es niemanden gibt, der es dir gut genug macht?
•Verstrickst du dich häufig so sehr ins Detail, dass du den Blick für das große Ganze verlierst?
•Kannst du Situationen, bei denen es um notwendige Genauigkeit geht, von denen unterscheiden, bei denen Detailarbeit kontraproduktiv ist?
Was glaubst du nach der Beschäftigung mit diesen Fragen? Ist dein Perfektionismus eher konstruktiv oder eher destruktiv geprägt?
Ursachen für übermäßigen Perfektionismus
Nur wenn du die Ursache für ein Verhalten erkannt hast, kannst du Veränderungen durchführen und Wachstum erleben. Wenn du weißt, dass du zu perfektionistisch bist, oder eben das Gegenteil. Wenn du die Gründe für dein Verhalten analysiert und erkannt hast, dann kannst du einschätzen, inwieweit sich dein Verhalten negativ auf dein Leben auswirkt. Wo du dich selbst bremst, wo du Leistung oder Glück durch dein eigenes Verhalten verhinderst. Erst jetzt kannst du den nächsten Schritt gehen und Veränderungen anstreben.
Veränderungen bezüglich deines perfektionistischen Verhaltens sind durchaus möglich. Denn wie du dich verhältst, ist nur zu einem Teil in deinen Genen verankert und vorherbestimmt.