Alles Recht geht vom Volksgeist aus. Benjamin Lahusen
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Und mehr noch: Savigny fand diese Anerkennung nicht nur bei den Vertretern der eigenen Zunft. Esmarch war lediglich einer von vielen, denen Savignys Schaffen Anlass für eine literarische Auseinandersetzung bot. Nicht alle waren von derselben Anbetung getragen. Aber bereits in jungen Jahren entwickelte Savigny eine Anziehungskraft, der sich seine Zeitgenossen nur selten entziehen konnten. Und da er seit ebenso jungen Jahren in enger Verbindung mit den verschiedensten Dichtern, Schriftstellern, Künstlern, und Gelehrten seiner Zeit lebte, tauchte seine Person mehr als nur einmal in literarischen Verarbeitungen auf. Man sprach von ihm, ob Johann Wolfgang von Goethe oder Heinrich Heine, ob Karoline von Günderrode oder Wilhelm von Humboldt. Ein Jurist inmitten von Denkern. Wer war diese Ausnahmegestalt?
Glückskind
Friedrich Carl von Savigny wird am 21. Februar 1779 in Frankfurt am Main geboren. Die adlige Familie stammt ursprünglich aus dem französischen Oberlothringen, war aber um die Mitte des 17. Jahrhunderts ihres protestantischen Glaubens wegen nach Deutschland gekommen. Hier lebt man über Generationen hinweg in enger Fühlung mit Ordnung und Repräsentanz des alten Reiches. Damit verbindet sich ein ansehnlicher Wohlstand, aus dem schließlich ein Reichtum erwächst, der eine sorgenfreie Existenz garantiert: Savignys Großvater heiratet in die millionenschwere Familie von Cranz ein und erbt einen beträchtlichen Teil des Vermögens, als sein Schwiegervater stirbt. Der Rest geht zunächst über auf seinen Schwager, Johann Carl von Cranz, seinerseits ein hoher Beamter, der fast 20 Jahre am kaiserlichen Hof in Wien dient. Als Johann Carl 1751 kinderlos stirbt, wird Savignys Vater Alleinerbe. Zu den Hinterlassenschaften gehört auch das Landgut Trages bei Hanau, das für die nächsten zweieinhalb Jahrhunderte zu so etwas wie dem Familiensitz der Savignys wird. Wie viele der Vorfahren reüssiert auch Savignys Vater Christian Karl Ludwig in einer Beamtenkarriere, die ihn bis in das Amt eines Geheimen Regierungsrates bringt. 1766 heiratet er die deutlich jüngere Henriette Philippine Groos, eine feinsinnige, gebildete und religiöse Frau, die ein ebenfalls bedeutendes Vermögen mit in die Ehe bringt.
Gleichwohl ist dem Paar kein frohes Leben vergönnt. Der Tod hält die Familie klein. Neun Kinder sterben noch in den ersten Lebensjahren, eine Tochter im Alter von zwölf, ein Sohn mit dreizehn Jahren; so müssen die Eltern elf Kinder zu Grabe tragen, bevor 1791 erst der Vater, nur ein Jahr später auch die Mutter sterben. Obwohl das Schicksal nur ein einziges Kind der Familie am Leben ließ, war es der Welt am Ende wohlgesinnt, indem es gerade dieses eine auswählte – Ernst Landsberg, ein früher Biograf, drückt die Dankbarkeit der Gelehrten so aus: »Mit Glücksgütern zwar reichlich ausgestattet, aber völlig verwaist blieb einzig übrig ein 13jähriger Knabe, der zum Heile der Rechtswissenschaft vom Tode verschonte Friedrich Carl von Savigny.«3
Der frühe Tod seiner Verwandten ist es auch, der dem erwählten Kind erste Erfahrungen mit dem Recht verschafft. Savigny kommt in die Obhut eines nahen Familienfreundes, Johann von Neurath, bei dem er Alternativen zu der vorgezeichneten Beamtenlaufbahn kennenlernt. Von Neurath ist Assessor am Reichskammergericht in Wetzlar, dem höchsten Gericht des alten Reiches, wo er die Tätigkeiten ausübt, die heute einem Richter zufallen. Mit dem praktischen Leben des Rechts ist er deshalb aufs Engste vertraut. Diesen Erfahrungsschatz beginnt er früh an seinen Sohn Constantin und den zwei Jahre jüngeren Savigny weiterzugeben. Schon in jugendlichem Alter erhält Savigny daher Rechtsunterricht, der sich allerdings, glaubt man den Schilderungen, vorwiegend durch Stumpfsinn auszeichnet: Auf eine lange Liste von Fragen ist eine noch längere Liste von Antworten auswendig zu lernen. Für einen freien Geist unerträglich, aber bei entsprechendem Pflichtbewusstsein trotzdem brauchbar für erste Grundkenntnisse. Zu Ostern 1795, gerade einmal 16 Jahre alt, schreibt sich Savigny an der Universität Marburg zum Studium der Rechte ein.
Die hessische Provinz freilich hat ihm keine mitreißenden Persönlichkeiten zu bieten. Bleibenden Eindruck hinterlässt nur Philipp Friedrich Weis, ein gediegener Rechtshistoriker, dessen größte Leistung vermutlich darin besteht, den Genius des Wunderkindes zu entdecken; »ausgezeichnete Talente, scharfe Beurteilungskraft und gründliche Kenntnisse im römischen Recht« veranlassen Weis, seinen jungen Schüler ohne Bedenken zum »vorzüglichsten unter allen meinen Zuhörern während meines akademischen Lehramts« zu erklären.4 Das Wintersemester 1796/97 verbringt Savigny in Göttingen, damals eine der bestangesehenen deutschen Universitäten. Sein besonderes Interesse am historischen Wachstum von Recht und Gesellschaft erhält dort weitere Nahrung durch die packenden Vorlesungen von Ludwig Timotheus von Spittler.
Die akademischen Anregungen in Göttingen sind zwar etwas vielfältiger als in Marburg; dennoch bleibt die Zeit nicht ungetrübt. Savigny begegnet erstmals einem Phänomen, das ihn zeitlebens begleiten soll. Obwohl noch keine 20, erweist sich seine Konstitution als nur eingeschränkt belastbar. Die frühe Bekanntschaft mit dem Tod hat Spuren hinterlassen; »mein Herz hat traurige Schicksale gehabt«, schreibt der junge Savigny einem Freund, nun suche er sich »hinzuhalten mit Zerstreuung und Arbeit«.5 Immer wieder verdunkelt eine tiefe Melancholie sein Gemüt, und immer wieder versucht Savigny, den aufziehenden Seelenschmerz durch besonderen Studienfleiß zu betäuben. Seine ohnehin zerbrechliche Physis ist solchen Anstrengungen auf Dauer nicht gewachsen. Das Studium in Göttingen betreibt Savigny mit einem strengen Ernst, der schließlich zu einem Blutsturz führt. Zur Erholung verbringt er den Sommer 1797 in ruhiger Abgeschiedenheit auf Gut Trages. Auf die Zielstrebigkeit seiner Zukunftspläne hat das kaum Auswirkungen. Er studiert noch knapp zwei weitere Jahre in Marburg und rundet anschließend seine Ausbildung mit einer längeren Kavaliersreise ab. Und hier nun nimmt eine wundersame Wandlung ihren Lauf. Aus dem begabten Juristen wird binnen kurzer Zeit ein allgemein verehrter Kulturschaffender.
Wanderer
Auf einer der ersten Stationen der Reise, Gut Lengfeld im Odenwald, trifft Savigny auf Karoline von Günderrode. Sie ist ein Jahr jünger als er, gleichfalls früh verwaist und hat wie Savigny einzelgängerische Neigungen, die sie jedoch auf andere Weise als er verarbeitet: Sie schreibt, leidenschaftliche, träumerische Gedichte. Savigny hinterlässt einen tiefen Eindruck bei ihr, liebevoll beschreibt sie seine »zauberischen« Augen, seinen »wunderbaren Kopf« und »den sanften Schmerz, den sein ganzes Wesen ausdrückt«.6 Die beiden tauschen einen flüchtigen Kuss, aber als es Zeit wäre, sich zu erklären, schweigt Savigny lange und fragt dann verlegen nach dem Wohlergehen von Karolines Bruder. Auch wenn Savigny sich nach seiner Abreise sogar bei Freunden über die »häuslichen Verhältnisse, Kindererziehung pp.« der Familie Günderrode erkundigt,7 bleibt er zu Karoline letztlich auf sicherer Distanz. Sein Innenleben hält er lieber verschlossen. Diese Zurückhaltung in persönlichen Dingen zeichnet sein ganzes Naturell aus; die Freunde bewundern Savignys »scharfsinnige, besonnene, gewandte, erfindsame […] Hermesnatur«, aber sie vermissen an seinem Wesen das »italienische Colorit«, jene »begeisterte und begeisternde Seligkeit, welche, das Leben verschönernd, dennoch den Tod liebt«.8 Leidenschaften, Abenteuer, Unwägbarkeiten sind seine Sache nicht.
Der verliebten Günderrode empfiehlt Savigny abschließend mit altväterlicher Verbindlichkeit, sie solle »das rechte Verhältnis der Selbständigkeit zur Hingebung« suchen.9 Was immer das heißen mag: Mit den Abgründen der jungen Dichterin will er nichts zu tun haben. Diese fühlt deutlich, »wie weit ich von dem Ideal entfernt bin, daß sich ein S. erträumen kann«;10 was von ihm in ihrem Leben bleibt, ist nicht mehr als »der Schatten eines Traumes«.11 Ein Gedicht der Günderrode erinnert an die schmerzliche Episode: »Es hat ein Kuß mir Leben eingehaucht, / Gestillet meines Busens tiefstes Schmachten, / Komm, Dunkelheit! mich traulich zu umnachten, / Daß neue Wonne meine Lippe saugt.« Der Tag bringe ihr keine Freuden, erst in den nächtlichen Träumen finde sie »süßen Balsam«. »Drum birg’ dich Aug’ dem Glanze irdscher Sonnen! / Tauch Dich in Nacht,