Alles Recht geht vom Volksgeist aus. Benjamin Lahusen
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Heinrich Heine lästert bei jeder sich bietenden Gelegenheit über den Berliner »Lakayen des altrömischen Rechts«, der ohne Sinn für den Geist der alten Gesetzgebung sich nur damit beschäftige, »die hinterlassene Garderobe derselben auszustäuben, von Motten zu säubern, oder gar zu modernem Gebrauche zurechtzuflicken«.50 Savigny sei darauf abgerichtet, »mit historischen Citaten zu heulen«,51 die vielgelobte Eleganz seines Stils sei tatsächlich »klebrichter Silverschleim den die Insekten auf dem Boden zurücklassen worüber sie hingekrochen«.52 Und in den Bruchstücken zum Wintermärchen heißt es: »Es roch nach Pudeln und Dachsen und auch / Nach Mopsen die zärtlich gelecket / Den Speichel der Macht und fromm und treu / Für Thron und Altar verrecket. / Das war ein giftiger Moderdunst, / Entstiegen dem Schinderpfuhle – / Drin lag die ganze Hundezunft, / Die ganze historische Schule.«53
Nicht weniger abfällig äußert sich der Satiriker Adolf Glaßbrenner. Aus Heines Hundezunft wird eine Horde »dummer gelehrter Wichte«, die sich als »Geschichtlinge« durch den Staub der Vergangenheit ackern. »Und stände vom freien Gedanken auch Nichts / In der langen Herrschergeschichte; / Wär’s finster gewesen vom Tag an des Lichts, / Ihr dummen, gelehrten Wichte: / Doch wollten wir Presse und Rede frei! / Wir wollten’s, die Herren auf Erden! / Mit den rostigen Freiheiten ist es vorbei; / Die Freiheit! sie muß uns werden.«54 Die Freiheit muss werden. Mit Savigny kann sie nicht werden. Er bewährt sich als Mann der alten Ordnung: in hohen Ehren bei den Machthabern, dafür immer unbeliebter beim Volk. Der politische Betrieb überfordert ihn zusehends. Seine bescheidene Zurückhaltung wirkt nun verbittert, sein Anstand verschwindet im starren höfischen Zeremoniell. Die Revolution fegt ihn 1848 aus dem Amt.
Das gute Jahrzehnt, das ihm noch bleibt, widmet er wieder ganz den Büchern, schließt angefangene Arbeiten ab, beendet letzte Vorhaben. Das 50-jährige Promotionsjubiläum wird groß begangen, der 80. Geburtstag noch größer. Der Gelehrte wird Kronsyndikus, Mitglied des Herrenhauses, er erhält den Orden vom Schwarzen Adler und den Pour le Mérite. Am 25. Oktober 1861 stirbt Friedrich Carl von Savigny in Berlin. Vertreter sämtlicher Wissenschaften erscheinen auf seiner Trauerfeier, die Kreuzzeitung erspäht außerdem »die Gesandten sämmtlicher Deutscher Höfe und die Gesandten Hollands, Belgiens, Dänemarks und Sardiniens«.55 Militär- und Staatsbeamte machen ihre Aufwartung, König und Königin erweisen ihm die letzte Ehre. Die Welt weint über einen Juristen. Am Grab ertönt ein letztes Gedicht:
»Wir grüßen Dich mit ernstem Gruß,
Du edler gottgegebener Geist!
Die Thräne ward uns zu Gesang,
Der Schmerz verklärt in Lied und Klang,
Fließt hin in Trauermelodien.
Vollendung war Dein schönes Ziel,
Du großer Meister edler Form,
Du hast vollendet! Schlackenrein
Gingst Du durch ew’ge Gnade ein
In der Vollendung Sonnenland.
Des Rechtes Acker bautest Du,
Des Geistes Korn warfst Du hinein,
Und fruchtbar bleibt die Geistessaat,
Wie oft der Ernte Sichel naht,
Sie bleibt und blüht in Ewigkeit!«56
In Ewigkeit. Sind 150 Jahre länger als die Ewigkeit? Normalerweise nicht. Aber das Recht hat seine eigene Zeit. Lange Halbwertszeiten muss man im Juristenwerk nicht suchen. Die Verwalter des Rechtswissens liefern in der Regel vergängliche Produkte; ihre Weisheiten haben sich überlebt, sobald die Gesetze geändert werden. Nur Savigny ist anders. Sein schlackenreines Werk leuchtet über allen Feldern der Zeitgeschichte. Auf dem Rechtsacker wird oft geerntet. Savignys Geistessaat ist geblieben. Welche Früchte trägt sie heute?
1Karl Esmarch, Friedrich Carl von Savigny, 1879.
2Karl Ritter von Czyhlarz, ADB 48 (1904), S. 429–432.
3Ernst Landsberg, ADB 30 (1890), S. 426; auf die Alternativschreibweise »Karl« wird hier wie auch im Folgenden nicht hingewiesen.
4Siehe Adolf Stoll, Der junge Savigny, Band 1, 1927, S. 33.
5An Constantin von Neurath, 14.1.1798, in: Stoll 1 (Fn. 4), Nr. 3, S. 62.
6An Karoline von Barkhaus, 4.7.1799, in: »Ich sende Dir ein zärtliches Pfand«. Hg. von Birgit Weißenborn, 1992, S. 49. Zur ganzen Episode siehe Dagmar von Gersdorff, »Die Erde ist mir Heimat nicht geworden«, 2006, S. 32–43; Hans Kiefner, Friedrich Carl von Savigny [I], S. 179, sowie die literarische Verarbeitung bei Christa Wolf, Kein Ort. Nirgends, 1979.
7An die Brüder Creuzer, 1.7.99, in: Stoll 1 (Fn. 4), Nr. 24, S. 97.
8Friedrich Creuzer an Frau von Heyden, 24.12.1804, in: Stoll 1 (Fn. 4), S. 53.
9An Karoline von Günderrode, 13.7.1804, Weißenborn (Fn. 6), S. 158.
10Karoline von Günderrode an Karoline von Barkhaus, 10.7.1799, ebd., S. 52 f.
11Karoline von Günderrode an Karoline von Barkhaus, 26.7.1799, ebd., S. 54 f.
12Karoline von Günderrode an Friedrich Carl von Savigny, April 1804, ebd., S. 124.
13Eugen Wohlhaupter, Savigny und Clemens Brentano, S. 19.
14Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, Drittes Buch, Neuntes Kapitel. Siehe dazu auch Horst Heinrich Jakobs, Der Ursprung der geschichtlichen Rechtswissenschaft, S. 495* f.
15Friedrich Leonhardi an Leonhard Creuzer, Brief vom 19.3.1799, in: Stoll