Alles Recht geht vom Volksgeist aus. Benjamin Lahusen
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Savigny sehnt sich »nach einer ruhigen Stätte für mich und die Meinigen und für meine Studien«.36 Das Verlangen ist so groß, dass er im Herbst 1808 überraschend einen Ruf nach Landshut annimmt, zu dieser Zeit Sitz der bayerischen Landesuniversität und nach Savignys erst kurz zuvor abgegebener Einschätzung »die widerlichste Universität, nichts als Haß und Partey, ein sehr unliterarischer Geist, und entschiedener Widerwille aller Professoren gegen das Leben an diesem Orte«,37 niemand sei dort, »der nicht lieber heute als morgen wo anders seyn möchte«.38 Savigny selbst ist insoweit keine Ausnahme. Die Kleinstadt ist provinziell, die Kollegen bieder, die Studenten rührend, aber nicht besonders anregend. Bleibenden Eindruck hinterlässt wohl nur die Schlacht zwischen Österreichern und Franzosen mit heftigen Feuergefechten im Umland und dem anschließenden Einmarsch der napoleonischen Truppen. Savigny reagiert wie gehabt: »Ich war lange Zeit ganz gelähmt«, schreibt er an Jacob Grimm, »und es wurde mir denn erst wieder wohl, als ich mich in vieler Arbeit ganz verlieren konnte, was aber auch wieder gelernt seyn wollte.«39 Ansonsten gibt es nichts, was ihn in Bayern hält. Zuletzt wird noch die häusliche Ruhe gestört, weil Clemens mit seiner neuen Frau Auguste nach Landshut kommt, wo die wahnwitzigen Eheprobleme der beiden öffentlich und ohne jede Zurückhaltung ausgetragen werden.
Die Gründung der Berliner Universität erweist sich als Segen. 1810 preist Wilhelm von Humboldt Savigny beim König als einen der »vorzüglichsten jetzt lebenden deutschen Juristen«40 und nimmt über Achim von Arnim Kontakt zu seinem Wunschkandidaten für die neue Hochschule auf. Nach Humboldts Wunsch soll Savigny noch vor Eröffnung der Universität in Berlin sein, um auf deren Einrichtung selbst Einfluss nehmen zu können. Savigny sagt sofort zu. Angenehme Erinnerungen hinterlässt Landshut erst am Ende der kurzen Episode, als die untröstlichen Studenten Savignys Hausstand einpacken und ihn auf den ersten Stationen der Reise begleiten. Bettina berichtet Goethe darüber ausführlich; als letzter Mitreisender hält sich ein junger Schwabe, der Bettina in seiner tränenreichen Verzweiflung als »die personifizierte Volksromanze« erscheint: Er winkt dem Wagen vom Wegesrand ein letztes Mal, lässt tapfer »sein kleines Schnupftüchelchen im Winde wehen«, ist aber nicht mehr imstande aufzusehen, weil »die Tränen ihn hinderten […]; die Schwaben hab’ ich lieb«.41
Preuße
Berlin begeistert Savigny, er hält die Metropole für »so schön und grandios wie kaum eine Stadt in Europa«.42 Bis zu seinem Tod, mehr als ein halbes Jahrhundert lang, wird hier nun seine Heimat sein. Gleich 1810 beginnt er zu lehren. Im Jahr darauf wird er Mitglied der Akademie der Wissenschaften und im April 1812 der Nachfolger des Philosophen Johann Gottlieb Fichte im Amt des Rektors. Es ist das Jahr, in dem der Siegeszug Napoleons in Russland endet. Die Grande Armée muss sich geschlagen geben; das von Napoleon gedemütigte Preußen sieht den Moment gekommen wiederaufzuerstehen. Am 28. März 1813, noch zur Amtszeit des Rektors Savigny, verliest der Theologe Friedrich Schleiermacher den Aufruf König Friedrich Wilhelms III. an seine Bevölkerung, die Waffen gegen die französischen Besatzer zu erheben. Die Hörsäle leeren sich darauf fast vollständig. Savigny formiert Landwehr und Landsturm. Er führt Übungen im Schießen durch, »unvergeßliche Excursionen ins praktische Leben«, wie er selbst schreibt, die aber jede normale Arbeit zum Erliegen bringen.43 Am 18. Oktober 1813, dem Tag der Leipziger »Völkerschlacht«, die Napoleons Schicksal vorerst besiegelt, legt er symbolträchtig sein Rektorat nieder. Der äußere Dienst an der preußischen Wahlheimat ist erfüllt.
Der innere Dienst freilich hat kaum begonnen. Der Wiederaufstieg Preußens soll zugleich eine Erneuerung seiner geistigen Kräfte bringen, ausgehend von der zentralen Bildungsstätte, der Berliner Universität. Aber der Wiederherstellung der untergegangenen Ordnung steht Savigny näher als dem Aufbruch in eine unbekannte Welt. Die Forderungen von 1789 vertragen sich nicht mit seinen Idealen von Ruhe, Besonnenheit und Maß; seine Wissenschaft bekommt deshalb zunehmend ein entschieden konservatives Gepräge. Dem visionären Blick, den die Reformer hoffnungsfroh nach vorne richten, hält er konsequent die rückwärtsgewandte Sicht des historisch bewanderten Gelehrten entgegen. Von neuer, liberaler oder gar revolutionärer Gesetzgebung will er nichts wissen. Nicht politische Gestaltung bringe Recht hervor, sondern der Volksgeist, in dessen tiefstem Innern das Recht organisch heranwachse wie Sprache oder Sitte. Aus dem romantischen Vokabular schmiedet er einen Schutzschild gegen jede radikale Veränderung. In Esmarch’scher Lyrik: »Wie sich zum Lichte empor die Triebe heben / Der Pflanze, wächst das Recht zu höher’m Leben / In der Gesittung Sonnenschein. / Weh’ dem, der eingreift mit entweihten Händen / In dieses Werdens stillbewegten Traum! / Doch Heil dem Recht, das frei den Gang vollenden / Vom zarten Keime mag zum mächt’gen Baum!«44
In Prosa breitet Savigny diese Gedanken 1814 in seiner Studie Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft aus, die heftige Reaktionen in sämtlichen Schattierungen zwischen jubelnder Begeisterung und wütender Polemik auslöst. Im Jahr darauf wird sie zur ideellen Grundlage der Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft, die Savigny gemeinsam mit den Berliner Kollegen Karl Friedrich Eichhorn und Johann Friedrich Ludwig Göschen ins Leben ruft, um die gleich gesinnten Denker des Landes zu einer »historischen Schule« der Rechtswissenschaft zusammenzuführen. War Savigny bisher ein bekannter Mann, so ist er nun berühmt. Sein Name dringt in alle Teile der gelehrten Welt, was er schreibt, wird postwendend in die wichtigen Kultursprachen übersetzt.45 Auf Anregung Bettinas führen deren und seine eigenen Kinder für ihn zum Geburtstag eine leibgeschneiderte Opera seria auf, in der die Götter, zermürbt von so viel Recht und Ordnung auf der Welt, beschließen, die Gerechtigkeitsgöttin Themis von Amor verwunden zu lassen. Themis wird von Amors Pfeil getroffen; sie reißt sich die Binde von den Augen, ihr Blick fällt auf Savigny, und sie verliebt sich in ihn. »Nun lassen sich auch die übrigen Götter von Savignys Größe überzeugen, ziehen zusammen nach Berlin, um ihm zu huldigen, und Themis setzt ihm im Auftrag Jupiters einen Lorbeerkranz aufs Haupt.«46 Auch im Reich der Götter schreitet Savigny selbstverständlich voran. Es bleibt auf längere Zeit die letzte dichterische Huldigung, die sein Schaffen erfährt.
Er wohnt jetzt am Pariser Platz, ist Privatlehrer des Kronprinzen, Staatsrat, Richter, Gesetzesrevisor, Mitglied der Deutschen Tischgesellschaft und fester Bestandteil des preußischen Establishments. Der Wissenschaftler wird mehr und mehr zum Honoratioren, die Tätigkeit in den Gremien und Ausschüssen absorbiert einen Großteil seiner Arbeitskraft. Einige Jahre plagt ihn zudem »ein nervöser Schmerz im Hinterkopf«,47 dazu kommt eine Nervenschwäche, »die mir jede Geistesanstrengung entweder unmöglich oder doch zur Qual macht«.48 Erst ein einjähriger Aufenthalt in Italien bringt 1828 Besserung. Aber Savigny muss weitere Schicksalsschläge hinnehmen. Anfang 1831 stirbt sein Freund, der Althistoriker Barthold Georg Niebuhr, wenige Tage darauf sein Schwager Achim von Arnim. 1835 muss er seine einzige Tochter Betine beerdigen, die ihm unter den Kindern wohl am nächsten stand.
Ein letztes Mal mobilisiert Savigny gegen den Schmerz einen verbissenen Arbeitseifer. Aber sein universitäres Leben ist bald zu Ende. 1842 wechselt er ganz in die Staatswelt, der er zu Beginn seiner Karriere die Wissenschaft vorgezogen hatte. Friedrich Wilhelm IV., sein einstiger Schüler, beruft ihn zum Minister für Gesetzgebung. Savigny gibt eine denkbar unglückliche Figur ab. Der starre Ablauf der Regierungsgeschäfte ist dem freien Gelehrten zuwider, dazu fallen seine politischen Vorstellungen immer spürbarer aus der Zeit: Die Ehe ist ihm heilig, der Adel privilegiert; der verschärften Zensur widerspricht er bloß halbherzig. Savigny setzt sich für eine Epoche ein, die bereits untergegangen ist.
Honoratior
Die