Alte Anker rosten nicht. Dagmar Maria Toschka

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Alte Anker rosten nicht - Dagmar Maria Toschka

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Krappmann. Freunde nennen mich Jo«, sagte er. »Wie wäre es mit einem Kaffee in unserer Lounge?« Er strahlte eine ruhige Wärme aus, während in mir Gefühle und Gedanken verworren umherjagten.

      Ich scheute die Nähe zu diesen Feierbiestern, die sich auf eine Schiffsreise freuten, während meine Stimmung unterhalb des Meeresspiegels lag.

      »Kommen Sie.« Seine Hand berührte sachte meinen Unterarm. Ich trat einen Schritt vom Geländer zurück und drehte mich zu ihm. Hinter ihm, in etwa 30 Metern Entfernung, stand ein junger Mann mit Meckischnitt, der einen Rettungsring in der Hand hielt. Krappmann gab ihm ein Zeichen, und er zog sich zurück.

      Wir liefen über die Brücke und kamen an meinem Taxi vorbei, das noch immer auf mich wartete. »Ich bin gleich wieder da!«, rief ich zum Fahrer und folgte dem Seemann in Richtung Schiff. Das Zahnpastawerbungsweiß der »River Diamond« schien mir der einzige Lichtblick dieses Tages, der versprach, der graueste Gründonnerstag meines Lebens zu werden. Dieses Jahr gab’s keine bunten Eier zu Ostern. Sie hagelten gerade unbemalt auf meine Seele. Steinhart gekocht.

      Längs des Hafenbeckens und entlang des Schiffes führte ein kleiner Asphaltweg mit einem Geländer. Genau darüber begann die Reling des Schiffes. So fügte sich ein Geländer über das andere. Das Deck war mit froschgrünem Teppich ausgelegt, der wie Kunstrasen aussah. Im hinteren Bereich stapelten sich weiße Plastikliegestühle. Alle paar Meter hingen an der Reling orangerote Rettungsringe. Einen davon befestigte gerade der Mecki-Mann.

      In der Mitte dieses weißen Riesen verband ein kleiner Steg aus Aluminium das Deck mit dem Festland. Er war kaum anderthalb Meter breit. Zwei Werbeflaggen flatterten rechts und links davon im Wind. Eine mit Anker, die andere mit blauem Grinsefisch auf weißem Grund. Ich erwiderte sein Lächeln nicht, schaute stattdessen hinunter in den finsteren Schacht zwischen Schiff und Hafenmauer. Kaum zwei Handbreit trennte er die Passagiere an Bord von festem Boden unter den Füßen. Offenbar war die Küche nicht weit. Der Geruch von Essen vermischte sich mit dem von Schiffsdiesel. Die Motoren liefen bereits, es war kurz vor 11 Uhr. Passagiere öffneten Fenster, lachten aufgekratzt und fotografierten einander.

      Vor dem Steg blieb ich zögernd stehen.

      »Bis jetzt hatten wir noch immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel«, sagte der Mann.

      Ich verstand nicht ganz.

      »Sie schauen auf mein Schiff, als trauten Sie ihm nicht über den Weg.«

      »Doch, doch.«

      »Für einen Kaffee können wir noch an Bord gehen. Sie müssen nur rechtzeitig wieder an Land, bevor wir ablegen.«

      »Sie werden lachen, ich besitze ein Ticket für Ihr Schiff.«

      Er kam näher.

      »Kümmert man sich um Ihr Gepäck?«

      Etwas verunsichert blickte ich in Richtung meines Taxifahrers, der mit gekreuzten Armen an seinem Auto lehnte. Krappmann winkte einem der jungen Poloshirtträger, deutete auf das Taxi und hakte mich unter. »Ich bin Ihr Kapitän und zeige Ihnen jetzt mal ganz unverbindlich die ›River Diamond‹. Danach können Sie immer noch entscheiden, ob Sie mitfahren oder nicht.«

      Etwas in mir wollte Widerstand leisten, tat es aber dann doch nicht. Halb zog er mich, halb lief ich mit.

      »Was ist mit mir?« Mein Fahrer kam am Schiff entlanggelaufen. Ich beschloss, ihn zu bezahlen, bevor sich das Taxameter wund lief. Er sollte den schwarzen Koffer meines Mannes in dessen Apotheke nach Dellbrück fahren und meinen roten zunächst an den Straßenrand stellen. Dafür drückte ich ihm 50 Euro in die Hand, sollte das nicht reichen, musste er sich den Rest in Dellbrück geben lassen.

      Johannes Krappmann, mein Kapitän, führte mich über den Steg etwa anderthalb Meter hoch auf diesen schwimmenden Vergnügungspark. Das Festland lag jetzt zwei Handbreit weit von mir entfernt. Ich drehte mich um und sah dem Taxi nach, wie es wendete und nun zu meinem Mann Adrian fuhr. Ich spürte Krappmanns Hand an meinem Ellenbogen, mit der er mich sanft über das große Deck zu einer breiten Treppe leitete, deren weiße Stufen hinunter ins Innere des Schiffs führten. Sie klangen, als seien sie aus Eisen, als wir sie betraten. An ihrem unteren Ende öffnete sich leise surrend eine breite Glastür und ich betrat die Welt der Flusskreuzfahrt. Hier war alles hell erleuchtet und in Blautönen gehalten. Passagiere wuselten wie Ameisen umher. An einer halbrunden Rezeption schräg gegenüber ballten sie sich zu einem unruhigen Pulk und stellten Fragen. Zwei kleine Jungen rannten an mir vorbei. Eine junge Frau rief ihnen nach: »Hugo, Bosse, nicht so wild!«

      Herr Krappmann zog mit mir an all dem vorbei und bog links ab in einen Gang mit großen Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten. Durch sie sah ich auf das rote Feuerwehrschiff gegenüber im Hafenbecken. Es duftete nach Kaffee und Kuchen. Zu unserer Linken lag ein Restaurant. Hinter einer Abtrennung aus Holzstreben standen Tische und Stühle. Schließlich erreichten wir eine Bar, hinter der Damen in weißen Blusen und blauen Röcken Gläser sortierten. Ihnen gab er ein Zeichen und lief weiter mit mir durch eine große, elegante Lounge. Hier war alles in hellem Blau gehalten, gemütliche Sessel luden zum Hinsetzen ein. Wir kamen zur vorderen Spitze des Schiffes, dem Bug. Bodentiefe Fenster in hellen Holzrahmen umgaben uns, die nach oben hin zusammenliefen wie zu einer Kuppel. Krappmann hielt vor zwei kleinen Sofas, die Rücken an Rücken an der Stirnseite der Lounge standen. Auf dem Sofa, das in den Raum hineinschaute, saß eine Frau mit auberginelila Haar, die ihre Schuhe ausgezogen hatte und sich gerade die Füße massierte. Sie blickte zu mir hoch. »Ist was?«

      »Nein, nein«, sagte ich schnell und setzte mich auf die andere Seite zum Kapitän. Hier saßen wir etwa zwei Meter unter Straßenniveau und schauten auf die kleine graue Brücke, von der ich mich eben noch stürzen wollte.

      Man brachte Kaffee mit Plätzchen in Form von Ankern und mir dazu einen Schirmchencocktail. Mit seiner Porzellantasse stieß Herr Krappmann an mein Glas.

      »Willkommen auf der ›River Diamond‹. Sie ist das schönste Schiff des Rheins. Und das sage ich nicht nur, weil ich es führe. Aber auch.« Sein Lächeln wirkte herzlich. Tiefe Lachfalten legten sich um seine Augen. Rund um meinen Bauchnabel regte sich etwas, was sich anfühlte wie zartes Kitzeln.

      »Vertrauen Sie mir?«, fragte er.

      »Inwiefern?«

      »Dass ich Sie sicher von einem Hafen zum anderen bringe?«

      »Das ist nicht der Punkt.«

      »Was ist der Punkt?«

      »Dass ich nicht weiß, wohin mit mir.«

      »Dann bleiben Sie doch einfach, wo Sie sind.«

      In großen Zügen leerte er seine Kaffeetasse und stand auf. »Bewegen Sie sich nicht vom Fleck. Wir müssen nur kurz ablegen, dann komme ich zurück.«

      Ich sah ihm nach. Obwohl er kraftvoll wirkte, lief er mit einer gewissen Schwere, so als trüge er bleierne Schuhe. In seiner Gegenwart fühlte sich das Leben für einen Moment lang nicht so problematisch an, und man hätte annehmen können, für jedes Problem gäbe es eine Lösung.

      Ich stand auf, versuchte, mich zu sortieren, und schaute durch den Salon mit seinem Meer von Sesseln. Überall kniehohe Beistelltische aus Mahagoni, darauf kleine Vasen mit rosa Gerbera. Wäre ich nicht gerade im freien Fall in die Hölle gewesen, hätte es mir hier gefallen können. Man brachte mir noch einen Cocktail, und ich fragte lieber nicht, was sich darin verbarg. Ich hatte nur wenig gefrühstückt und vertrug Alkohol allgemein nicht gut, ließ dessen ungeachtet aber

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