Alte Anker rosten nicht. Dagmar Maria Toschka
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Читать онлайн книгу Alte Anker rosten nicht - Dagmar Maria Toschka страница 4
»Wem?«
»Euch.«
»Wie?«
»Ich bin doch für deinen Adi eingesprungen.«
Jetzt verstand ich gar nichts mehr, und zur Vorsicht stützte ich mich am Türrahmen ab, denn ich hatte das Gefühl, keinen festen Boden mehr unter meinen Füßen zu spüren.
Behutsam zog sie mich in die Kabine zu einem Sessel. Es stellte sich heraus, dass Adrian ihr in der Frühe eine Nachricht gesendet hatte, in der er sie bat, kurzfristig statt seiner an Bord zu gehen, um mich zu begleiten. Er wollte das mit der Reederei klären, die ihr kurz darauf ein geändertes E-Ticket auf ihr Handy schickte. Hastig hatte sie daraufhin ein paar frische Kaftane in den Koffer geworfen, um ein paar Stunden später auf der »River Diamond« einzuchecken.
Erst jetzt erkannte sie, dass ich von all dem nichts wusste, und bot an, im nächsten Hafen wieder von Bord zu gehen. Von dort wollte sie per Bahn nach Hause fahren.
Ich fragte mich, ob Adi dies alles von langer Hand vorbereitet hatte. Eine Zeit lang schwiegen Maike und ich. Wie brachte ich ihr bei, dass ich jetzt nicht auf Gesellschaft eingestellt war? Sie konnte ja nicht wissen, in welche Turbulenzen sie geraten war. Unser nächster Stopp stand erst in Cochem an. Wann genau, wusste ich nicht auswendig. Sicher nicht vor morgen früh. Die Ärmste konnte nichts dafür, mit mir hier gestrandet zu sein. Ich neigte meinen Kopf zur Seite an das große Fenster hinter mir. Das Glas kühlte meine Stirn. Draußen zog gemächlich das Rheinufer an uns vorbei. Je länger ich darauf schaute, desto mehr spürte ich das leichte Wiegen des Schiffes in meinem Körper. Gleichzeitig fühlte ich mich wie losgelöst von dieser Welt.
Maike setzte sich in den Sessel neben mir. »Was ist denn passiert? An deinem Geburtstag am Freitag war doch noch alles in Ordnung. Adi schenkte dir diese Rheinfahrt. Das fand ich toll. Du hast dir immer eine Schiffsreise gewünscht.«
»Mensch, Maike, ich träumte von romantischen Abenden mit Blick auf türkisblaues Wasser, bunten Schirmchencocktails in der Hand und einer lauen Karibikbrise im Haar. Diese Reise geht von Köln nach Straßburg. Demnach steht uns eine Woche auf grauem Flusswasser bevor, mit einem Regenschirm in der Hand und einer rheinischen Schlechtwetterfront im Haar.«
Ich fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. Sie hatte recht. Letzten Freitag, vor nicht ganz einer Woche, war mein Leben noch in Ordnung. Danach kam Schritt für Schritt so etwas wie ein Tornado in Gang, der über mich hinwegfegte und meine Welt in Stücke zerlegte.
»Dann machen wir es uns an Bord gemütlich. Ist doch kein Problem. In die Karibik könnt ihr immer noch«, fand sie.
Es klopfte an unserer Kabinentür. Wir sahen uns an. Hoffentlich nicht noch ein ungebetener Gast. Maike ging durch einen kleinen Vorraum zur Tür, um zu öffnen. Das Raubein von nebenan hielt neben einem halbvollen Sektglas eine rote Plastikschachtel in der Hand, die sie meiner Cousine entgegenhielt. »Probier, die sind Weltklasse.«
Beide Frauen wirkten vertraut miteinander, so als kannten sie sich schon eine Weile.
»Linda, darf ich dir unsere Nachbarin Enni vorstellen. Wir lernten uns beim Boarding kennen und haben schon gemeinsam die Bar, ich meine das Schiff erkundet.«
Während ich überlegte, wie ich mit unserem ersten Aufeinandertreffen umgehen sollte, kam sie mit ihrer Plastikschachtel zu mir und bot mir etwas von seinem Inhalt an. Sie tat, als wäre nichts gewesen. Offenbar fürchtete sie, an Bord zu hungern, denn die Schachtel enthielt Selbstgebackenes.
»Bedien dich, Blondi, ist allerbeste Ware!«
Aus Höflichkeit folgte ich ihrer Einladung, griff in die Schachtel und nahm quasi als Friedenspfeife einen großen Schokoladenkeks heraus. Er schmeckte teigig, nach viel Butter und Vanille und roch irgendwie anders als erwartet. Es blieb ein Nachgeschmack im Mund, den ich nicht zuordnen konnte.
»Iss aber schön langsam und vielleicht nicht alles auf einmal«, riet sie.
Lustlos mümmelte ich ihr Gebäck, als eine Durchsage darauf hinwies, dass man in wenigen Minuten, um 12 Uhr, das Mittagsbuffet eröffne. Die beiden setzten sich in Bewegung, um sich schön zu machen. Ich fragte mich, wofür? Für das Essen? Den Koch? Den Kellner? Darüber musste ich mir keine Gedanken machen. Männer interessierten mich nicht mehr. Die beiden Frauen verabredeten sich an einem Fenstertisch hinter den Süßspeisen. Dort sollte es am schönsten sein. So viel hatte man erkundet. Enni ging, Maike setzte sich neben mich in einen Sessel. »Willst du mir nicht sagen, was bei euch los ist?«
Es fiel mir schwer, darüber zu sprechen, und so schlug ich vor, erst einmal essen zu gehen. In Wahrheit versetzte mir der Gedanke daran einen Schlag auf den Hinterkopf wie von einer Bratpfanne. Einer gusseisernen. Sie zögerte, verschwand dann aber ins Bad.
Bei ihrem Besuch zu meinem Geburtstag war ich noch die brave Ehefrau, die allabendlich auf ihren hart arbeitenden Gatten wartete, ihm das selbstgekochte Essen servierte und sich damit begnügte, gemeinsam mit ihm vor dem Fernseher Platz zu nehmen, ganz gleich, was das Programm uns bot. Kurz darauf wurde sein Kopf an meiner Schulter schwerer, bis er begann zu schnarchen. Seit Jahren wiederholte sich dieses Ritual allabendlich. An diesem Freitag nicht.
2. Karten lügen nicht
»Du hast nicht zufällig ein schönes Parfüm dabei?«, rief Maike durch die halb offene Badezimmertür.
Ich zog einen Flakon aus meinem Reisenecessaire, reichte ihn ihr und sah mir unsere Bleibe an, die mich an meine Studentenbude erinnerte. Die war ähnlich klein, alles befand sich auf engstem Raum. Damals spielte das keine Rolle, denn ich besaß nicht viel. Wozu sollte ich jetzt mehr benötigen? Trotzdem war ich froh, gleich neben dem Bett meinen roten Koffer stehen zu sehen, den offenbar einer der jungen Polohemdmänner an Bord gebracht hatte.
Maike kam aus dem Bad, zog etwas aus dem gegenüberliegenden Kleiderschrank und verschwand wieder.
Anders als in meiner Studentenbude dominierte diese Kabine ein immenses Doppelbett in Himmelblau. Wir zwei Frauen würden es uns teilen müssen. Und wir waren beide nicht ganz schlank. Auf den Kopfkissen lagen zwei kleine Cellophantütchen, in ihnen je ein Plätzchen in Ankerform und eins in Form eines Fisches. Dazu ein Hinweis: »Herzlich willkommen an Bord der ›River Diamond‹. Solange wir in Köln sind, bieten wir Ihnen eine ganz besondere Spezialität unseres Chefkochs an: Bierplätzchen. Achtung, enthält Spuren von Alkohol.«
Ich sah mich um. Der ganze Raum war in blauen Farbnuancen gehalten. Auf dem Teppich sprang hier und da der Kugelfisch, das Logo der Reederei, umher. Mit ihm und dem vielen Blau im Raum kam man sich vor wie im Aquarium.
Maike betrat jetzt frisch duftend in einem karminroten Kaftan den Raum. Dazu schlang sie sich ein Tuch in gleicher Farbe wie eine Beduinenfrau um den Kopf. Um den Hals hängte sie sich eine Kette aus Federn, auf deren Innenseite etwas geschrieben stand. Man sah es nur, wenn sie sich bewegte. Lesen konnte ich es nicht.
»Komm, wir genießen das Essen«, lud sie mich ein, »das soll hier super lecker sein. Und es ist alles schon bezahlt.«
Schwankend erhob ich mich aus dem Sessel. Seegang? Nicht auf dem Rhein. Die Cocktails? Das Leben? Wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Maike hakte mich unter und öffnete die Tür. Im Gang brausten Hugo und Bosse auf kleinen bunten Rollern vorbei, und ich hoffte, dass sie an die Stufen am Ende des Flurs dachten. Wir folgten ihnen weniger rasant entlang der cremeweißen Kabinentüren, vorbei an