Alte Anker rosten nicht. Dagmar Maria Toschka
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Читать онлайн книгу Alte Anker rosten nicht - Dagmar Maria Toschka страница 8
»Oh ja! Zeigen Sie mir, wo der Frosch die Locken hat.«
Der Mann trug mich. Gab’s hier eine Türschwelle? Nein, nein, falscher Film. Bei jedem Schritt wippte die Welt. Hatte Adi mich seinerzeit eigentlich über eine Schwelle getragen? Ich erinnerte mich nicht mehr, aber ich war da schon sehr schwanger und wahrscheinlich viel zu schwer. Krappi machte seine Sache gar nicht schlecht. Heidewitzka, Herr Krappitän. Eine Welle, nein, eine Treppe. Der Mann war stark, ich wog jetzt auch ohne Kind im Bauch so viel wie damals. Vor allem mein Kopf war sehr schwer geworden, der wog bestimmt zehn Kilo mehr als noch heute Morgen.
»Fliegen wir nach Curacao?«, fragte ich.
»Aber ja.«
»Jetzt?«
»Gleich morgen früh.«
»Dann muss ich packen.«
»Nach dem Duschen.«
»Ist gut.« Er trug mich durch das Flussbett, den Kabinengang entlang. »Ach Krappi, haust du Adi eine runter?«
»Mach ich.«
»Wann?«
»Gleich morgen früh.«
»Gut.«
Er ließ mich herunter, meine Knie knickten ein. Maike tauchte auf, öffnete die Tür. Die beiden legten mich auf mein Bett. Da würde ich liegen bleiben bis ans Ende meiner Tage und konnte die Fische essen, die hier überall herumsprangen. Ich müsste nicht mal aufstehen dafür. Sollte sich die Welt ruhig ohne mich weiterdrehen. Es wurde leise.
Ich hörte Wasser rauschen und rief nach Adi, bevor mir dämmerte, wo ich mich befand.
Barfuß und mit tropfenden Haaren tapste Maike, in ein Handtuch gewickelt, aus dem Bad ins Zimmer.
»Ich bin’s nur. Hast du gut geschlafen?«
»Meine Zunge wiegt ’ne Tonne.«
»Am besten kombinierst du nicht so viel Alkohol mit Ennis Plätzchen.«
Maike machte sich fertig für den Volkssport hier an Bord: essen. In diesem Fall Abendessen.
Krappmann wollte, dass ich kalt dusche. Hatte ich? Hatten wir zusammen? Ich sah an mir herunter und war nicht nur bekleidet, sondern auch trocken. Wohl nicht. Oder ich war komplett vertrocknet. Meinen Kopf anzuheben fiel schwerer als gedacht. Auch die Beine spielten nicht so richtig mit. Die paar Meter bis zum Badezimmer erschienen mir recht weit. Einmal links um die Ecke, die freundlicherweise angeschrägt war, so kam man besser um sie herum. Dies war eigentlich der Ort der kurzen Wege. Liegend zog ich mich aus. Maike half mir auf und führte mich vorsichtig ins Bad, während ich mich an der abgeschrägten Ecke entlang abstützte. Wie konnte man nur so schnell altern? Ich fühlte mich wie hundert und ließ das Wasser in der Dusche auf mich herunterregnen. Ich schlief sonst nie am Tage. Saufen bekam mir nicht. Es half auch nicht. Maike brachte mir einen der weißen Bordbademäntel. Ein wenig erschöpft nach diesem Ausflug ins Bad setzte ich mich zu ihr aufs Bett. Sie sah mich an.
»Willst du mir nicht sagen, was wirklich los ist? Ich hatte Adi ein Dutzend Mal auf meiner Mailbox. Der schien ganz durcheinander und will dringend, dass du ihn zurückrufst.«
Mit noch immer schwerer Zunge wollte ich jenes Fiasko vor ihr ausbreiten, das meine Welt seit einer Woche aus den Fugen riss. Ich begann mit der Frau im ananasgelben Mantel vor meiner Haustür, als es an unserer Kabinentür Sturm klopfte.
Maike öffnete, und Enni, unsere liebestolle Nachbarin, brauste herein. Sie war sichtlich erregt, hatte doch der schöne Herr Behorn angekündigt, an unserem Tisch hinter der Dessertabteilung auf uns zu warten, damit wir zusammen zu Abend aßen. Maike ließ sich von Ennis Freude darüber anstecken. Man war gleich der Meinung, sich beeilen zu müssen, damit sich keine anderen Frauen zu ihm setzten, das ging gar nicht. Enni wollte nur noch kurz Make-up und Haare machen und in zehn Minuten zum Tisch eilen. Maike, nun ebenfalls ganz aufgekratzt, schloss die Tür hinter ihr und verfiel in Hektik. Dass ich nun meine Geschichte nicht erzählen musste, war mir recht. Sie zog mich zu sehr runter.
»Linda, hilf mir, ein schönes Tuch für meinen Turban auszusuchen, du hast doch Sinn für Farben.«
»Dieser Sinn sagt mir, du solltest es mal mit deinen eigenen Haaren versuchen.«
»Die taugen nicht zu einer Frisur.«
Ich deutete auf ein graues Tuch. Das schien mir am unauffälligsten. Zum ersten Mal in meinem Leben war es mir egal, wie ich aussah. Wieder drängte sich mir das Bild von der Frau in Gelb auf, wie bei einer Schallplatte, die festhing und ständig dieselbe Stelle abspielte. Maike aber ließ nicht locker und zog eine weiße Bluse mit schwarzer Hose samt grünem Seidenschal, den Flori mir Freitag zum Geburtstag geschenkt hatte, aus meinem Koffer. Beides legte sie aufs Bett, und ich zog mich schließlich an. Den Schal zu tragen fiel mir schwer. Ich hängte ihn an die Garderobe, die sich gleich rechts von der Kabinentür befand.
Seit einer Afrikareise im vorigen Jahr trug Maike diese Kaftane. Bodenlange Hängekleider, die sie verhüllten und in unseren Breitengraden etwas sonderbar wirkten. Sicher waren sie bequem. Schön fand ich sie nicht. Dazu trug sie Turbane, die sie aus Tüchern wickelte. Ich fand, man hatte das Recht, im Alter ein wenig sonderbar zu werden und sich auch so zu kleiden. Sie war jetzt Mitte 50. Der Gedanke, mir könnte es ähnlich ergehen, ließ mich schaudern. Sonderbar. Wie das schon klang. Das kam kurz vor aussortiert.
Maike legte ordentlich Make-up auf, schlang sich das graue Tuch um den Kopf und hielt sich für ausgehfertig. Als wir um kurz vor 17.30 Uhr auf den Gang traten, öffnete sich die Tür einer Nachbarkabine.
»Mama, jetzt komm, ich hab Hunger«, hörte ich eine tiefe Männerstimme. Es trat ein stämmiger Herr Anfang 40 auf den Gang mit einer älteren Dame, die nicht mehr gut zu Fuß war. Ungeduldig trottete er hinter ihr her. Freundlicherweise ließen sie uns an sich vorbei, während ich mich fragte, wie es sich wohl für einen Mann anfühlte, in diesem Alter noch das Bett mit der Mutter zu teilen. Vermutlich besser, als es für den Rest seines Lebens mit niemandem mehr zu teilen. Dagegen war Maike als Bettgenossin ein richtiges Schnäppchen.
Kurz vor der Rezeption kam uns eine ernst dreinschauende Dame in dunkelblauer Uniform entgegen. In ihrem kastanienbraunen Pagenkopf steckte eine Lesebrille. Sie ergriff meine Hand, schaute mir tief in die Augen und stellte sich als die Hoteldirektorin dieses Schiffes, Heike Hurter, vor. Für eine Sekunde hellte sich ihr Blick auf, und sie schenkte mir ein freundliches Lächeln, dann senkten sich ihre Gesichtszüge wieder herab. Wenn es mir an etwas fehlen würde, solle ich sie ansprechen, sie sei für das Wohlergehen der Passagiere an Bord zuständig und immer für mich da. Was für ein schönes Versprechen, dachte ich. Hier wollte man bleiben. Jetzt ergriff sie Maikes Hand, und alles wiederholte sich. Sie bat uns zu warten, damit sich die Crew den Gästen vorstellen konnte. Deshalb blieben wir im Gang vor dem bereits gut gefüllten Restaurantbereich stehen, der jetzt mit einer Kette abgesperrt war. Durch den Raumteiler aus Holzstreben sahen wir, wie man sich an den Tischen angeregt unterhielt. Vor uns sammelten sich Mannschaftsmitglieder in Uniform. Manche sprachen russisch, ein untersetzter Herr mit Ziegenbart plapperte ein paar Brocken nach und brachte damit den Rest der Truppe zum Lachen. Bei ihm klemmte etwas im Bart, was ich nicht einordnen konnte. Als er bemerkte, wo ich hinsah, kam er auf mich zu und zeigte es mir aus der Nähe.
Ein lachender Totenkopf aus Silber klemmte seinen bereits ergrauenden Bart in der Mitte zusammen. »Das ist eine Bartperle«, erklärte er. »Fassen Sie sie