Alte Anker rosten nicht. Dagmar Maria Toschka

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Alte Anker rosten nicht - Dagmar Maria Toschka

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      3. Untergehende Fische

      »Schon eingelebt?« Mit lautem Seufzen setzte sich Kapitän Krappmann neben mich. Er roch nach Minze und Tabak. Seine Stimme klang, als würde sie ganz tief aus dem Bauch kommen und durch seinen ganzen Körper strömen. Wie ein Brummen. Er war ein Mann der kurzen Sätze. Für jeden schien er tief Luft zu holen und sie dann mit dem Satz zusammen auszustoßen. Endete der Atem, endete der Satz.

      »Man schreibt bereits Gedichte über mich«, berichtete ich.

      »Oh.« Er legte seinen Kopf ein wenig schief und sah mich streng von der Seite an. Dann gab er der Crew an der Bar, die etwa 20 Meter hinter uns stand, ein Zeichen. Dort reagierte man sofort. Es dauerte nicht lange, und eine junge Frau kam mit einem Tablett auf uns zu. Darauf zwei Kaffees und für mich ein orangefarbener Drink. Er prostete mir mit seiner Tasse zu.

      Der letzte Strohhalm, an den ich mich gerade klammerte, steckte also in einem Cocktail. Der schmeckte bitter und süß zugleich.

      »Die Sache mit dem Gedicht missfällt Ihnen?«, fragte ich.

      »Kommt darauf an, wer es schreibt.«

      Ich schaute auf seine Hand, die seine Tasse hielt. Sie war groß und kräftig, so wie er selbst, und längst nicht so gepflegt wie die von Behorn. Johannes Krappmann war ein rustikaler, handfester Mann. Hinter uns hörte ich Gäste, die vom Essen kamen. Sie verteilten sich in die Sessel und begannen Unterhaltungen. Eine Durchsage lud alle Passagiere in den Salon zu einer Sicherheitsübung ein. Krappmann klopfte mir sanft auf den Oberschenkel, er müsse wieder. Schon stand er auf, um zu gehen, was ich schade fand, denn seine Gegenwart beruhigte mich. Ich war so frei, ihm unverhohlen auf den Po zu schauen, als ich ihm nachsah. Etwas, was ich vor Jahrmillionen, kurz nach Erkalten der Erdmasse, das letzte Mal getan hatte. Bei Adi.

      Ich blieb auf meinem Sofa, harrte der Dinge, die da sicherheitstechnisch auf mich zukommen sollten, und stopfte mir eins der Kissen unter den Kopf, während sich der Salon hinter mir langsam füllte. Die hellen Holzrahmen der Fenster und das frische Blau der Möbel gaben der Lounge etwas Freundliches, auch wenn das Wetter draußen grau wirkte. Eine kleine Gruppe schob sich zwei Meter von mir entfernt ein paar Sessel zurecht. Einer von ihnen, ein Herr im dunkelgrauen Pullunder, war mir schon in der Mittagessensschlange aufgefallen. Er hörte nicht auf, sich zu beklagen, und sprach wie in einer Dauerschleife mit jedem, der sich in Hörweite befand. Allerdings trat nun ein anderer Mann hinzu, der so laut redete, dass er nicht nur den Dauerredner zum Verstummen brachte, sondern den halben Salon unterhielt. Er wolle nichts Negatives mehr hören, damit solle der Herr Dauerredner jetzt mal aufhören, es wäre Urlaub, und dieses schwimmende Luxuszuhause sei super. Der Lautredner trug eine Goldkette mit riesigen Gliedern um den Hals, in seinem Haar steckte eine bunt verspiegelte Sonnenbrille, und seine kräftigen Oberschenkel schienen seine zerlöcherten Jeans fast zu sprengen. Auf seinem schwarzen T-Shirt stand in goldenen Lettern »SAUNABOY«. Darunter ein paar Tropfen, ebenfalls in Gold, die offenbar Schweiß symbolisierten. Wo er sich positionierte, unterhielt man sich entweder mit ihm oder gar nicht. An seiner Hand zappelte eine zierliche Endzwanzigerin mit blondem Pferdeschwanz, die nicht viel sagte, dafür aber nach jedem seiner Sätze lachte. Auch sie trug eine bunt verspiegelte Sonnenbrille im Haar. Man fragte sich, wo die beiden bei dieser Wetterlage Sonne erwarteten, aber vielleicht wussten sie da mehr als ich. Er gehörte zu dem Typ Mann, der sich offensichtlich nicht unterhalten wollte. Der wollte einem nur etwas sagen. Wäre ich nicht so erledigt und vielleicht auch angetrunken gewesen, hätte ich schnell das Weite gesucht, zumindest so weit, dass ich ihm nicht mehr hätte zuhören müssen. Ich schloss die Augen.

      Irgendwann spürte ich meinen Rücken. Mühsam richtete ich mich auf. Ein junger Steward räumte Schwimmwesten weg, die Passagiere drängelten sich an der Bar. Ich musste eingeschlafen sein und wusste nun nichts darüber, wie ich zu retten war. Mist, gerade dieses Wissen hätte ich so gut gebrauchen können. Herr Behorn näherte sich mit ausgebreiteten Armen und einem strahlenden Lächeln. Seine Bräune erinnerte an sonnigere Zeiten.

      »Da sind Sie ja noch, wie schön.«

      Er stellte sich vor mich hin, schaute mir einen Moment lang schweigend in die Augen und lud mich dann zu einem Champagner ein. Während er zur Bar lief, um den zu holen, kam Maike zu mir aufs Sofa. Sie schwärmte von den tollen Drinks an der Bar und von Herrn Behorn.

      »Das ist ein richtig netter Mann. So gepflegt. Ich glaube, der ist sehr belesen.«

      Er selbst kam nicht zurück. Aber Enni mit einer lila Nylontasche. Aus der zog sie ihre Plastikdose hervor, um uns etwas aus ihrem Fundus von Selbstgebackenem anzubieten. Etwas umständlich schob sie sich einen Sessel, der schwerer war, als er aussah, zu unserem Sofa. »Nachtisch, Mädels. Der ist besser als das Zeug vom Buffet. Und das ist schon nicht schlecht.«

      Um nicht unhöflich zu sein, aber auch, weil ich inzwischen Hunger hatte, nahm ich ein paar Plätzchen. Zu dritt knabberten wir ihr Gebäck und schauten unseren Mitreisenden beim Leben zu, wie sie sich mit Getränken versorgten, lachten, miteinander plauderten und trotz der grauen Nieselsoße draußen aus den großen Fenstern fotografierten.

      Enni schleckte eines ihrer Schokoplätzchen ab. »Der Behorn, Mädels, der isses. Wie der mich ansieht, da wird mir alles feucht. So was wie den an meiner Seite traut mir niemand zu. Aber ich sage euch«, wieder streckte sie ihre Zunge heraus, um genüsslich an ihrem Plätzchen zu lecken, »den habe ich verdient nach all den Pleiten.«

      Rein äußerlich konnten die beiden kaum unterschiedlicher wirken. Behorn sah mit seiner Eleganz aus, als wäre er einer Vorabendserie entsprungen. Enni wirkte dagegen ungepflegt und wenig stilvoll. Obwohl mein letzter Drink eine Weile her war, fühlte ich mich angeheitert. Ich erhob einen Finger in Richtung Bar, und tatsächlich reagierte man darauf. Ohne dass ich mit jemandem sprach, brachte man mir einen Cocktail in Türkis. Dabei wollte ich nur Wasser. Die Alkoholversorgung lief hier wie am Schnürchen. Als Nächstes verlegte man sicher bald eine Pipeline direkt in meinen Mund. Ich wünschte Enni viel Glück mit Herrn Behorn. Es war immer schön, wenn sich jemand verliebte. Ich hatte erst mal ausgeliebt. Mein Drink schmeckte nach Curacao. Dort wollte ich immer schon einmal hin.

      »Auf nach Curacao!«, hörte ich mich rufen und griff erneut in Ennis rote Dose. Ich fing an, mich an ihre etwas herb schmeckenden Plätzchen zu gewöhnen.

      »Nicht so hastig, nimm vielleicht nicht so viele auf einmal.« Sie klang ermahnend wie eine Mutter, die verhindern wollte, dass man sich den Magen verdarb.

      Krappmann kam, und ich wollte aufstehen, um diesen aparten Mann, der die Geschicke unseres Schiffes lenkte, zu begrüßen. »Hallo, Herr Krappitän«, sagte ich, als mich unerwartet ein blauer Fisch ansprang. Nein, ich fiel ihm entgegen. Es roch plötzlich ein wenig nach Turnhalle. Ich lag auf dem Boden, Auge in Auge mit den Fischen auf dem Teppichmuster. Dieser Geruch mischte sich mit Pfefferminze und Tabak, als Krappmann sich zu mir herunter beugte. Vorsichtig versuchte er mich aufzurichten. Er rief nach einem Wasser.

      Ich schlang meine Arme um seinen Hals und zog seinen Kopf nah an mich heran. »Ich weiß leider nicht, wie man mich rettet. Habe die Einweisung verschlafen. Ist das nicht verboten?«

      »Oh ja, das ist strengstens untersagt, aber vielleicht pausieren wir mal kurz mit den Cocktails.«

      »Warum?«

      »Duschen Sie kalt.«

      »Mit Ihnen?«

      Hatte ich das wirklich gesagt? Das sah mir gar nicht ähnlich. Ich versuchte aufzustehen. Beim Versuch zu gehen flog mir jedoch einer dieser schlecht riechenden Fische wieder entgegen. Schwammen die hier überall herum? Sanken wir? Ach, was machte das schon. Dann ging ich eben unter. Adieu,

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