Alte Anker rosten nicht. Dagmar Maria Toschka

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Alte Anker rosten nicht - Dagmar Maria Toschka страница 9

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Alte Anker rosten nicht - Dagmar Maria Toschka

Скачать книгу

etwas noch nie gesehen. Er reichte mir seine Hand und stellte sich vor. »Ladislaus Stapetke, Erster Technischer Offizier an Bord.«

      Sein kugelrunder Bauch war das Einzige, was zwischen uns stand, und der zog ihn leicht vornüber, sodass mir sein Gesicht recht nahe kam. Ich beugte mich zurück und stellte mich als einfache Passagierin vor.

      »Für uns sind Sie alle etwas Besonderes«, war seine Reaktion, bevor er in die Reihe seiner Kollegen zurücktrat. Bei jedem neuen Gast unterbrachen sie ihre persönliche Unterhaltung für ein »Guten Abend« mit kurzem Lächeln. Alle trugen Uniformen mit und ohne Streifen. Auf ein Zeichen stellten sie sich hintereinander auf wie bei einer Polonaise. In dieser Stellung verharrten sie noch kurz, bis Krappmann, jetzt in blauer Kapitänsuniform, angerannt kam und sich an die Spitze dieses Zuges stellte. »Los, du Sonnensittich«, drängte ihn der Bartperlenträger. Es erklang festliche Musik, und alle marschierten in Reih und Glied ins Restaurant, wo die Gäste bereits Platz genommen hatten und schlagartig still wurden. Krappmann sprach einige Sätze der Begrüßung, gab dann das Mikro weiter an die Hoteldirektorin und verschwand wieder.

      Wir Zuspätkommer standen noch immer im Gang und sahen alles durch die Holzstreben von hinten. Es duftete nach Fleisch und leckerem Gemüse. Enni kam in Stöckelschuhen, auf denen sie so unsicher lief, dass man ihr Krücken reichen wollte. Dazu trug sie ein knielanges hochzeitskleidweißes Glitzershirt und sah aus wie eine Braut, die man aus dem Wasser gefischt hatte. Ihre Haare standen hochtoupiert vom Kopf ab. Ein Anblick zum Davonlaufen.

      Endlich durften wir zu unserem vereinbarten Tisch hinter den Desserts. In blütenweißem Hemd und lila Samtjackett saß dort bereits Herr Behorn. Er lächelte, deutete an, sich zu erheben, als wir uns an den Tisch setzten, und sagte ansonsten nichts. Er wirkte in allem, was er tat, jungenhaft und auf eigentümliche Weise unbeschwert. Auch hier am Tisch vermochte er es, die Laune seiner Umgebung positiv zu beeinflussen. Selbst einer durchhängenden Trauermaus wie mir tat er irgendwie gut.

      Noch bevor einer von uns zum Buffet aufbrach, kam eine Kellnerin mit einem Gruß aus der Küche für jeden von uns. »Lorena« stand auf ihrem Namensschild. Ich schätzte sie kaum älter als 18. Im Haar trug sie lauter bunte Plastikspängchen, mit denen sie auch die letzte Strähne am Kopf fixierte. Jedem von uns servierte sie eine kleine Pastete. Während ich sie etwas fade fand, verzog Herr Behorn sein Gesicht, lief rot an und produzierte Schweißperlen auf seiner Stirn. Hektisch griff er nach seinem Wasserglas, trank es aus, dann Wein, Sekt, was immer er in die Finger bekam. Ich machte mir Sorgen um ihn, denn er bekam kaum Luft und lief rot an. Hustend stand er auf und kam erst nach einer ganzen Weile, immer noch mit rotem Gesicht, wieder zurück. Enni hörte nicht auf, mit Anzüglichkeiten um sich zu werfen. Ich war knapp davor, mich vor Scham aus dem Fenster zu stürzen. Dieses hier ließ sich allerdings nicht öffnen. Kurz schloss ich die Augen. Als ich am Morgen dieses Tages unser Haus verließ, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass ich nicht zurückkehren konnte. Jetzt war ich hier gefangen. Zumindest bis zum nächsten Hafen.

      Ich öffnete die Augen wieder und schaute auf die kleinen, rundlichen Wellen des Wassers. Allmählich stellte sich eine Art Grundmüdigkeit ein. Vieles wurde einem einfach egal. Dieser dösige Zustand war nicht gut und auch nicht schlecht. Ich fühlte mich merkwürdig getrennt vom Rest der Welt, der da an Land geschäftig seinen Angelegenheiten nachging. So wie ich. Sonst.

      Es wurde immer dunkler draußen, hier und da waren noch Lichter an Land zu sehen, aber es wurde immer anstrengender, etwas erkennen zu wollen, bis meine Augen schließlich müde aufgaben und alles zur grau-schwarzen Einheitsbrühe erklärten.

      Der Club anonymer Steuerberaterinnen, wie ich das Vierertrüppchen Frauen im Twinset getauft hatte, ließ sich an einem der Nachbartische nieder. An ihnen sah man edle Perlen, teure Uhren und perfekte Frisuren. Ich seufzte. Meine Haare machten gerne, was sie wollten. Meine Naturkrause stand bei Regen in alle Richtungen ab, man bekam sie kaum gebändigt. Struwwelpeter war mein zweiter Vorname. Vielleicht sollte ich auch auf Maikes Turbankonzept zurückgreifen. So musste man sich nicht mehr um eine Frisur kümmern.

      Ein Paar besetzte den Tisch gegenüber. Er sehr akkurat im Strickpullunder und grauer Stoffhose mit Bügelfalte. Die junge Frau mit wallender Mähne und blutrotem Lippenstift, ein südländischer Typ mit dunkler, makelloser Haut, um einiges jünger als er. Als sie ihr kleines Jäckchen auszog, entblößte sie zarte Schultern und ein Dekolleté so tief wie der Vesuv. Sie griff mit der Hand eine Haarsträhne und strich mit einer langsamen, lasziven Bewegung an dieser herunter bis auf die Spitze ihres Busens. Dann ließ sie die Hand wie in Zeitlupe weiter an sich hinuntergleiten in den Schoß. Eine der aufreizendsten Gesten, die ich bis dahin je in der Öffentlichkeit gesehen hatte. Seitlich vom Tisch schlug sie nackte Endlosbeine übereinander. Die war niemals seine Ehefrau. Ich dachte an Adi, und mir explodierte fast das Herz.

      In diesem Moment wandte sich Herr Behorn an mich. »Endlich allein mit Ihnen.«

      Enni und Maike liefen zum Buffet. Gunnar Behorn legte seine Hand auf meinen Oberschenkel.

      »Ich bin ganz verrückt nach Ihnen«, flüsterte er.

      Für einen Moment war ich geneigt, mich umzudrehen, um zu schauen, ob noch jemand hinter mir saß, der gemeint sein könnte. Ich hatte keine Ahnung, wie ich reagieren sollte, starrte ihn nur an. Hektische Flecken breiteten sich in Windeseile über meinen Körper aus. Auch an Stellen, an denen ich sie sonst nicht kannte.

      »Sie müssen nichts sagen, ich spüre Ihr Herz«, meinte er.

      Ich spürte es auch. Es schlug Alarm. Schon schlenderte Enni unserem Tisch mit einem Haufen Pommes auf dem Teller entgegen. Behorn zog seine Hand zurück und schob mir einen Zettel zu: »Treffen Sie mich um sieben Uhr, dann zeige ich Ihnen, was ich fühle. Hier steht, wo und wann. Ich ersehne Sie.«

      So schnell und eindeutig hatte mich in meinem ganzen Leben noch niemand angebaggert.

      Er stand auf und verschwand. Seinen Zettel steckte ich schnell in meine Hosentasche, auf keinen Fall durfte Enni ihn sehen. Ich wollte ihr nicht den Traummann ausspannen. Das hätte ich ihm gleich sagen sollen. Hastig trank ich meinen Wein. Dolores’ gelber Mantel poppte wie ein Tennisball gegen meinen Kopf. Als Enni mir eins ihrer Plätzchen zum Nachtisch anbot, griff ich zu und orderte bei Spangen-Lorena einen Sex on the Beach für uns alle drei. Mit den Cocktails in der Hand zogen wir zum Musikbingo in den Salon der tausend Sessel. Ein junger Mann in Borduniform und weißem Hütchen tippte mit dem Finger ans Mikro, der Auftakt für einen wilden Unterhaltungsabend, wie er versprach. »Sie haben nur eine Pflicht: Lassen Sie die Bude brennen.« Schon dröhnte laut Oktoberfestmusik. Mitten im April. Irgendwie war alles aus dem Takt.

      Der erste Gast klatschte, zog aber sein Engagement sofort zurück, als er merkte, dass er damit alleine blieb. Ein älteres Paar in Pantoffeln nahm sich an den Händen und floh. Unser Vergnügungsoffizier tanzte wie ein Derwisch und winkte den Gästen zu, die ungerührt in ihren Sesseln saßen. Dann legte er eine Pause ein, wollte gleich mit einer Überraschung wiederkommen. Ich nahm noch ein Plätzchen. Nach einigen Minuten der Ruhe kehrte unser Sänger im engen Paillettenoverall zurück, rief einen Elvis-Abend aus und schwang seine schmalen Hüften. Tatsächlich sprangen jetzt einige Gäste auf und tanzten. Es dauerte nicht lange, und die Hälfte des Saales rockte zwischen den Sesseln. Enni und Maike suchten Gunnar Behorn. Bald sah ich sie in dem Gewirr der Leute nicht mehr. Kurz vor 19 Uhr zog ich Behorns Zettel aus der Tasche. Darauf stand, welchen Weg ich nehmen sollte, um an einen besonderen Ort des Schiffes zu gelangen, wo wir allein sein konnten. Dort wollte er auf mich warten.

      Kurz erwog ich, vom Schiff zu flüchten, aber wie? Mit rundherum nur kaltem Wasser. Draußen sah man plötzlich 1000 Lichter, die Erdölraffinerie und Chemiewerke von Wesseling erstrahlten in der Nacht. Schaute man nur aufs Wasser, wirkten die Lichter romantisch. Hob man den Blick, erlosch dieser Eindruck, und man erkannte schemenhaft Rohre, Tanks, Arbeitsflächen und Kräne. Ja, so war das mit der Romantik.

Скачать книгу