Träume von Freiheit - Ferner Horizont. Silke Böschen
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Читать онлайн книгу Träume von Freiheit - Ferner Horizont - Silke Böschen страница 13
»Florence, bitte! Nun benimm dich wenigstens einmal wie eine erwachsene Frau. Das kann ich als dein Ehemann doch wohl erwarten!«
»Und ich kann erwarten, dass du mich auch wie eine erwachsene Frau behandelst. Und mir nicht einfach die Schlüssel stiehlst. Das mache ich nicht mit. Du gibst sie mir sofort zurück!« Florence stand vor Henri und zitterte vor Wut.
»Sieh nur!«, sagte er spöttisch. »Du zitterst. Siehst du es nun ein, dass du ein kaputtes Nervenkostüm hast?«
Florence schwieg feindselig. Henri musste aufstoßen. Sein Magen. Der böhmische Rachenputzer half nicht. Gleich würde er es mit Bullrichs Magensalz versuchen. Oder besser noch: Dr. Zumpe um Rat fragen. Der Arzt wollte schließlich in einer halben Stunde hier sein.
»Erinnerst du dich noch an Frau von Weber? Wie es der armen Frau ergangen ist?« Henris Lächeln hatte etwas Boshaftes.
Natürlich erinnerte sie sich. Das Schicksal von Mathilde von Weber war wochenlang das Gesprächsthema in der feinen Gesellschaft von Dresden gewesen. Auch unter den amerikanischen Bewohnern. Florence dachte mit Schaudern an die arme Frau, die sie vor Jahren einmal während einer Soiree bei den Funckes kennengelernt hatte. Eine brünette Schönheit, sprach perfektes Englisch und war ihrem Mann, dem Enkel des berühmten Komponisten, haushoch überlegen gewesen. Dazu lebenslustig und eigensinnig. Hielt sich gern in Musikerkreisen auf. Hielt sich gern bei Musikern auf. Und hatte wohl bei einer dieser Gelegenheiten ihrem Ehemann Hörner aufgesetzt. So wurde es erzählt. Und dann war sie eines Tages verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Beinahe ein ganzes Jahr. Max von Weber erzählte, dass seine arme Frau krank sei und in einem Sanatorium zur Ruhe finden müsse. Niemand glaubte ihm. Mathilde von Weber war weggesperrt worden. Eine lästige Ehefrau hinter den vergitterten Fenstern einer geschlossenen Nervenheilanstalt. So etwas kam vor. Fast ein Jahr später kehrte Mathilde von Weber zu ihrer Familie zurück. Die vollen braunen Haare hatten graue Strähnen bekommen. Aus der temperamentvollen Frau war eine ruhige, beinahe apathische Erscheinung geworden. Florence erstarrte bei dem Gedanken.
An Schlaf war an diesem Abend nicht zu denken. Florence saß in ihrem Zimmer am Sekretär und schrieb Briefe an ihre beiden Brüder in Amerika. Sie schilderte, was sie in den vergangenen Wochen erlebt hatte und wie groß ihre Angst war, dass sie gegen ihren Willen in eine Irrenanstalt abgeschoben werden sollte. »Bitte lasst mich nicht im Stich«, schrieb sie. »Bitte lasst euch von Henri nichts erzählen. Wenn ich fort sein sollte, unternehmt alles, um mich herauszuholen. Tut es für eure Schwester! Und für ihre Kinder.« Sie läutete nach Adele.
»Adele, diese Briefe müssen Sie gleich morgen früh fortbringen, hören Sie?«
Das Dienstmädchen nickte. »Selbstverständlich, gnädige Frau.«
»Es geht um Leben und Tod.«
Adele riss die Augen auf.
»Mein Mann will mich wegsperren lassen. Er sagt, ich sei krank. Und ich kann nichts dagegen unternehmen! Heute hat er mir sogar die Schlüssel abgenommen. Ich habe nichts und bin ihm ganz und gar ausgeliefert.« Sie begann zu schluchzen. Peinlich berührt sah Adele zur Seite. So hatte sie ihre Herrschaft noch nie erlebt. Dabei verging fast kein Tag, an dem sich das Paar nicht stritt.
»Adele, Sie wissen, meine Eltern sind tot, meine Brüder in Amerika. Ich habe hier keine eigene Familie mehr. Kann ich mich auf Sie verlassen?«
Das Dienstmädchen nickte. »Selbstverständlich! Frau de Meli, ich bin so froh, dass ich bei Ihnen arbeiten darf. Natürlich bin ich behilflich.«
Florence ergriff die Hand der jungen Frau und drückte sie kurz. »Heute Abend wird Dr. Zumpe ein weiteres Mal ins Haus kommen. Er besucht meinen Mann. Bitte tun Sie mir den Gefallen und halten Sie die Ohren offen. Ich muss befürchten, dass sie ein Komplott gegen mich schmieden.«
»Ein Komplott?«
Florence nickte. »Ich habe eine Ahnung, dass mein Mann und Dr. Zumpe vorhaben, mich in eine Irrenanstalt einweisen zu lassen. Sie nennen es Maison de Santé, aber es ist nur eine schöne Umschreibung für ein Haus mit lauter Verrückten drin …« Ihre Stimme klang resigniert. »Ich kann nirgends hin. Henri könnte mich von überall zurückholen lassen. Ich bin nur eine Ehefrau.«
In Adeles Kopf ratterte es. Was sie gerade gehört hatte war schlimmer als das, was sie in den Zeitschriften las.
»Gnädige Frau, was soll ich tun?«
»Adele, es kann sehr gut sein, dass ich fliehen muss. Deshalb werde ich meinen Schmuck zusammensuchen, dazu ein bisschen Bargeld. Viel habe ich nicht. Einen Teil dieser Wertsachen werde ich in meine Kleider einnähen und einen Teil werde ich Ihnen anvertrauen. Sie dürfen mich nicht enttäuschen, hören Sie? Sie sind der einzige Mensch, der mir weiterhelfen kann in dieser Lage!« Florence’ Stimme brach.
Adele nickte. »Sagen Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann!«
Und so überlegten die beiden Frauen, an welcher Stelle in der Wohnung die wertvollen Habseligkeiten am besten versteckt werden konnten. Adele erzählte von einem losen Dielenbrett im Dienstboteneingang, das sie beim Putzen unter dem Kokosläufer entdeckt hatte. In ihrem Mädchenzimmer konnte sie die Sachen unmöglich aufbewahren. Sollte jemand die Dinge bei ihr entdecken, wäre sie ihre Anstellung und ihren tadellosen Ruf los. Dann gab Florence Adele noch zwei weitere Briefe in die Hand. Ein Schreiben war an ihre Freundin Clara Jenkins gerichtet. Ein weiteres ging an Minna von Funcke.
Florence seufzte. »Ich werde nun noch einen letzten Brief schreiben. Und ein paar Schmuckstücke in meine Kleider einnähen. Bitte, Adele, bringen Sie mir die Nähsachen!«
Das Dienstmädchen schloss die Tür und blieb noch einen Moment im Flur stehen. In ihrem Kopf sausten die Wörter durcheinander. Irrenanstalt, Komplott, Maison irgendwas. Wertsachen verstecken, Schmuck einnähen. Flucht. Adele stieß die Luft aus und tastete nach dem kleinen silbernen Kreuz an ihrer Halskette. Dann holte sie das Nähkörbchen.
7. Im Herrenzimmer
Dresden, 04. Oktober 1881
Henri ließ sich in den Sessel zurückgleiten und schloss die Augen. Das Leder knarrte unter seinem schweren Körper. Das Feuer im Kamin war fast heruntergebrannt, nur eine kleine Flamme loderte noch auf. Trotzdem schwitzte er in seinem Gehrock, den er noch immer trug, obwohl Dr. Zumpe schon vor einer Stunde gegangen war. Eine dumpfe Schläfrigkeit hielt ihn in dem Clubsessel vor dem Kamin fest. Ja, eigentlich hatte er längst ins Bett gehen wollen, aber sein ganzer Körper fühlte sich so schwach an, so erschöpft. Diese ewigen Streitereien mit Florry. Die Auseinandersetzungen mit seiner Mutter. Sein ungezogener Sohn. All das zerrte an seinen Nerven. Und auch das Gespräch mit Dr. Zumpe hatte ihn nicht beruhigen können.
Henri blinzelte und sah zur Zimmerdecke. Die Stuckrosette in der Mitte schien größer zu werden. Er versuchte, sich zu konzentrieren. Es gab zwei Stuckrosetten. Er kniff ein Auge zu. Nein, es war nur eine – in der Mitte des Raumes, fast genau über ihm. Stöhnend wischte er sich über die Stirn und richtete sich langsam auf. Das Muster der Tapete schien in Schlieren von der Wand zu gleiten. Was war nur los? Sein Mund fühlte sich trocken an. Er griff nach dem Glas, das auf dem Tischchen vor ihm stand, und nahm einen tiefen Schluck. Es war kein Wasser. Das hatte Dr. Zumpe ausgetrunken. In Henris Glas schwamm milchig-grüne Flüssigkeit. Absinth. Ja, wieder Absinth. Ja. Warum auch nicht? Wie Florence immer die Augenbrauen hochzog, sobald er sich ein Glas genehmigte. Seine Mutter war in diesem Punkt auch nicht besser. Was bildeten sich die Frauen nur ein? Er konnte selbst entscheiden, was gut für ihn war.
Henri