Träume von Freiheit - Ferner Horizont. Silke Böschen
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»So, mein Junge, probier einmal! Damit später ein echter Weinkenner aus dir wird.« Henri schob seinem Sohn das halbvolle Glas zu.
Antoinette de Meli zog die Augenbraue hoch. »Meinst du wirklich, der Junge muss jetzt schon daran gewöhnt werden?«
»Ja. In seinem Alter konnte ich schon den Unterschied zwischen einem Chardonnay und einem Rheinwein herausschmecken.«
Das Kind sah fragend zu seiner Mutter. Florence seufzte. »Henri, vielleicht sollten wir alle an diesem Tag eher Wasser trinken als Wein. Es war spät gestern.«
»Nein, nein. Lass nur! Prost, mein Junge!« Erwartungsvoll sah er zu seinem Sohn, der die Augen niederschlug und dem Wunsch seines Vaters entsprach. Nach wenigen Schlucken stellte er den Kelch wieder ab. Sein Gesicht färbte sich rot, er versuchte einen Hustenanfall zu unterdrücken. Schnell nahm Florence die Damast-Serviette und hielt sie schützend über seinen Mund. Der Junge keuchte und prustete.
Sein Vater lachte. »So schlimm schmeckt dieser Tropfen nun wirklich nicht. In diesem Weinkeller werden nur gute Weine verwahrt, nicht wahr, Mutter?«
Antoinette de Meli ignorierte ihn und schwieg. Florence antwortete an ihrer Stelle. »Henry ist noch ein Kind. Er verträgt keinen Alkohol.« Und leise fügte sie hinzu: »Sein Vater auch nicht.«
Henri funkelte sie böse an. Die Wut war wieder da. Wie diese Frau ihn nur immer wieder provozierte!
Florence drehte sich zu ihrer Schwiegermutter. »Wie geht es Mary? Ich habe sie seit bestimmt zehn Tagen nicht gesehen. Und heute ist sie leider auch nicht bei uns.«
»Auch wenn man bei Tisch nicht über Krankheiten und Gebrechen spricht«, dieser Tadel musste sein, fand Antoinette, »kann ich dir sagen, dass sie sich auf dem Weg der Besserung befindet. Aber sie muss weiterhin das Bett hüten. Sie bedauert sehr, dass sie nicht hier bei uns sitzen kann«, antwortete sie spitz. »Am Freitag war Dr. Zumpe noch einmal bei ihr. Mit jedem Tag wird es besser, ich bin sehr erleichtert.«
»Wie schön, dies zu hören!« Florence hatte die Kritik an ihrer Frage sofort verstanden und ärgerte sich über sich selbst, dass sie ihrer Schwiegermutter wieder Anlass für Kritteleien gegeben hatte. Aber sie vermisste das freundliche Gesicht ihrer Schwägerin in dieser Runde. »Gern würde ich sie in der nächsten Woche besuchen kommen, wenn es erlaubt ist«, fügte sie hinzu.
»Wir sollten besser noch eine Woche warten, denke ich. Mary hat eine schwache Konstitution. Schon als Kind musste ich mich mehr um sie kümmern als um meinen Henri. Sie gleicht ihrer Großmutter väterlicherseits nicht nur äußerlich – auch, was das Zarte angeht«, antwortete Antoinette und erinnerte sich kurz an ihre eigene Schwiegermutter, die selten das Haus verlassen hatte und früh verstorben war. Vor drei Wochen erst war Mary 42 Jahre alt geworden. Sie würde nicht mehr heiraten. Es hatte sein Gutes, eine Tochter bei sich zu behalten. Sie könnte sich um mich kümmern, wenn ich alt bin, so hatte es sich Antoinette vorgestellt. Doch nun war es umgekehrt. Auch weitere Enkelkinder konnte sie nicht erwarten. Nicht von Mary. Ein Jammer.
Antoinette tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab. Gott machte es ihr nicht leicht. Der Ehemann – ein Tunichtgut, der jedem Rock nachgestiegen war. Die einzige Tochter – schwach und blass daheim. Der Sohn – gefangen in einer Mesalliance. Die Schwiegertochter eine Erbschleicherin mit unstetem Charakter. Nur die beiden Enkelkinder gaben ihr Anlass zur Freude. Besonders die kleine Minnie, benannt nach ihr. Antoinette de Meli. Ein entzückendes kleines Mädchen, zum Glück ganz anders als die flatterhafte Mutter. Antoinette betrachtete das Kind mit tiefer Zuneigung. Die dunklen Locken, die großen Augen – eine kleine Schönheit wuchs hier heran.
Florence beobachtete ihre Schwiegermutter unauffällig. Sie wusste, wie sehr die alte Frau an Minnie hing. Zu ihr war sie zärtlich, liebevoll und nachsichtig.
Das Essen war beendet. Nun noch ein Tässchen Mokka. Die Etagere mit dem Vanillegebäck stand wie von Zauberhand auf dem Tisch. Der Haushalt von Antoinette de Meli funktionierte geräuschlos und perfekt. Bei den jungen de Melis in der neuen Wohnung in der Räcknitzstraße ging es etwas anders zu. Gott sei Dank wohnten sie jetzt nicht mehr in derselben Straße, dachte Florence oft. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie ruhig noch ein bisschen weiter wegziehen können. Doch Henri war dagegen gewesen. Und so lebten sie nun in zwei Parallelstraßen. Immer noch ein Katzensprung für Antoinette de Meli, die viel zu oft vorbeikam, um nach dem Rechten zu sehen, fand Florence.
Sie schaute aus dem Fenster. Zwischen den französischen Vorhängen mit den aufgestickten Pfauen war ein Stück blauer Himmel zu sehen. Immerhin – dann könnten sie wenigstens einen Spaziergang machen. Sie mochte die viel zu große Wohnung ihrer Schwiegermutter nicht. Die Vorliebe für strenge dunkle Möbel nach gotischem Vorbild stieß sie ab.
Nur einmal fand Florence Gefallen an neugotischen Möbeln. Im Restaurant »Hubertus« in Pillnitz, wo sie mit Baron von Geyso im vergangenen Sommer einmal zum Essen verabredet gewesen war. Sie hatten sich blendend verstanden, der Baron und Florence. Endlich einmal ein Mann, der genauso gern lachte wie sie. Er könnte ihr Vater sein vom Alter her. Aber ein fröhlicher Charakter ist keine Frage des Alters, dachte sie versonnen. Es war alles ganz harmlos. Es war alles ganz wunderbar gewesen …
»Na, freust du dich schon auf den Spaziergang? Du scheinst ja bester Stimmung zu sein«, hörte sie die Stimme von Henri. Und ihr wurde schwer ums Herz.
5. Arztbesuch
Dresden, 04. Oktober 1881, am Nachmittag
Florence stand auf dem Balkon und rauchte. Henri war im Club. Wahrscheinlich würde er erst spät am Abend nach Hause kommen. Doch ihre Schwiegermutter war schon wieder in der Wohnung und blieb einfach, auch wenn Henri gar nicht da war. Mittlerweile kam Antoinette fast täglich vorbei und verbrachte die Nachmittage in der Räcknitzstraße. Sie hatte ihr Stickzeug dabei oder etwas zum Lesen. Manchmal beschäftigte sie sich mit den Enkelkindern. Dann wieder ließ sie sich in der Küche blicken und warf einen kritischen Blick in die Planung der Mahlzeiten. Florence seufzte. Zum Glück hatte sie jetzt gerade ein paar Minuten Ruhe vor ihr. Hier, auf dem schmalen Balkon, der zum Hof hinausging, würde sie niemand sehen, glaubte sie.
Sie hörte ein Klopfen. »Gnädige Frau, hier ist der Aschenbecher, ich habe ihn sauber gemacht.« Es war die Stimme von Adele, dem Dienstmädchen. Was musste sie sich nicht alles anhören, nur wegen ein paar Rauchwölkchen am Tag. Sogar die Kaiserin von Österreich sollte eine starke Raucherin sein. Die berühmte Elisabeth mit ihren prachtvollen Haaren – Florence hatte neulich erst ein Bild von ihr in einem Modemagazin gesehen. Sie überlegte, wer ihr erzählt hatte von dem Laster der Kaiserin. Irgendjemand vom Hof des sächsischen Königshauses hier in Dresden. Florence kannte einige deutsche Herzoginnen und Gräfinnen, die im Dienste der königlichen Familie standen. Florence’ Deutsch war gut, ihre Stellung durch die Heirat mit Henri herausragend. Die de Melis wurden auch unter den Deutschen als schwerreiche, adelige Familie aus New York betrachtet. Dabei gab es das doch gar nicht. Adel in Amerika.
Sie stieß die Luft aus. Wie unwürdig, dass sie hier stehen musste für diesen kleinen Moment der Entspannung. Wenn Henri am Abend seine Zigarren rauchte, saß er im Salon und musste sich nicht rechtfertigen. Eine Frau hatte es nicht leicht, dachte sie und erinnerte sich an ein Gespräch mit ihrer Freundin Minna von Funcke, die ihr von der Frauenbewegung berichtet hatte. Unvorstellbar, was diese kämpferischen Frauen forderten: Wahlrecht, Mitbestimmung, eine richtige Ausbildung, vielleicht sogar den Zugang zur Universität. Nun, bestimmt nicht für mich, überlegte Florence. Aber vielleicht für Minnie? Wer wusste schon,