Träume von Freiheit - Ferner Horizont. Silke Böschen

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Träume von Freiheit - Ferner Horizont - Silke Böschen

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anderen lachten, während sich Florence mit dem Kapellmeister einen gespielten Wettstreit lieferte. Sogar der alte Smith und seine Frau wollten sich diesen Spaß nicht entgehen lassen und traten zu den Sängern. »Da capo! Aber etwas schneller!«, rief Florence und fuchtelte mit ihrer Zigarettenspitze in der Luft.

      Nur die Witwe Clarkson hielt sich bedeckt. Argwöhnisch beobachtete sie das Treiben. Die junge Frau de Meli umringt von Männern und Frauen. Ihr Ehemann nur umringt von zu vielen leeren Gläsern. Sie schüttelte den Kopf. Das konnte nicht gut gehen. Sie sang mit Florence im Kirchenchor und kannte sie aus der Arbeit für den Wohltätigkeitsbasar im Advent. Eine Frau in ihrer Position muss doch irgendwann einmal erwachsen werden, dachte sie. Zwei Kinder, ein Ehemann, ein Name – und was für einer! Eine feine Adresse, dazu eine Schwiegermutter, die ihr mit Rat und Tat zur Seite stand. Witwe Clarkson dachte an Antoinette de Meli. Sie waren befreundet. Ob sie ihr von diesem Auftritt ihrer Schwiegertochter heute Abend berichten sollte? Ja, besser sie würde es von ihr erfahren als von irgendjemand anderem.

      Denn glücklich war diese Ehe nicht. Das konnte jeder sehen. Der arme Henri. Er ließ sich gehen. Das konnte eine junge Frau auf die Dauer nicht aushalten. Witwe Clarkson überlegte. Vielleicht würde sie gegenüber Antoinette eine winzige Anmerkung machen über den vielen Alkohol. Dieser Absinth war das reinste Gift in ihren Augen. Warum musste Henri nur immer so viel trinken? Plötzlich fasste ihr jemand an die Schulter. Erschrocken sah die alte Dame auf. Sie sollte sich einreihen – eine Polonaise zog durch den Saal, angeführt von Florence de Meli. Witwe Clarkson schüttelte den Kopf und ließ die Tanzenden an sich vorüberziehen. Wie konnte Gott nur zwei so unterschiedliche Menschen zusammenführen? Sie seufzte. Morgen würde sie mit Antoinette sprechen.

      3. Mutter und Sohn

      Dresden, 20. Februar 1881

      Die Türklinke wurde langsam nach unten gedrückt. Ein Spalt öffnete sich. Das Kind stand in der Tür und bewegte sich nicht. Es legte beide Hände zusammen und wartete im Halbdunkel. Die Vorhänge waren noch zugezogen. Es roch nach Bitterorangen, dem Parfüm seiner Mutter. Vorsichtig betrat der Junge das Schlafzimmer. Florence lag im Bett und schlief. Der Junge trat näher und streichelte ihre Hand.

      »Mommy, bist du wach?« Seine Stimme war kaum zu hören.

      Florence drehte sich zur Seite. »Oh, Henry, mein Liebling. Lass mich noch ein wenig schlafen. Es war so spät gestern.«

      Der Junge schwieg, rührte sich aber nicht vom Fleck.

      »Wie spät ist es überhaupt?« Langsam richtete sie sich auf und rieb sich die Augen.

      »Mommy, darf ich ganz kurz zu dir kommen? Nur kurz! Heute ist Sonntag.«

      Florence klappte ihre Bettdecke hoch, Henry schlüpfte zu ihr.

      »Bei dir ist es immer so schön kuschelig.« Er schmiegte sich an seine Mutter. »Aber nichts Papa sagen, ja?« Seine Stimme klang ängstlich.

      »Natürlich nicht. Ich würde ja auch Ärger bekommen.« Florence drückte ihren Sohn an sich. »Mein großer Schatz, du! Wir halten zusammen. Aber in den Gottesdienst müssen wir trotzdem. Und später zum Mittagessen zu Großmutter Antoinette.«

      Sie spürte ein leichtes Pochen in den Schläfen. Sie sah auf die kleine verzierte Konsolenuhr auf dem Kamin. Es war kurz nach sieben. Wann waren sie nach Hause gekommen? Es war lange nach Mitternacht gewesen. Ein herrlicher Abend! Sie schloss die Augen und summte die Melodie von »Oh, Dem Golden Slippers« vor sich hin. Sie seufzte. Zum Glück war Henri zum Schluss so betrunken gewesen, dass er ihr keine Vorhaltungen mehr machen konnte. Der Absinth ist mein heimlicher Verbündeter, dachte sie kurz. Unsinn! Wenn Henri nicht immer so viel trinken würde, wäre er viel umgänglicher. So wie im Sommer 1869, als sie sich kennengelernt hatten.

      Florence erinnerte sich an den Mann mit dem vollen schwarzen Haar. Ja, er hatte damals wirklich ausgesehen wie ein italienischer Graf. Und wie charmant er gewesen war! Hatte allen Frauen den Kopf verdreht. Aber sie war es, die er wirklich gewollt hatte. Alle anderen waren doch nur Zeitvertreib gewesen. Das hatte Henri selbst gesagt. Und sie hatte ihn hinreißend gefunden. In seinem eleganten Mantel, dem Hut. Ein vollendeter Gentleman. Sie war so naiv gewesen! Florence erinnerte sich an die Reaktion ihrer Eltern, als sie davon erfuhren, dass Henri de Meli ihr den Hof machte. Die Drapers waren zurückhaltend gewesen, empfanden ihre Tochter als zu jung für eine Ehe. Doch dann hatte es gar keine andere Option mehr gegeben.

      Denn sie wusste doch nichts. Rein gar nichts. Nie hatte ihre Mutter sie ins Vertrauen gezogen. Die Freundinnen hatten nur gekichert, wenn das Thema auf die Liebe kam und auf die Wünsche eines Mannes. Und Florence selbst? Sie hatte Henri vertraut. Sich ihm anvertraut. Die heimlichen Küsse, seine zärtlichen Berührungen, wenn er sie bei Spaziergängen – weit genug entfernt von den Argusaugen seiner Mutter – an die Hand fasste oder ihren Hals liebkoste. Florence erinnerte sich, wie liebevoll er gewesen war und wie romantisch. Doch dann war da dieser Abend gewesen. Mit einem Mal war Florence hellwach. Die Kopfschmerzen wurden stärker.

      Es war der Karnevalsball gewesen. Ihr erster Kostümball. Der Höhepunkt der ausklingenden Wintersaison. Sie hatte sich als Marie-Antoinette verkleidet. Ihre Mutter war mit ihr im Petit Bazar gewesen, um die passenden Stoffe auszusuchen. Die Schneiderin hatte daraus ein Traumkostüm genäht – Florence fühlte sich wahrhaftig wie eine französische Rokoko-Königin. Die Haare waren gepudert und hochfrisiert. Und schminken durfte sie sich! Das weiß gepuderte Gesicht mit Schönheitsfleck und schwarz umrandeten Augen, dazu der zinnoberrote Mund. Henri war begeistert gewesen. Den ganzen Abend lang wollte er immerzu mit ihr tanzen, dabei hatten sich viele Verehrer in ihr Tanzkärtchen eingetragen. Aber Henri gelang es, seine Konkurrenten auszustechen. Und ihr war es ganz recht gewesen. Henri war als Pirat verkleidet – in einem weißen Rüschenhemd, ein buntes Tuch um den Hals, die Haare nach hinten gekämmt. Sogar eine Augenklappe hatte er aufgetrieben. Florence war hingerissen.

      »Du bist meine schöne Beute«, hatte er ihr ins Ohr geflüstert, sie von der Champagnerbar weggezogen und war lachend mit ihr ein Stockwerk höher geeilt in einen langen dunklen Flur. Unter sich hörten sie die Musik und die Stimmen aus dem Ballsaal. Florence fühlte sich verwegen an seiner Seite. Das hier hatte nichts zu tun mit ihren Gesangsstunden bei Frau von Hohenstein von der Semperoper. Oder dem langweiligen Deutschunterricht bei den unverheirateten Schwestern Baumann. Die meisten ihrer Mitschülerinnen mussten an diesem Abend zu Hause bleiben. Florence dagegen hatte ihren Vater so lange bekniet, bis er ihr erlaubt hatte, zum Ball zu kommen. Schließlich war sie schon 16! Es war herrlich, erwachsen zu sein.

      Henri hatte sie geküsst. Ihre rote Lippenfarbe hatte sich auf seinem Mund verteilt. Er hatte sich an sie gepresst, ihr etwas ins Ohr geflüstert, was sie nicht verstand. Florence hatte versucht, sich aus seiner Umarmung zu lösen. »Oh, Henri, es ist alles so aufregend!«, begann sie. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie drei Gläser Champagner getrunken hatte. Doch Henri schien gar nicht zuzuhören. Er war stark. Viel stärker als Florence. Sie hatte Angst bekommen. Und sich selbst gleichzeitig kindisch dabei gefunden. Sie dachte, so sei das wohl zwischen Mann und Frau. Der Mann hat dieses innere Feuer, das nur eine Frau zügeln kann. So ähnlich hatte sie es einmal in einem Roman gelesen, den ihr ihr Bruder Thomas heimlich ausgeliehen hatte. Als Henri ihre Röcke hob, hatte sie ihn fortschieben wollen. Aber Henri war wie von Sinnen gewesen. Was war nur mit ihm los? Er tat ihr weh. Sie schrie. Doch keiner hörte sie.

      Florence behielt das Erlebnis im dunklen Flur für sich. Am nächsten Tag hatte Henri ihr ein herrliches Blumenbouquet schicken lassen, dazu eine Karte mit innigen Worten der Zuneigung. Die alten Drapers waren beeindruckt gewesen. Nur ihre Brüder Thomas und Theodore mochten den Verehrer ihrer Schwester nicht. Florence brauchte ein paar Tage, bis sie ihre alte Unbekümmertheit zurückerlangte. Die Schmerzen waren vergangen. Das Blut an ihren Unterröcken hatte niemand entdeckt, sie selbst hatte sich

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