im Schlaraffenland. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу im Schlaraffenland - Heinrich Mann страница 19
Stiebitz gab ihm zwei Nummern, dann schnurrte das Rad inmitten der allgemeinen Stille. Andreas ließ sich von dem kreisenden Ring hypnotisieren, in den anfangs alles zusammengeflossen war. Allmählich waren die einzelnen Pferdchen wieder zu unterscheiden. Es deuchte ihm eine Ewigkeit, bis das Rad stand. Die Spieler neigten sich über das Geländer und riefen durcheinander.
„Fünf gewinnt!“ sagte Stiebitz ruhig.
Er begann die Gewinne auszuzahlen und legte vor Andreas zweihundertundachtzig Mark hin.
Andreas sah das Geld flüchtig an und ließ es liegen. Er fürchtete vor Freude rot zu werden und blickte möglichst gleichmütig nach dem fünften Pferdchen hin, das am Ziel stehen geblieben war. Die silberne Dame, die darauf fass und die durch ihre Haltung den Anstand mehr verletzte als sie wusste, schien ihm auffordernd zuzulächeln. Er hörte einen Spieler, der gewonnen hatte, ausrufen:
„Na, warum geht’s denn nu?“
„Pst! Nichts verderben!“ mahnte der hagere Herr, dem Andreas Dank zuschulden meinte, weil er die Fünf zuerst genannt hatte.
Man hörte nur das Geld klappern, in dem Herr Stiebitz herumrührte. Dieser wandte sich an den zunächst stehenden Spieler.
„Ich passe!“ rief man ihm entgegen, scharf und kurz nacheinander, wie ein Schnellgewehrfeuer. Als Stiebitz bei Andreas angelangt war, fühlte dieser alle Blicke auf sich gerichtet.
„Die Leute sind abergläubisch,“ sagte Andreas sich, während er ruhig Stiebitz anblickte.
„Das Rad kann stehen bleiben, wo es will. Welchen Zweck hat es, eine Nummer besonders auszuwählen. Mit Fünf habe ich Glück gehabt.“
„Fünf!“ sagte er und schob Stiebitz die zweihundertundachtzig Mark zu, die vor ihm lagen.
Eine kurze zögernde Bewegung ging durch die Versammlung, dann rief alles durcheinander:
„Fünf!“
Als Stiebitz alle Einsätze eingesammelt hatte, verlangte Türkheimer ruhig lächelnd:
„Sieben!“
„Fünf!“ sagte gleich darauf noch ein herzutretender Herr mit schönem schwarzen Vollbart. Andreas erkannte den Zionisten Liebling.
Wieder der kreisende Ring, aus dem langsam die Pferdchen auftauchten. Als das Rad stand, neigten sich abermals alle gierig über das Geländer.
„Fünf gewinnt!“
Diesmal war es unbestritten, alle außer Türkheimer gewannen. Stiebitz zahlte aus. Er legte vor Andreas einen Tausendmarkschein, einen Fünfhundertmarkschein, vier Hundertmarkscheine und drei Zwanzigmarkstücke hin. Andreas kam es vor, als ob das blasse Fett in Stiebitz’ Gesicht mit den weißen Haaren darauf, sichtlich zitterte.
Türkheimer trat auf den jungen Mann zu und reichte ihm eine Hand, während er sich mit der anderen wohlgefällig über die gefärbten rötlichen Koteletten strich.
„Ist mir ein wahres Vergnügen, mein Geld an Sie zu verlieren,“ sagte er. „Ich halte schon den ganzen Abend die Sieben, mal muss sie doch herauskommen.“
Andreas konnte ihm nur kurz danken. Er blickte verstohlen und mit heimlicher Besorgnis von Stiebitz auf sein gewonnenes Geld, das er zählte: neunzehnhundertundsechzig Mark, und dann wieder auf Stiebitz, der diesmal gleich an ihn herantrat.
Was sollte er ihm sagen? Zum dritten Mal gewinnt man nicht, dachte er, während der Besitz von so viel Geld und die Angst es zu verlieren, ihm Herzklopfen verursachte. Er hielt den Atem an und erhob die Hand zu einer möglichst kühlen, langsamen Bewegung, um Stiebitz abermals die ganze Summe zuzuschieben. Aber in der Sekunde, während seine Hand sich dem Geländer näherte, arbeitete sein Gehirn mit unerhörter Schnelligkeit.
Musste es denn sein? Offenbar war es wenig vornehm, den Gewinn sogleich in die Tasche zu schieben und davonzugehen. Es konnte ihn hier unmöglich machen oder doch sein Ansehen vernichten Alle würden darauf aufmerksam werden. Es musste also wohl sein.
Aber das Ganze? Unsinn! Plötzlich kam eine große Nüchternheit über ihn, seine Familiennüchternheit gewann rechtzeitig die Oberhand, die Nüchternheit seines Vaters, des Weinbauern, der jeden Groschen dreimal umgewendet hatte, bevor er ihn ausgab, und der froh gewesen war, wenn die Reben, die er gepflegt hatte wie Säuglinge, alle sieben Jahre einmal gut trugen. Zweitausend Mark gutes erworbenes Geld auf eine Nummer setzen, das heißt zum Fenster hinauswerfen? So dumm mochten die Berliner sein. Da hörte jede gesellschaftliche Rücksicht auf. Ehe Andreas seine ruhige Bewegung vollendet und die Banknoten berührt hatte, war er entschlossen, nur den Fünfhundertmarkschein zu opfern. Er ergriff aber bloß drei Hundertmarkscheine und reichte sie Stiebitz.
Er hatte doch nicht gezögert? Nein, es machte Niemand ein spöttisches Gesicht, aber Alle sahen gespannt aus.
„Sie spielen?“ fragte Stiebitz.
„Fünf,“ sagte Andreas, ohne nachzudenken. Das Spiel kümmerte ihn nicht mehr, die dreihundert Mark waren verloren, ein Ehrenopfer, das nur dazu dienen sollte, ihm einen guten Abgang zu verschaffen.
Diesmal empörten sich die Spieler gegen den Neuling, sie fanden seine Wagehalsigkeit zu stark. Es äußerten sich sarkastische Zweifel. Jemand sagte:
„Mit die Beene will er angeln gehn?“
Der lange hagere Herr zuckte geheimnisvoll die Achseln und verlangte dennoch Fünf. Aber es folgten ihm nur wenige.
Die Sieben lief ins Ziel. Andreas schob ruhig den ihm verbleibenden Gewinn in die Hosentasche, richtete den Kopf auf und blickte kurz um sich, mit dem Entschluss, demjenigen recht fest ins Auge zu sehen, der zu lächeln wagte. Aber sein Benehmen schien im Gegenteil etwas wie Bewunderung hervorzurufen. Als er vom Geländer zurücktrat, blinzelte ihm der Hagere, der verloren hatte und weiterspielte, neidisch nach.
„Bravo!“ hörte er hinter sich jemand sagen. Er gewahrte Türkheimer, der endlich gewonnen hatte und der ihn wieder, wie am Beginn des Abends, zu einer Begrüßung aufzufordern schien. Sie wechselten eine höfliche Verbeugung.
Als Andreas schon die Portiere ergriffen hatte, fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Herr Liebling sah ihm ernst und feierlich in das Auge, sein schwarzer Bart zitterte ein wenig, bevor er sagte:
„Halten Sie mich nicht für aufdringlich, mein lieber Herr, Herr — re…“
„Zumsee,“ ergänzte Andreas.
„Halten Sie mich nicht für aufdringlich, wenn ich Ihnen sage: Spielen Sie niemals wieder! Diese Mahnung hätte manchen vor Schaden bewahrt, wenn sie ihm rechtzeitig zu teil geworden wäre. Sie haben vielleicht bemerkt, dass dem Neuling besonderes Glück zugeschrieben wird. Welch alberner Aberglaube!“
„Du hast doch auch ein bisschen davon profitiert,“ dachte Andreas.
„Ich gebe zu, dass man einmal gespielt haben muss,“ sagte Liebling milde. „Aber nie zum zweiten Mal. Hier fängt die