Zwischen den Rassen. Heinrich Mann
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„Mai hat’s gut,“ sann Lola. „Täglich andere Kleider: und merkt nicht, dass es eigentlich alles eins ist. So hat sie auch alle Tage eine neue Liebe; und wem immer sie gelten mag: dass es Liebe, richtige Liebe ist, daran zweifelt sie nie. Wenn ich wüsste, ob ich Da Silva liebe! Manchmal ist’s nur zu klar. Kurz darauf komme ich nach Haus und denke an etwas anderes. Aber das Manchmal ist schlimm genug: es ist beschämend. Ich werde dann melancholisch, wie in der Pensionszeit, als die dicke Jenny mir gewisse Aufschlüsse gegeben hatte . . . Ich glaube, nur äußerlich halte ich mich fester; innerlich bin ich viel lockerer als Mai. Ich glaube jetzt, sie ist die bei weitem Unschuldigere. Anfangs habe ich sie ungerecht beurteilt: es war verzeihlich. Aus der anständigen Welt Ernestes plötzlich heraus — an diese südlichen Allerweltsplätze, in ein erhitzendes Durcheinander flüchtiger Begierden: jeden Tag, den ich mich nicht amüsierte, sah ich als verloren an; nur der Ehrgeiz, durch meine so plötzlich entdeckte Stimme groß zu werden, erhob mich noch; (und auch er schwindet schon, und ich will mit dem Singen heute fast nichts mehr erreichen als meine Unabhängigkeit . . .) Und nun die Frau neben mir, die ebensolch taumelndes Instinktwesen war wie die andern, ohne die Würde eines Geistes, das war meine Beschützerin, meine Freundin, meine ganze Familie, das war Mai, die schöne Mai, die ich in allen meinen Kindheitserinnerungen so poetisch in ihrer Hängematte liegen sah! Der einzige Mensch, an den ich geglaubt hatte! Ich weiß noch, wie empört ich war. Davon also hatte sie geträumt in ihrer Hängematte! Kaum ist Pai tot, stürzt sie sich, ihrer Freiheit froh, in die dümmste Unenthaltsamkeit! Um Pais willen war ich empört und bereit, sie zu hassen. Wie argwöhnisch solch ganz junges, unerfahrenes Mädchen das Leben einer Frau durchspürt: das Leben der Mutter! Als ich damals in Trouville meiner Sache endlich ganz sicher zu sein glaubte: welche Katastrophe! Mai hat einen Geliebten! In dem Gedanken saß ich wie in einem betäubenden Getöse, wie in einem Weltuntergang. Das Furchtbare, sagte ich mir, ist, dass auch ich das in mir habe und so werden muss! Was wusste ich damals? Heute habe ich fast einen Geliebten, könnte ihn jeden Augenblick haben, und wundere mich alle Morgen beim Erwachen, dass es noch nicht eingetreten ist.“
„Seitdem muss ich Mai wohl milder beurteilen. Sie ist ein Kind und wird über die gefährlichen Stellen immer nur spielend hinhuschen. Geht sie einen Schritt zu weit, erscheint ihr alsbald der tote Pai; und ich bestärke sie in ihren Gesichtern. Warum eigentlich? Doch nicht mehr um Pais willen. Auch nicht, weil Mais Aufführung mich hindern könnte, einen Mann zu finden. Das ist mir gleich. Aber ich weiß wohl warum: ich selbst bin in Gefahr und brauche Reinheit um mich her . . . Bin ich in Gefahr? Sobald ich’s ausdenke, glaube ich’s nicht mehr. Ich! Ich bin doch eine ganz andere! Auf Wesen wie die arme Mai blicke ich doch, deucht mir, ein gutes Stück hinab!“
„Jedenfalls hab’ ich sie gern. Wir sind grade im richtigen Verhältnis: dem von einem Paar Schwestern, die einander eifersüchtig schmeicheln. Ob wir uns schwer entbehren würden, ist nicht sicher. Wie schwärmte Mai die erste Zeit von Nene! Jetzt erwähnt sie ihn gemächlich und fast nur, wenn von Geld die Rede ist. Jetzt bin ich daran, die Mutterliebe zu genießen. Es tut doch wohl, wenn spät abends, nachdem man sich gekämmt hat und die Decke über sich gezogen hat, eine Mutter hereinkommt und einem küsst. Sie herzt mich lange; mir wird ganz kindlich und weich zu Sinn; dann spricht sie mir mit kleiner süßer, entzückter Stimme von ihren Erfolgen, fragt mich nach meinen: und wir sind wie zwei Kleine unterm Weihnachtsbaum.“
„Nein: für Pai nehme ich nicht mehr Partei. Ich stehe, wenn ich’s bedenke, sogar entschlossen auf Mais Seite. Erstens wohl, weil ich fühle, dass auch mit mir, wie ich geworden bin, Pai nicht sehr einverstanden wäre. Hauptsächlich aber, weil er ein Mann war und Mai unterdrückt hat. Und schließlich, mein Gott, haben die Lebenden recht. Wenn einer stirbt, versäumt er das weitere und darf nicht mehr dreinreden. Käme Pai wieder, er fände gar keine Anknüpfung mehr mit uns, glaube ich. Mai ließe sich nicht mehr so leicht in die Hängematte legen; und ich — ach, ich bin wohl auch nicht sein rechtes Kind: wie hätten wir sonst, kaum dass er tot war, den ganzen bürgerlichen Boden unter den Füßen verlieren können? Denn das taten wir doch . . .“
Lola sah sich im Zimmer um.
„So sieht’s überall aus, wo wir kampieren. Und ich sitze auf einem Koffer. Nie kommen die Koffer aus den Zimmern, und sind immer nur halb ausgepackt. Die Jahreszeit wird staubig, der Liebhaber fade: fort von hier! Wohin am Ende? Dort stehen die Ansichten von zu Hause, die Mai mitgebracht hat. Zu Hause! Wenn wir Lust bekämen, einen Ausflug dorthin zu machen, würde ich vor dem Blick auf Rio denken, dass er tatsächlich unvergleichlich schöner ist als der auf Neapel; würde von einem Hotel, wo alles wäre wie in diesem hier, auf Sehenswürdigkeiten ausgehen, die Hitze unerträglich finden und gelassenen Abschied nehmen. Etwas anderes wäre es vielleicht mit der Großen Insel; aber die Pflanzung ist verkauft . . . Wohin also am Ende? Danach frage ich, scheint mir, zum ersten Mal. Fange ich etwa an, zu ermüden? Mais Kindernerven hab’ ich nicht grade. Aber das Ende bekommt wohl nur Interesse für mich, weil ich wissen möchte, wo das enden soll, was ich jetzt erlebe.“
„Sehen wir doch nach: geht mich der Mensch wirklich so viel an? Wäre er in Venedig noch so unentbehrlich, wie er’s hier in Barcelona ist? Die Grimani hat uns für Juli eingeladen. Oder was meine ich zu Paris? Das ist noch immer das Amüsanteste . . . Ich glaube, es ginge.“
Eine junge Männerstimme ward hörbar. Lola erhob sich hastig.
„Nein, es geht nicht.“
Leicht vorgeneigt, mit fiebrigem Spiel der Finger an der langen Halskette, blickte sie auf die Tür. Es klopfte.
„Gehen Sie in den Salon, bitte. Ich komme gleich.“
Sie machte einige zornige Schritte.
„Warum muss ich auch grübeln! Jedes Mal, wenn ich gegrübelt habe, bin ich schwach und gebe ihm dann Anlass, sich einzubilden, was doch nicht wahr ist . . . O, heute Abend soll er keinen Vorteil davontragen!“
Sie hatte sich beruhigt und ging hinüber. Mit offenem Lächeln begrüßte sie den Besucher.
„Gnädiges Fräulein — da ist alles;“ und er zeigte nach dem Paket auf dem Klavier. „Der Bote ist gleich mit mir gekommen.“
„Ist alles darin . . . und wird es mir passen?“
Anstatt nach dem Paket zu sehen, betrachtete sie, und ihr Lächeln ward wider ihren Willen noch glücklicher, sein schönes, groß gemeißeltes, fast bartloses Gesicht, in dem die Brauen sich berührten. Auch er gebrauchte seine Worte nur als einen Vorwand, sie anzusehen.
„Ich bin überzeugt . . . Es sind genau die Maße, die Sie mir genannt haben.“
Sie bewegte leise, wie verwundert, ihren lächelnden Kopf. Endlich, sich losreißend:
„Es ist gut.“
Rasch ergriff sie das Paket. Er stürzte sich darauf.
„Ich trage es Ihnen hinüber.“
„Doch nicht;“ ihr Lächeln ward schlau. „Sie bleiben hier . . . und . . .“
Sie legte, unter der Tür, den Finger auf die Lippen.
In ihrem Zimmer zog sie die Männerkleider an, die Da Silva mitgebracht hatte. Sie verbarg die Brust in den Falten des weichen Piquéhemdes, das Haar unter der halblangen Jünglingsperücke, setzte den runden Hut auf, hängte das Stöckchen über den Arm und trat vom Spiegel zurück, um sich zu mustern. Da stand im gutsitzenden Abendanzug etwas wie ein eleganter Student, mit duftigen Gesichtsfarben und