Abara Da Kabar. Emil Bobi

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Abara Da Kabar - Emil Bobi

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nicht auf, weil es dort nicht gespeichert ist und daher nicht aufgerufen werden kann.«

      »Ok. Das Tier hat kein Archiv im Kopf zum Nachschauen.«

      »Ja. Also, hör zu«, überging sie mich, »ein pausenloser, endloser, unermesslicher Strom aus Eindrücken und Reizen und Bildern fließt durch dein Hirn und erzeugt ein körperliches Echo. Das heißt, du spürst deine Wahrnehmungen. Du siehst Formen und Farben und spürst das auch. Du registrierst Veränderungen. Du bemerkst, wenn Helligkeit zu- oder abnimmt, du nimmst Schwankungen von Lautstärke und Temperatur wahr, du registrierst Räumlichkeit. All das durchströmt dich und verschwindet wieder ohne Halt zu machen. Es wird von neuen, nachströmenden Eindrücken verdrängt. Dein Kopf ist wie eine Mühle oder ein Kraftwerk, durch die ein Bach fließt und wenn die Schaufeln des Mühlrades hineingreifen, flackern Lichter auf. Da fließt eine simultane Suppe aus Wahrnehmungen, die keinen Bestand haben und keinen Sinn machen, weil sie hereinströmen und wieder hinausströmen, ohne angehalten und identifiziert zu werden. Du nimmst das alles wahr, aber du begreifst nichts, weil du es nicht mit einem Kennwort identifizierst.«

      Sie machte eine Pause, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Wenn du nun ein passendes Gefäß nimmst und etwas aus dem Strom schöpfst, hast du es angehalten. Du isolierst diesen herausgefischten Inhalt vom Rest des Stromes und gibst ihm Bestand. Der Strom fließt weiter, aber der Inhalt in deinem Gefäß bleibt da. Er wird vom Gefäß festgehalten. Du hast ihm eine stabile Form gegeben und damit Kontinuität. So ist der Inhalt wiederverwendbar.«

      Ich nickte. Ich hing an ihren Lippen und dachte an keinen Kellner mehr.

      »Und nun«, sagte sie, »ist es sehr einfach: ein Wort ist ein solches Gefäß. Diese Wortgefäße geben Form und Bedeutung. Mit diesen Wort-Formen benennst du etwas Vorbeiströmendes und gibst ihm Identität und Bestand. Du hältst es fest, wie man so schön sagt. Diese schöpfenden Wortgefäße machen etwas Unbestimmtes zu einem Gegenstand. Du begreifst eine fließende, namenlose Wahrnehmung, indem du sie mit einem passenden Gefäß anhältst und herausholst. Begreifen heißt nach Treibgut greifen – und es zu identifizieren durch Bezeichnung, durch Namensgebung. Es ist, wie wenn du ein verschwommenes Bild scharfstellst.«

      Ich holte Luft, um anzusetzen, etwas zu sagen, doch sie hob abwehrend die Hand.

      »Jetzt kommt noch das Entscheidende. Das Verstehen. Welche Prozesse laufen ab, wenn du etwas verstehst? Also, wie gesagt: du hast zum Beispiel eine große, hölzerne Pflanze mit dem Wortgefäß ›Baum‹ festgehalten und gespeichert. Der ist in deinem Hirn jetzt vorrätig. Jetzt bist du gerüstet. Wenn nun wieder einmal eine dieser hölzernen Pflanzen im Strom vorbeitreibt, klingelt es in deinem Kopf und ein Treffer wird gemeldet, weil das Gehirn alle hereinkommenden Eindrücke mit bereits vorhandenen abgleicht. Etwas verstehen bedeutet nichts anderes, als etwas im Hirn bereits Gespeichertes draußen in der Welt wiederzuerkennen. Denn etwas nicht Gespeichertes kannst du nicht erkennen.«

      Sie beobachtete die Wirkung ihrer Worte und wiederholte in mein stummes, langsames Nicken hinein: »Du hast eine große, hölzerne Pflanze mit der Lautkreation ›Baum‹ im Hirn eingelagert. Wenn wieder einmal einer vorbeitreibt, legst du die gespeicherte Schablone aus deinem Kopf-Archiv drüber und wenn sie passt, leuchtet ein Lichtlein auf und du erkennst ihn als Baum. Verstehen heißt also, eine Wahrnehmung sprachlich zu wiederholen, empfangene Eindrücke mit vorhandenen Wörtern zu reproduzieren und wiederzugeben und sie so zu fixieren.«

      Ich sagte: »Wow.« Und nach einer Atempause sagte ich noch einmal: »Wow. Begreifen heißt nichts anderes, als Eindrücke in Ausdrücke zu verwandeln?«

      Sie klatsche in die Hände: »Exakt! Kluges Kerlchen! Genau das, was du jetzt gemacht hast, ist begreifen. Es ist Sprache geben.«

      Sie glitzerte wieder. Während ihrer Ausführungen hatte sie fremd und abwesend gewirkt und ihr reizendes Wesen war in den Schatten ihrer Konzentration verschwunden. Aber da war sie wieder und freute sich, dass ich ihr tapfer folgte. Diese Frau war keine Lexikostatistik-Tussi. Das war keine Erbsenzählerin. Das war ein Lichtwesen. Aber in diesem seltsamen Gasthaus war einfach kein Kellner zugegen und diese Dame da hungerte, während sie mein Bewusstsein aufblies wie eine halluzinogene Droge. Sie war wie LSD mit Lippen aus zerknittertem Seidenpapier.

      Ich überprüfte, ob mein neues Wissen funktionierte: »Ok, ich sehe einen Baum und denke, das ist ein Baum. Das kann ich aber nur, weil ich den Begriff ›Baum‹ gespeichert habe. Und das nennt man einen Gedanken?«

      Sie freute sich wie eine Volksschullehrerin, schüttelte aber den Kopf und präzisierte: »Gedanken sind eher ganze Wortfolgen.«

      Ich fuhr fort, mehr zu mir selbst: »Etwas fassen heißt, es in Worte fassen.« Ich starrte ins Leere. Dann sagte ich: »Der Unterschied zwischen unbewusster und bewusster Wahrnehmung heißt Sprache.«

      Sie lächelte nickend. »Auffassungsgabe«, sagte sie, »ist die Fähigkeit, etwas lose Geistiges in Sprache zu verwandeln. Formlose Inhalte in Wort-Sprache zu formen, zu formulieren.«

      Ich sah ihr in die Augen: »Auffassungsvermögen ist eine Sprachkompetenz.«

      Sie nickte.

      Ich war sprachlos. Wie erhellend das alles war. Meine professionelle Distanz zu ihr schwand. »Ich habe kein passendes Wort-Gefäß für dich«, sagte ich, »du strömst außersprachlich durch meinen Kopf. Keine Schablone passt auf dich und dennoch blinken die Lichter in meinem Hirn. Ich kann dich nicht aus dem Strom fischen, du musst bitte selber anhalten.«

      Sie schmunzelte.

      So einfach war das also. Sprache machte etwas Fließendes fest, etwas Unbestimmtes bestimmt, grenzte es ab, isolierte es vom Rest und nur daraus ergaben sich Eigenheit und Identität. Das Verpacken in Sprache verlieh dem Inhalt Gegenständlichkeit und dauerhaftes Gleichbleiben. Das Kleiden in Sprache rief etwas erst ins Leben. Formulierung schaffte Wirklichkeit. Sprechen hieß nichts weniger als Schaffen. Schöpfen. Mit Wort-Krügen aus der strömenden Ursuppe schöpfen.

      Das war fast zu viel an Plausibilität und Einfachheit. Ich hob erneut die Hand: »Moment einmal: ich verstehe. Genau jetzt läuft sowas in meinem Kopf ab. Ich verstehe etwas und das schmeckt irgendwie nach Erinnerung. Ist ja klar: Man versteht dann etwas, wenn es mit einem bereits gespeicherten Inhalt übereinstimmt. Das fühlt sich nicht nur an wie Erinnerung, es ist Erinnerung. Du zapfst vorhandenes Wissen an.«

      Sie war zufrieden.

      Ich sagte: »Siehst du, wie tierhaft gescheit ich bin, genau dich gesucht und gefunden zu haben?«

      »Ja, das hast du gut gemacht«, scherzte sie, »aber zum Abschluss der Unterrichtsstunde wiederholen wir: Verstehen ist ein Vorgang der Versprachlichung. Ok? Und Begreifen heißt Begriff geben, ja?«

      »Ja.«

      »Und mit diesen Begriffen systematisch operieren nennt man denken.«

      »So einfach ist das, oder?«, sagte ich. »Genial. Gehen wir. Da gibt es nichts zu essen.«

      Sie überquerte fast hüpfend die Straße, ihr Blick zuckte nach links und rechts nach dem Verkehr und sie streckte ihren rechten Arm nach hinten in meine Richtung und spreizte die Finger, um mich zu lotsen. Sie hielt auf der anderen Straßenseite vor dem Eingang zu einem kleinen, dreckigen Park, der Mitleid erregte mit dem imaginierten Kind, das hier spielen musste. Er bestand zur Hälfte aus einer asphaltierten Fläche, über die ein fünf Meter hoher Würfel aus Drahtzaun gestülpt war. Zur anderen Hälfte war er ein schwarzbraunes Halbrund aus säuerlich stinkenden Rindenstücken, in dessen Mitte eine traurige Sandkiste lag, daneben eine verrostete, ehemals bunt lackierte Rutsche. Der Park war menschenleer

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