Abara Da Kabar. Emil Bobi
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Читать онлайн книгу Abara Da Kabar - Emil Bobi страница 13
Ich grinste und sagte »Okay«. Ich hatte mich vorhin schon am Riemen gerissen, um ihr nicht zu nahe zu treten, aber jetzt musste ich doch wieder Witze machen: »Der transkulturelle multilinguale Beziehungsstreit ist eine programmierte Sache«, sagte ich, »Schatz, wieso sagst du ständig gelb, wenn ich blau sage? Aber ich bitte dich, ist das nicht dasselbe in Grün?« Sie übersetzte für Florence und jetzt hielten sich beide die flache Hand vor den Mund und kicherten.
Ich nickte einem Kellner zu, der ein Tablett mit Sektgläsern durch den Raum balancierte und Ausschau nach geneigten Gästen hielt. Ich fragte die beiden Damen, ob sie denn Lust hätten, anzustoßen. Natürlich hatten sie. »Nur her mit dem Alkohol«, rief Florence. Ich griff nach Gläsern, reichte sie weiter, bedankte mich beim Kellner und erhob mein eigenes.
Die Zeit war verflogen. Der Saal hatte sich halb geleert, ohne dass ich es bemerkt hatte. Der Termin war an sein Ende gekommen und Michaela Halbmond hatte Besuch. Ich reichte ihr die Hand. »Das war ja eine nette Party«, sagte ich.
»Ja.«
»Wir sind gar nicht zum Reden gekommen.«
»Ja. Ich weiß.«
»Das müssen wir aber. Ich hab einen Haufen vermutlich hochgescheiter Fragen.«
Sie lächelte und nickte.
Ich verließ die Buchpräsentation. Ich ging über die breiten, unter einem roten Teppich liegenden Stufen hinunter ins Parterre. Rechts vom Ausgang saß Professor Pflug auf einem barocken Polstersessel und fingerte unbeholfen an seinem Mobiltelefon herum. Ich wollte dem Sprachphilosophen noch die Hand zum Abschied reichen, da zeigte er auf die Sitzbank neben sich und bedeutete mir, mich zu ihm zu setzen.
»Sie haben völlig recht«, sagte der alte Professor, als würde er erst jetzt, unter vier Augen, offen reden können, »aber es ist noch viel drastischer.«
Er steckte das Telefon unverrichteter Dinge weg, nahm sich die Brille von der Nase, rieb sich die Augen und setzte sie wieder auf. Er sagte: »Wir verstehen nicht nur das System Sprache nicht. Wir verstehen auch nichts, was mit ihr zusammenhängt. Wir verstehen nicht, woher sie kommt, wie sie entstanden ist, was sie will und kann und wie sie funktioniert. Weder verstehen wir, warum sie so plötzlich aufgetaucht ist, noch, warum sie in einer dermaßen großen Vielfalt aufgetaucht ist. Wir verstehen nichts. Nicht einmal, was Sprache im Grunde eigentlich ist. Und wir verstehen nicht, warum wir hier so gar nichts verstehen, wo wir doch ansonsten so viel verstehen, weil wir ja gar nicht so untalentiert sind.«
Ich schwieg. Das gehörte zu meinem Thema. »Wissen sie«, fuhr er fort, »unlängst habe ich versucht, ein Porträt über einen langjährigen Kollegen und alten Freund zu verfassen, für eine Publikation, die zu seinen Ehren herausgegeben wird. Ich bin kein Schreiber, aber Menschen zu porträtieren habe ich immer wieder gern einmal versucht, weil es für mich eine große Herausforderung war, die Unbegreiflichkeit dieses Wesens zwischen den Wörtern und zwischen den Zeilen zum Vorschein kommen zu lassen.«
Seine unter einem milchigen Film liegenden Augen blickten unscharf zur hohen Decke. »Doch wenn es darum geht, einen Menschen so zu beschreiben, dass er am Ende mehr ist als eine interessante Mischung aus Rätselhaftigkeiten und Widersprüchen, stellt sich die Frage, warum wir gerade das Nichtbegriffene an einem Menschen als wesenstypisch anerkennen.«
Er blickte wieder mich an: »Wir sehen den Menschen wie ein Foto-Negativ. Wir umgarnen die weißen Flächen mit Behauptungen, Indizien und Spekulationen. Mit Interpretationen, Unterstellungen und aus der Luft Gegriffenem. Wir versuchen alles, ihn zu greifen, um letztlich doch in resignierter Faszination vor dem Mysterium Mensch zurückzuweichen. Einer Faszination, die mit der eigenen Unbekanntheit einhergeht und dem Scheitern etwas Versöhnliches gibt. Nun: Was ist daran so schwierig, einen Menschen zu verstehen? Was macht diese Unbegreiflichkeit aus?«
Ich schwieg. Der Mann sprach mir aus der Seele. Alles, was er sagte, klang wie ein Vermächtnis, das er noch schnell übergeben musste.
»Schaut man sich unaufgeregt an, was dieser Mensch alles kann«, holte er aus, »betrachtet man seine Talente und sein Potenzial, dann wird diese gegenseitige Unbegreiflichkeit selbst zu einem Rätsel. Dieses Wesen Mensch verfügt über Fähigkeiten, die es zu einem unheimlichen Fremdkörper in der Natur gemacht haben. Es operiert mit einem Denkorgan, dessen gigantische Aktivitäten von absoluter Beispiellosigkeit sind. Gespeist von einem Netz unterschiedlichster Wahrnehmungs- und Überwachungssysteme, die in millionenfacher Gleichzeitigkeit alles und jedes an dieses seltsame Organ übermitteln, welches alles und jedes aufsaugt, abbildet, einstuft, vergleicht, speichert und es in Bereitschaft für einen Wiedereinsatz bringt, dessen Voraussichtlichkeit es schon berechnet hat. Einem Organ, das sich selbst ununterbrochen auf den neuesten Stand bringt und sein eigenes Potenzial immer weiter steigert.«
Pflug nahm sich mit einem schnellen Griff die Brille wieder von der Nase und richtete seinen Oberkörper ruckartig auf. »Nun frage ich«, sagte er, »was hindert den Besitzer und Benützer einer solchen Intelligenz-Fabrik daran, einen artverwandten Besitzer einer gleichen Intelligenz-Fabrik richtig zu begreifen? Was macht diesen Intelligenz-Fabrikanten so begriffsstutzig, dass er beim Erfassen eines ihm selbst sehr ähnlichen Fabrikanten-Kollegen aufgeben und auf armselige Ersatz-Etiketten ausweichen muss? Er muss ihn als tiefsinnig oder hintergründig bezeichnen, obwohl das Begriffe sind, die zwar Großes suggerieren, aber nichts aussagen, außer, dass man nichts verstanden hat? Was zwingt uns, den Menschen hilflos über seine weißen Flecken zu identifizieren und ihn letztlich als Rätsel hinzunehmen?«
Ich wusste die Antwort, aber ich sagte nichts. Ich wollte auf keinen Fall seinen Redefluss unterbrechen. Ich musste hören, wie das weiterging. An uns vorbei strömten Gäste, die die Buchpräsentation verließen. Manche verabschiedeten sich beim Professor mit einem Nicken oder einer erhobenen Hand. Michaela und Florence waren nicht dabei. Ich warf einen Blick die Stiege hinauf, aber sie waren nicht zu sehen. Sie mussten noch in diesem Festsaal sein. Ich konnte sie doch nicht beim Vorbeigehen übersehen haben.
Der Professor fuhr fort: »Da ist also dieser aufgerichtete Zweibeiner, der sich einmal auf die Hinterläufe gestellt hat, um ein Männchen zu machen und seither nie wieder aufgehört hat, Männchen zu machen, und wir durchschauen seine Männchenmacherei einfach nicht, obwohl wir selber die gleichen Männchen machen.«
»Wenn sie erlauben, habe ich dazu eine Frage«, sagte ich. »Könnte es sein, dass es nicht an unserer Intelligenz liegt, sondern daran, dass wir keine passenden Begriffe finden, den Menschen richtig zu fassen, ihn treffend zu verbegrifflichen? Könnte es nicht daran liegen, dass wir uns also einfach nicht »denken können« wie er ist und es daher an der misslingenden Versprachlichung unserer Eindrücke scheitert?«
Noch bevor der Professor antworten konnte, riss meine höfliche Zurückgenommenheit: »Wäre es nicht möglich, dass alles umgekehrt ist? Mir scheint, wir halten den Menschen für ein Mysterium, dabei ist nicht der Mensch