Abara Da Kabar. Emil Bobi
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Diesmal hatte ich ihn aus zwei Gründen angerufen. Zum einen wollte ich ihn bitten, mich mit einem ihm persönlich bekannten Priester in Kontakt zu bringen, der ausgebildeter Exorzist war. Einer, der mit der Kraft der Sprache gegen den Teufel vorging. Einer, der die Sprache direkt als Waffe einsetzte. Und das nicht etwa auf dem Niveau des Bundeskanzlers, der mit gebrochener Muttersprache einen weinerlichen Lügen-Wahlkampf führte. In der Praxis der rituellen Austreibung gottesfeindlicher Besessenheit ging es ein bisschen anders zu als in der SPÖ-Wahlkampfzentrale. Exorzismus war seit eh und je selbstverständlicher Teil der kirchlichen Realität gewesen und so hatte der Papst erst unlängst daran erinnert, dass jede Diözese über mindestens einen Exorzisten zu verfügen habe. Das Fach der Vertreibung böser Geister wurde in Rom gelehrt und es äußerte sich in der Praxis nicht immer in angstkreischenden Wahnsinnigen mit schwarzen Ringen um blutunterlaufene Augen, in denen der Teufel wütete, in Abscheu vor dem Kreuz, das ihm der Exorzist unter Gemurmel von Bannsprüchen entgegenhielt. Viel öfter waren die Eingriffe der religiösen Psychotherapie wenig spektakulär. Schon ein schlichtes Gebet um Heilung durch den Schöpfer war Exorzismus. Herr, sprich nur ein Wort, und meine Seele wird gesund. Das Wort, das gesund macht. Das frei macht von Schmerz. Das Wort als Kraft. Die Sprache des Herrn. Also: Die Sprache.
Zum anderen ging es mir diesmal auch um meinen Vertrauensmann selbst, denn dieser Mann verfügte über etwas sehr Erstaunliches, über das er auch offen reden hätte können. Er beherrschte sage und schreibe sechsundvierzig Sprachen. Er sprach fließend Latein und sogar ganz gut Aramäisch, die Sprache des Jesus von Nazareth. Aber das war noch gar nichts. Er sprach Kadugli, Bijago, Mbulungisch-Nalu, Senegambisch, Limba, Mansonaka, Kulere und Bantu aus der Niger-Kongo-Familie. Er konnte nilo-saharische Sprachen wie Kuliak, Gumuz, Kunama und Songay. Er beherrschte sino-tibetische, austronesische und altaische. Von seinen Lippen rollten Turksprachen wie Tschuwaschisch, Tofalarisch und Jakutisch. Mongolische wie Dagur oder Kalmückisch. Tungusische Sprachen wie Orochisch, Evenkisch oder Negidalisch. Aus irgendwelchen Winkeln und Ecken seines unheimlichen Gehirns fischte er malayo-polynesische Lautketten hervor, maduresische, jakunische, perakanische und semedonische. Er konnte Bima-Sumba. Er konnte Algonkin, Sprachen der Oto-Mangue-Gruppe wie Chibcha, Tupi, Quechua oder Irokesisch. Und Pidgin-Sprachen, diese verbogenen, verstümmelten Mischsprachen, die sich aus Kolonial- und Eingeborenen-Sprachen zusammensetzten und von den Folgegenerationen alter Sklaven gesprochen wurden. Er sprach Zwergsprachen, die von weniger als tausend Sprechern benutzt wurden und von denen noch kein normaler Mensch je etwas gehört hatte.
Ich lag am Bauch vor ihm. Mich faszinierten Sprachkenntnisse. Ich hatte davon geträumt, noch in diesem Leben fünf, sechs Sprachen zu beherrschen und schaffte es gerade einmal bis eindreiviertel plus Begrüßungsbrocken in dieser und jener. Dieser Mann hatte über Jahre unserer Bekanntschaft seine unglaublichen Kenntnisse mit keinem Wort erwähnt. Bis wir einmal gemeinsam im Park saßen, nachdem er mich angerufen hatte, weil er in der Bibliothek des Priesterseminars einen vierhundert Jahre alten Wälzer entdeckt hatte, den er mir zeigen wollte. Der Text war auf Mandarin und weil er so selbstverständlich vorlas und übersetzte, fragte ich nach.
Wir saßen damals lange. Er erzählte von Killersprachen wie Englisch, Russisch oder Französisch, die kleine Lokalsprachen infiltrierten, infizierten und verdrängten wie eingeschlepptes Unkraut. Er redete über Kultur tragende Sprach-Großfamilien wie die afroasiatische, in der das Arabische eine junge Kultursprache war. Ganz jung waren auch Assyrisch und Babylonisch, denn die alten Formen dieser Großfamilie waren etwa das mesopotamische Akkadisch. Oder das Indoeuropäische mit seinen jungen, modernen Entwicklungsstufen wie Griechisch und Latein.
Nun also hatte er am Festnetz zurückgerufen. Ich hob ab, erklärte kurz angebunden, ich würde mich gleich wieder melden, denn auch das Mobiltelefon läutete. Aber jedes Mal, wenn ich ein Telefon auflegte, läutete schon das andere und so vergaß ich, ihn zurückzurufen. Und das war es dann. Zwei Tage später starb mein klerikaler Freund am Blut einer geplatzten Ader seiner Speiseröhre, das seine Lungen überschwemmt hatte.
Michaela Halbmond hob ab. Sie war ein Glücksfall. Erstens hatte sie eine ruhige, angenehme Stimme, zweitens war sie freundlich und offen, drittens war sie gerade in Wien und viertens wollte sie am Abend des nächsten Tages an einer Buchpräsentation teilnehmen, bei der zahlreiche Linguisten verschiedener Fachrichtungen anwesend sein würden. Sie bot mir an, sich mit mir dort zu treffen. Zwei emeritierte Professoren hatten gemeinsam mit einem jüngeren Kollegen ein Sachbuch über historische Sprachverbreitung mit dem Titel »Die Balkan-Route« geschrieben. Im Zentrum der Ausführungen stand ein filmreifer Konflikt, den ich als inter-menschoid bezeichnen würde, wenn das geht. Es ging um das nachgewiesene Aufeinandertreffen einer Gruppe moderner Menschen mit einer Gruppe von Neandertalern im Gebiet des heutigen Israel, das vor vierzigtausend Jahren stattfand. Davon zeugen freigelegte Lagerplätze der beiden Menschenarten, die unweit voneinander entdeckt wurden. Als die neumodernen Kolonialisierer des Homo sapiens von Ostafrika her in das Gebiet kamen, waren die alten Neandertaler bereits seit 20.000 Jahren da und hatten etwas dagegen, dass Fremde, ja sogar Fremdartige, einfach in ihr Gebiet einflossen, um sich da breitzumachen. In der Kunst der politischen Kompromissfindung noch etwas entwicklungsfähig, kam es zu schweren Zusammenstößen und die Modernen mit der senkrechten Stirn zogen mit blutigen Schädeln ab. Sie gelangten, nunmehr von Wirtschafts- zu Kriegsflüchtlingen mutiert, über die Balkan-Halbinsel nach Europa.
Es gab nichts, dachte ich, was es nicht schon gegeben hätte und das tausend Mal früher, als man dachte. Das schien auch ein Motto für die Buch-Autoren gewesen zu sein, denn sie nannten viele Beispiele. Dass ein Herr Kolumbus Amerika entdeckt haben soll, entlarvten sie süffisant als Mythos einer eingebildeten Zivilisation, die das für den Anfang hielt, woran sie sich selbst erinnern konnte. Tatsächlich waren zwanzigtausend Jahre vorher ganz andere Typen über den Nordpol nach Amerika gegangen. Und die Herrschaften, die vor achttausend Jahren die indoeuropäische Sprache von Asien nach Europa brachten, waren keine Einwanderer, sondern Rückkehrer. Vor neunzigtausend Jahren waren sie aus Afrika gekommen und über Europa nach Asien gewandert. Als Zeugnisse hatten sie ihre Schädel zurückgelassen und ihre Beile, in die Erde gesenkt wie Proviant-Depots der Erinnerung, zur Wiederausgrabung in einer fernen Zukunft, als Beleg ihrer Rastlosigkeit, ihrer Suche nach Sicherheit und Sinn, die sie über die Horizonte hinaus lockte und keine Rückkehr kannte. Sie gebaren und starben unterwegs. Wandern war ein Urzustand. Allein ihre Reise von Afrika über Europa nach Indien dauerte zwanzigtausend Jahre, denn ihre auf dieser Route ausgegrabenen Schädel werden von West nach Ost stufenweise um zwanzigtausend Jahre jünger.
Aber auch sie waren lange nicht die Ersten. Eigentlich waren diese Leute fast schon Touristen, wenn man sie mit den wahren Pionieren verglich, die sich zwei Millionen Jahre davor auf den Weg nach Osten gemacht hatten. Das war der Erektus plus Anhang: ein wahrhaft uriger Entdecker. Er verfügte über keine konkrete innere Vorstellungswelt, einfach, weil er keine Sprache hatte, die differenziert genug war, abstraktes Denken zu ermöglichen. Seine Laute klangen absichtsvoll, doch verwaschen und unbeholfen. Dennoch war er der erfolgreichste Menschoide neben dem, der sich mit seiner komplexen Lautsprache zur Alleinherrschaft über die Natur aufschwingen und als einzige Menschen-Art überleben sollte. Der Erektus: unsentimental, allürenfrei, geradeaus. Er hätte mehr Erfolg verdient. Und wie bunt ginge es auf diesem Planeten zu, wäre er von mehreren Menschen-Arten bewohnt und nicht nur von einer einzigen in verschiedenen Farben.
Ein sehr gelungenes Buch, bei dessen Präsentation ich Michaela Halbmond kennenlernen sollte. Die Autoren hatten es geschafft, mich in ihre Geschichte zu entführen und den Erektus als Angehörigen wahrzunehmen. Ich mochte