Abara Da Kabar. Emil Bobi

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Abara Da Kabar - Emil Bobi

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Das waren Echtfleisch-Menschen, die das systematische Überleben erfunden haben. Sie haben das Wissen dafür gegen zahllose ihrer Leben eingetauscht, haben sich jede Kleinigkeit an Wissenszuwachs erstorben. Die Erkenntnis, was ein Risiko ist, entwuchs einem Teppich aus Todesopfern.

       6

      Im Palais Ferstel glitzerten die Luster und eine gedämpft murmelnde Geräuschwolke lag über den gut zweihundert Besuchern, die in kleinen Gruppen standen oder damit begannen, ihre Plätze einzunehmen. Manche hatten das Buch unter den Arm geklemmt, andere steckten gerade ihre Einladung weg und hoben grüßend die Hand, weil sie einen Bekannten entdeckt hatten. Das Podest mit einem Tisch und drei Sesseln stand noch menschenleer im Halbdunkel. Ich erkannte Michaela Halbmond von den Zeitungsfotos. Sie stand plaudernd in einer Gruppe aus vier, fünf Personen und nickte lebhaft. Als ich mich näherte und ihr Blick auf mich fiel, schien auch sie mich zu erkennen, vielleicht, weil ich so unlinguistisch aussah, oder eben wie ein Journalist, der überall auftauchte, aber nirgendwo dazugehörte und diesen typisch routinierten Fremdkörper abgab, der sich nun auf sie zubewegte.

      Da stand sie nun. Und das Überraschende war, dass ihr Aussehen gar nicht so unpassend zu ihrer Telefonstimme war. Eine lange, silbrig glänzende Mähne fiel auf einen schwarzen Blazer, sie trug enge Jeans, einen safrangelben Schal aus Kaschmir-Seide und ihr Lächeln verriet eine Ausgeglichenheit, die nur von einem Wesen stammen konnte, das das Leben allgemein nicht als Niederlage zu empfinden gelernt hatte. Es war zeitlich schon knapp. Während wir uns die Hände reichten und begrüßten, ging vorne am Podium das Licht an, das Gemurmel im Saal erstarb und die Moderatorin begann mit der Begrüßung. Michaela Halbmond hatte zwei Plätze reserviert, gab mir ein Zeichen mit dem Zeigefinger und nickte einladend, während vorne die Präsentation begann und die Autoren unter rauschendem Applaus auf die Bühne gebeten wurden. Wir waren nicht einmal dazu gekommen, ein bisschen zu plaudern und nun saßen wir nebeneinander und neigten manchmal unsere Köpfe zueinander, um uns etwas zuzuflüstern und still zu nicken. Ich fragte sie, ob sie denke, dass Hans Reich anwesend sei, doch sie zuckte verneinend mit dem Kopf und bog ihre Mundwinkel nach unten, als würde sie sagen »kenn ich nicht«. Dann hielt sie mir die Einladung zur Präsentation hin, zeigte auf den Namen eines der Mitautoren und flüsterte nickend: »Bei dem habe ich studiert.« Dann blickte sie wieder nach vorn und streckte ihren Zeigefinger Richtung Bühne, um meiner Aufmerksamkeit ihren Platz zu weisen. Während die Moderatorin das Buch mit einer verschachtelten Huldigung vorstellte, an der sie viel zu lange herumredigiert hatte, richteten sich noch immer Blicke von da und dort aus dem Publikum auf Michaela Halbmond.

      Sie war Spezialistin für Niger-Kongo-Sprachen, eine der größten Sprachfamilien überhaupt, und sie selbst beherrschte neben den Weltsprachen mindestens fünf zur Familie gehörende Sprachen gut, drei davon, Swahili, die Bantu-Sprache Lingala und Bambara, das in Mali gesprochen wurde, fließend. Sie war in einem Team aus französischen, amerikanischen und afrikanischen Sprachforschern gewesen, das im westafrikanischen Mali das bislang unbekannte Jowulu entdeckte. Die Meldung ging weltweit durch die Medien und beförderte die Teammitglieder auf den Olymp der Linguistik. Eine neue Sprache zu entdecken konnte man auch heutzutage nicht gänzlich ausschließen, etwa in Gegenden wie dem Kongobecken, dem südindischen Hochland, dem Amazonasgebiet oder irgendwo in der Inselwelt Papuas. Doch war es eine extreme Seltenheit geworden und daher in der Welt der Sprachwissenschaft eine echte Sensation. Mitten in dieser zu Ende explorierten Welt hatte man nun Jowulu entdeckt, das in der Region Sikasso an der Grenze zu Burkina Faso von kaum zehntausend Menschen gesprochen wurde. Michaela Halbmond und die anderen aus dem Team interviewten viele von ihnen, besonders jene wenigen, die auch Bamanankan oder Duungoma sprachen und als Dolmetscher dienen konnten. Manche Jowulu-Sprecher – wenige – konnten auch ein bisschen Französisch und die waren eine besondere Hilfe für die unentwegt sensibel und anerkennend lächelnden Linguisten, für die jede Lautäußerung der Einheimischen eine Attraktion war. Die Eingeborenen begegneten dieser unterwürfigen Achtung mit verständnisloser Höflichkeit. Die netten Fremden in den Khaki-Kleidern wollten jedes Wort drei Mal hören, sezierten es, schnitten es in Scheiben, hängten es zum Trocknen auf und betrachteten es Tag und Nacht ungläubig von allen Seiten.

      Es bedurfte einiger Nächte der hitzigen Diskussion bei Gaslicht unter Zelt-Vordächern, um Auffassungsunterschiede in lexikostatistischen Fragen auszuräumen und mögliche Verwandtschaften zu anderen Lokalsprachen über das Ausmaß an phonetischen Ähnlichkeiten zu klären. Aber dann war alles entschieden: Jowulu war den Mande-Sprachen zuzuordnen, einem Zweig, der bis dahin 75 Einzelsprachen auf sich vereinigte. Jowulu wurde genauer gesagt zur vierzehnten und wohl letzten Sprache des Nord-West-Mande erklärt und damit der Niger-Kongo-Familie zugerechnet. Ganz so, wie alle anderen Mande-Sprachen derselben Familie zugeordnet worden waren, obwohl sie morphologisch kaum Ähnlichkeiten aufwiesen. Vor allem fehlten bestimmte für Niger-Kongo-Sprachen typische Substantiv-Kategorien. Macht nichts, sagten die Anhänger dieser Verwandtschaftsthese, die Mande-Sprachen hätten sich eben schon vor der Herausbildung dieser Substantiv-Kategorien von der Großfamilie abgespalten und wegentwickelt. Die Abspaltung habe vor siebentausend Jahren begonnen.

      Mit derselben Sicherheit wurden diese behaupteten Zugehörigkeitsverhältnisse von anderen Meinungslagern belacht und ins Reich der Spinnereien glottogenesischer Egomanen verwiesen, die sich einbildeten zu wissen, wie vor siebentausend Jahren auf einem Kontinent gesprochen wurde, dessen Geschichte erst vor fünfhundert Jahren begonnen habe, schon deshalb, weil in Afrika dazu nicht viel auszugraben war und schon gar keine altertümlichen Bibliotheken, einfach, weil von Lehmhütten nach einigen Regenfällen nicht mehr übrig blieb als von verklungenen Wörtern.

      Ich sah sie von der Seite an. Jeder aus dem Publikum schien sie zu kennen oder zu erkennen. Wenn sich ihre Blicke mit ihrem trafen, nickten sie anerkennend und lächelten. Sie war eine Berühmtheit, ein Star. Und sie war alles andere als eine glottogenesische Egomanin. Sie war ein erhobenes Wesen, das entspannt mit beiden Beinen am Boden stand, ein Wesen, das vom Leben nicht verwöhnt, sondern belohnt war und von etwas getragen, das es unabhängig machte, auch von seinem eigenen Erfolg und von all dem, was ihm diese große Anerkennung eingebracht hatte. Ihr offensichtliches Wohlbefinden, ihre natürliche Freundlichkeit, ihre innere Schönheit und diese ungespielte Bescheidenheit ließ die ihr entgegengebrachten Huldigungen wie charmante Irrtümer aussehen. Sie liebte ihren Beruf und ihre Kollegen, auch wenn sie Spinner waren. Das war alles.

      Die Lesung war bald vorbei und während sich vor dem Autoren-Tisch eine kleine Warteschlange bildete, um Bücher signieren zu lassen, schlenderte Michela Halbmond mit mir im dünnen Geklirre von Sektflöten durch die Gegend und stellte mich einer Reihe von Kollegen vor, die für mich interessant sein konnten. Sie, Michaela Halbmond, war eine Hoheit. Von ihr mitgebracht und vorgestellt zu werden hatte protektionistische Sofortwirkung, obwohl die Leute nur sie sahen. Ich war etwas Besonderes, weil ich mit ihr sein durfte.

      In einer Gruppe standen der Psycholinguist Herwig Prettner, ein deutscher Universitätslehrer, der nach einer Gastprofessur in Wien die Stadt nicht mehr verlassen wollte; der Sprachphilosoph Wendelin Pflug, ein zusammengesunkener Greis, der eben seine dicken Brenngläser von der Nase nahm und seine angestrengten Augen rieb. Unter seinem Sakko aus abgetragenem, feinem Tuch trug er einen viel zu dicken Pullover, über dessen Kragen der Knoten seiner Krawatte hervorlugte. Neben ihm beugte sich die Sprach-Historikerin (genauer gesagt Paleolinguistin) Elke Winter-Margulies vornüber und blinzelte über den Rand ihrer grellroten Brille. Und da war einer der Co- Autoren von »Die Balkan-Route«, Xaver Heidenreich, ein hochgewachsener jugendlicher Typ mit lachendem Gesicht und langen, schlanken Fingern. Auch er trug unter dem Sakko einen Pullover.

      Ich gratulierte zur Wahl des Buchtitels und zum inhaltlichen Aufbau der Geschichte. So müsse man Wissenschaft in der Öffentlichkeit verkaufen, sagte ich. Bunt, spannend, möglichst un-lateinisch, aber dennoch exakt und seriös. So komme eine breitere Allgemeinheit in den Genuss dieser Inhalte. Bildung sei schließlich das universelle Zauberwort für praktisch alle globalen Probleme, im Besonderen natürlich für die Meinungsbildung von Wählern und damit für die politische Entwicklung.

      Alle

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