Abara Da Kabar. Emil Bobi
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Читать онлайн книгу Abara Da Kabar - Emil Bobi страница 6
Da entdeckte ich Paul. Er stand da, sein Schnauzer hing ihm zerfranst über die Unterlippe und wie eh und je schmunzelte er wissend, als wäre er nie weggewesen. Paul, das war alte Schule. Um Leute wie ihn zu treffen, kam ich manchmal hier her.
»Und?«, sagte er, »was schreibst?«
»Was weiß ich«, sagte ich abwehrend, »etwas über Sprache.«
Paul zog die Brauen hoch und wartete.
»Na schau«, sagte ich, »die Story lautet: Die Sprache ist an allem schuld. Nicht der Mensch ist böse, sondern die Sprache. Sie ist sehr, sehr böse. Sie macht alles kaputt, weil sie selbst kaputt ist.«
Paul schmunzelte: »Sprachkrise. Eh gut. Wann kommt das?«
»Ich habe erst angefangen. Ich muss einmal jemanden finden, der mir so etwas zumindest entfernt bestätigt, oder wenigstens ansatzweise nicht dementiert. Bisher habe ich nur bemerkt, dass Sprache ein endlos riesiges Gebiet ist. Seit Jahrtausenden sagen alle gescheiten und weniger gescheiten Menschen etwas über sie. Und sie alle umschreiben mit schönen, intelligenten, oder anderswie interessanten Sätzen, dass sie keine Ahnung haben, was Sprache überhaupt sein soll.«
Er nickte. »Ich bin froh, dass ich in Pension bin.«
Grauberger hob den Kopf und grinste. Der lange Kellner mit der Glatze und der sicherheitshalber vornübergebeugten Körperhaltung fischte den vollen Aschenbecher von der Theke und ließ den Inhalt mit der Fingerfertigkeit eines Trick-Magiers im Abfallkübel verschwinden.
»Aber wen willst du wirklich damit zitieren?«, fragte Paul, »du kannst ja nicht daherkommen und sagen, ich, liebe Leute, sage euch hiermit, eure Sprache hat einen Totalschaden. Die werden sagen, lieber Herr Reporter, vielleicht sind doch sie selbst es, der einen Totalschaden hat.«
»Weiß nicht«, sagte ich, »ausgegangen bin ich von einer harmlosen Geschichte über Wahlkampf-Sprache, weißt eh, qua, qua, über tiefenpsychologisch und manipulativ sein wollendes Spitzenkandidaten-Gestammel und so weiter. Aber wenn man auch nur ein bisschen genauer hinschaut, wird die Sache gleich höchst gescheit und dann drängen sich Fragen auf, die die Sprache selbst betreffen und alles, was da dranhängt und dahintersteckt. Und weißt du, was da dahintersteckt? Alles. Einfach alles.«
Da hob sich Pauls Zeigefinger wie ein Stoppsignal: »Moment. Ich kenne da jemanden über zwei Ecken, der vielleicht was für dich ist. Ein emeritierter Linguistik-Professor. Hans Reich. War sehr umtriebig. Hat in den USA und in der Ukraine gelehrt. Ich weiß nichts Genaueres. Jedenfalls hatte er Jahre lang Streit mit Kollegen auf der ganzen Welt, weil er der Meinung war, dass diese Vielzahl an Sprachen, die es gibt, aus einer einzigen Ursprache hervorgegangen ist, und der Mensch daher nicht an mehreren Orten unabhängig voneinander zu sprechen begonnen hat.«
»Das denken viele«, sagte ich.
»Ja, aber Reich sagt, dass die Sprachpioniere die Schrift vom Himmel abgelesen haben. Dabei ist er überhaupt kein Spinner.«
Das interessierte mich. »Der Mann durfte an Universitäten lehren?«
»Genau«, sagte Paul, »das ist der Streitpunkt. Er ist übrigens einer aus der Familie des Wilhelm Reich.«
»Aha? Wilhelm Reich himself?«
»Großneffe oder sowas.«
Grauberger schaltete sich ein. Wilhelm Reich sei einer der Helden seiner jungen Jahre gewesen. Er, Grauberger, habe ihn auf eine Stufe mit Leuten wie Gandhi und Nietzsche gestellt. Ein echter Regenmacher sei das gewesen. »Die Deutschen«, sagte er und sein Gesicht zuckte vorwurfsvoll nach oben, »die Deutschen wären besser Reich gefolgt. Aber Hitler hat ihnen besser gefallen. Kein Wunder. Hitler hat ihnen eingeredet, dass sie toll sind und überhaupt die besten. Reich aber hat die Wahrheit gesagt. Ein Aufdecker, der niedergemacht wurde, weil niemand seine Enthüllungen ertragen konnte.«
Er nahm einen Schluck vom Bier und zog ärgerlich an der Zigarette. »Reich hat gesagt, dass das deutsche Volk flächendeckend an einer Zwangsneurose leidet. Jede einzelne typisch deutsche Charaktereigenschaft ist ein Symptom der Zwangsneurose. Dieses als große Tugend besungene Kompanie-Verhalten der Deutschen ist ein Krankheitsbild.«
Die Österreicher seien auch nicht ganz frei von diesen Symptomen, warf Paul ein.
Grauberger nickte, zog an der Zigarette und hob den Zeigefinger, während er den Rauch ausstieß, um einstweilen keine Wortmeldungen zuzulassen. »Und Freud!«, schnappte er, »dieser narzisstische, schwanzgesteuerte Traumtänzer hat Reich als kommunistischen Auftragsforscher verunglimpft und umbringen wollen, wissenschaftlich zumindest, aus purer, blinder, primitiver Eifersucht, weil Reich zu viel erkannt hatte und es wagte, Freuds Unsinn vom natürlichen Todestrieb des Menschen zu widersprechen.« Grauberger redete sich in eine Aufgebrachtheit, die er mit gierigen Zigarettenzügen stabilisierte.
Paul wendete sich mir zu: »Ich schicke dir seine Nummer, weiß aber nicht, wo er sich aufhält.«
Am winzigen Tisch in der hinteren Ecke saßen drei parlamentarische Mitarbeiter sozialdemokratischer Abgeordneter und der Sprecher des Sozialministers unter vergilbten Plakaten und in zu engen italienischen Anzügen. Der Pressesprecher, Mayer, hatte das roteste und am stärksten aufgequollene Gesicht der Runde. Offenbar war er den ganzen Tag nicht zum Essen gekommen, stürzte sich jetzt gierig auf den Teller mit Frischkäse, Tomaten und Basilikum, den ihm der lange Kellner mit einem kunstvollen Schwung vorgesetzt hatte. Mayer überschüttete das Gericht mit viel zu viel von dem dunkelroten Weinessig und viel zu wenig Olivenöl und keuchte beim ersten Bissen wie ein geschocktes Waldtier. Dann entdeckte er mich, hob abwehrend die Hand und kündigte an, die versprochenen Unterlagen zu irgendeiner Geschichte »umgehend« zu übermitteln: »Kann ich dich morgen anrufen?«
»Sicher, immer, hungriger Mensch«, sagte ich, »aber iss langsamer. Sonst sage ich es den SPÖ-Frauen.«
Mayer nickte schräg und deutete ein müdes Lächeln an. Er war stets bemüht, den Schreiberlingen alles rechtzumachen, auch wenn sie noch so viel Mist schrieben. Er signalisierte Unterwürfigkeit vor allen Medien, das war sein berufliches Versprechen und seine Grundstellung. Ich hatte mein Mineralwasser noch nicht angerührt, stürzte es jetzt in einem Zug hinunter, umarmte Paul, boxte Grauberger sanft in den Bauch, zeigte Mayer den erhobenen Daumen und verließ das Stravinsky.
Es hatte nicht mehr zu regnen begonnen. Die Stadt war still geworden und meine Schritte klopften auf den Pflastersteinen. Die Stimmung, die sich nach der Redaktionssitzung breitgemacht hatte, war vom Lärm im Stravinsky verdrängt worden und tauchte jetzt wieder auf. Ich spazierte über den Stephansplatz, bog hinunter in die Rotenturmstraße, vorbei am verlassenen Standplatz der Pferdefuhrwerke, von denen nur der scharfe Geruch nach Dung und Urin zurückgeblieben war. Ich mochte diesen Duft. Er hatte nichts Abstoßendes für mich. Man sollte ein Parfüm mit einer Note »Pferd« machen, dachte ich. Eines dieser intelligenten Parfüms, die nicht einfach nur nach etwas rochen, sondern subtile Duftbilder öffneten, die sich veränderten wie die Jahreszeiten, je länger sie auf der Haut waren und deren flüchtige Noten von keiner Nase begriffen werden konnten. Pferdedung, Whisky, Weihrauch vielleicht. Vielleicht auch Zimt und etwas Lemoniges. Nein, Zimt ist zu süß, vielleicht eher Sandel oder Elefantengras dachte ich, aber Elefantengras ist ja auch süß, also keine Ahnung, ich wusste ja nicht, welchen Gesetzen die Alchemie der Düfte folgte. Von allen Bestandteilen musste man jedenfalls so wenig verwenden, dass man sie nicht direkt erkannte und sie gemeinsam in einem völlig neuen Duft aufgingen, der diffus und ungreifbar an Verschiedenes erinnerte, man aber nichts davon nennen konnte.
Ich