Mirroring Hands. Richard Hill
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Ernest L. Rossi
Vermutlich war diese Haltung maßgeblich dafür, dass Ernest Lawrence Rossi mit einem Lächeln ging, als er am 19. September 2020, im Alter von 87 Jahren, zu Hause in seiner geliebten Bibliothek für immer eingeschlafen ist.2 Mirroring Hands, sein letztes Buch, verfasst gemeinsam mit Richard Hill, präsentiert die Essenz seiner jahrzehntelangen Erfahrung und Forschungen, gewissermaßen sein Vermächtnis: Aufgabe jeder therapeutischen Begleitung ist es, Problemlösefähigkeiten sowie Heilung zu fördern, die Begleiteten dazu zu ermutigen, neugierig auf die weitere Entwicklung zu vertrauen und ihr offen zu folgen.
»What are You going to learn and do with all that stuff?«, schrieb Rossi 1983 als Widmung in mein Exemplar der von ihm herausgegebenen Collected Papers of Milton H. Erickson on Hypnosis. Damals stand noch in den Sternen, dass der Carl-Auer Verlag mich bitten würde, ein Vorwort zu diesem Buch zu schreiben. In Kenntnis der englischen Ausgabe von 2017 habe ich diese Aufgabe gerne übernommen – auch, um es mit einer Art interkultureller Verständigung im Dienst der Hypnotherapie zu verbinden. Dieses ausführliche Vorwort soll als Schuhlöffel dienen, der hilft, in diesen wichtigen, aktuellen Beitrag zur hypnotherapeutischen Fachdiskussion hinein zu schlüpfen. Selbst erfahrenen Praktikerinnen und Praktikern, denen ideomotorische Techniken vertraut und selbstverständlich sind, empfehle ich, sich bei der Lektüre Kapitel für Kapitel an die Hand nehmen zu lassen und der Entwicklung des Themas Schritt für Schritt zu folgen – auch wenn es verführerisch sein mag, über die anschaulichen Beispielfotos der Technik und beeindruckende Fallbeispiele einzusteigen.
Die Grundregel der »spiegelnden Hände« klingt ganz einfach: Beobachte und begleite, wie sich die rechte und/oder die linke Hand deiner Klienten ideomotorisch, d. h. von sich aus, bewegen; fordere sie auf, hineinzuspüren und zu beschreiben, wie sich das anfühlt und was dabei innerlich so alles auftaucht – einfach so oder in Hypnose. Auf diese Weise werden nicht nur höchst komplexe Ausgangsvoraussetzungen zu verschiedensten Themen sichtbar, sondern auch sich daraus ergebende Entwicklungen symbolisiert. Damit werden diese zugänglich für behutsames Nachfragen und für fördernde Impulse, von innen wie von außen. Hill und Rossi betonen immer wieder, wie wichtig es sei, dabei sensibel auf jegliche Art von persönlich-individueller Eigendynamik zu achten und diese zu respektieren. Mitzugehen (pacing) wird grundsätzlich für wichtiger erachtet, als den Prozess in eine gewünschte Richtung zu beeinflussen (leading) – insbesondere auch dann, wenn Letzteres höchstwahrscheinlich gelingen würde. Wenn schon Suggestionen gegeben werden, d. h. Vorschläge im Sinne der eigentlichen englischen und französischen Wortbedeutung, dann um dazu zu ermutigen, dem Geschehen zu vertrauen und ihm neugierig und zuversichtlich zu folgen.
Mirroring Hands, auch in der Originalausgabe der Buchtitel, spricht als Terminus technicus für sich. Der im Englischen zusammenfassend formulierte Untertitel A Client-Responsive Therapy that Facilitates Natural Problem-Solving and Mind-Body Healing würde wörtlich übersetzt nur viele abstrakte Begriffe aneinanderreihen, die weitere »Übersetzungen« seitens der Leserinnen und Leser erforderlich machen. Der Verlag hat sich darum für eine verkürzte Version entschieden: Eine klientenresponsive Therapie für Körper und Psyche.
Klientenresponsiv? Als neuer Fachbegriff weist dieses Eigenschaftswort über das inzwischen fest etablierte – ursprünglich von Rogers vorgeschlagene – klientenzentriert hinaus. Abgeleitet ist das Wort von respond/response und steht für antworten, reagieren, erwidern sowie für Resonanz und Rückbezüglichkeit im Austausch zwischen Therapeut und Klient.
Joseph Barber – Kliniker, Forscher und Pionier auf dem Feld von Hypnose und Schmerztherapie, der auf diesem Gebiet in Format und Bedeutung mit Rossi vergleichbar ist – hat seine hypnotic responsiveness gezielt dem akademischen Konzept der Suggestibilität entgegengesetzt.3 In diesem Beziehungsmodell wird die Passung von Therapeut und Klient mit Schlüssel und Schloss verglichen, um zu erklären, warum der Zugang zu klinisch äußerst wertvollen Hypnosephänomenen im einen Fall zu erstaunlichen Veränderungen führt, in einem vergleichbaren Fall aber misslingt. Auch Kontextfaktoren bestimmen das Ergebnis. Sich als Patient mit Schmerzen und Ängsten in die Notaufnahme einer Klinik zu begeben, erweitert die Ansprechbarkeit (response) auf Hypnose und angemessene Suggestionen maßgeblich – sicherlich weit über die statistische Normalverteilung hinaus, die vermutlich bei den gleichen Personen als Teilnehmer an einem Suggestibilitätstest unter Alltagsbedingungen gefunden worden wäre. Hypnotic reponsiveness impliziert, dass Ansprechbarkeit und Reaktionsfreudigkeit auf Hypnose und Suggestionen von der Qualität der therapeutischen Beziehung abhängen und von Kontexterwartungen wesentlich beeinflusst werden (placebo response).
Das Buch mit der Beschreibung zu beginnen, wie alles mit einem Besuch bei Ernest Rossi zu Hause anfing, ist ein erstes und gutes Beispiel dafür, was klientenresponsiv beinhaltet. Ein Gespräch auf Augenhöhe zwischen einem von einer Kongressdemonstration der Mirroring Hands faszinierten Besucher und dem international renommierten Leuchtturm der Hypnose. Dabei ist ein Funke übergesprungen, die Initialzündung nicht nur für eine tiefgreifende persönliche Entwicklung des Erstautors Hill, sondern auch für dieses Buch.
Erfreulich knapp gefasste Kapitel enthalten die jeweils wesentlichen Aspekte in der Überschrift und enden mit einem Rückblick (review), der auf das nächste Kapitel bzw. den nächsten Gedankenschritt vorbereitet. Jedes Detail beinhaltet Aspekte des Ganzen, und das Ganze spiegelt sich in jedem Detail wider. Auch für hypnosystemisch versierte Leserinnen und Leser werden vertraute Begriffe in einer aufeinander aufbauenden Argumentation knapp, präzise und auf das jeweilige Thema bezogen definiert und ausgeführt.
Kürzel wie NNNE für den von Rossi so genannten Neuheits-Numinosum-Neurogenesis-Effekt sind zwar in beiden Sprachen Wortungetüme, werden im Text aber nachvollziehbar erläutert und verwendet. Die Begriffe mind-body healing und mind-body therapy stehen für psychosomatische Zusammenhänge und werden inzwischen auch in deutschsprachigen wissenschaftlichen Publikationen verwendet. Die Übersetzung als Geist-Körper-Heilung beinhaltet ein hohes Risiko, in ein Minenfeld von Vor-Urteilen und Miss-Verständnissen zu führen, auch wenn Rossi diesbezüglich sehr geerdet war: Über Jahrzehnte hat er in den Feldern von Chronobiologie, Psychoneuroimmunologie und Epigenetik geforscht und viele wissenschaftlich fundierte Bücher und Artikel in Fachzeitschriften publiziert.
Besondere Aufmerksamkeit verdient die immer wieder verwendete Einteilung in vier Phasen oder vier Schritte: Information, Inkubation, Durchbruch und Illumination sowie Verifikation. Für eine professionelle therapeutische Begleitung bieten sie eine Struktur zur Prozessreflexion, geeignet sowohl für einzelne Therapiestunden wie auch für Lern- und Entwicklungsprozesse über einen längeren Zeitraum. Auch hier betonen die Autoren, dass Präsenz und Aufmerksamkeit der Begleitenden sensibel und responsiv darauf ausgerichtet bleiben sollten, die Ideodynamik zu erkennen und dieser entsprechend Raum zu geben, Neugier und Zuversicht zu wecken, um den Zugang zu Möglichkeitsräumen zu eröffnen – verbunden mit dem Angebot, diese gemeinsam oder auch selbstständig zu erkunden.
Ist man bei dieser Art von Begleitung gut zusammen unterwegs, führt dies an ein growing edge (Kante, Grenze, Rand) zum Wachstum. Eine solche Wachstumszone steht – wenn man Rossis Beispiel folgen will – bis zum letzten Atemzug zur Verfügung, gemäß seinem Credo: »Du weißt nie, was nach der nächsten Wegbiegung kommt. Sei neugierig und offen dafür.«
Mit dieser Auffassung und Haltung kann man sich dem annähern, was die Autoren unter natural problem-solving verstehen, nämlich unserer Natur entsprechende Problemlösungen zu erleichtern, zu fördern, zu ermöglichen, zu unterstützen, bereitzustellen und/oder zu moderieren. Für all diese Bedeutungen steht das englische facilitate, wenn wir uns als Therapeutinnen und Therapeuten klientenresponsiv der Ideodynamik individueller Entwicklungsschritte eines Menschen widmen. Selbstverständlich