Fettnäpfchenführer China. Anja Obst

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Fettnäpfchenführer China - Anja Obst Fettnäpfchenführer

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sie bei dem nächsten Eingang einen engen Weg zurücklegen müssen, befürchtet Peter, wieder in einem Gemeinschaftshof zu landen, mit der Dusche in der Küche und freiem Blick für die Nachbarn. Dann erst fällt ihm auf, dass in keiner Wohnung eine Toilette war.

      »Gibt es auch meistens nicht«, flüstert der Kleine erklärend auf seine Frage. »Dafür gibt es die öffentlichen Toiletten in den hútòng.« (Bitte wundern Sie sich nicht, dass das Plural-s fehlt. Im Chinesischen gibt es keine Mehrzahl, hier ein ›s‹ anzuhängen, wäre schlicht falsch. Auch wenn es in den deutschen Ohren komisch klingt. Siehe dazu auch Kapitel 13 ›Yī Zì Qiān Jīn‹.)

      Oh ja, an die kann sich Peter gut erinnern. Es gab viele auf ihrem Irrweg durch die Gassen, fast alle zwei- oder dreihundert Meter war ein öffentliches Klo. Peter hatte es vor allem am Geruch bemerkt. Ob er zugunsten eines Hofhäuschens auf sein privates stilles Örtchen verzichten kann? Der deutsche Student bezweifelt dies.

      Nach zwei Links- und einer Rechtskurve bleibt Makler Li vor einer Holztür stehen und schließt auf. Wäre Peter in einem Kitschfilm, würde jetzt engelsgleiche Musik im Hintergrund säuseln: Er steht in einem Hof, der ungefähr fünfundzwanzig Quadratmeter groß ist, vorne und links zwei kleine Gebäudekomplexe, die Makler Li nun auch öffnet, die rechte Wand ist das Nachbarhaus, welches, man beachte, kein Fenster zu diesem Hof hat. Peter dreht sich um, sieht ein weiteres Nachbarhaus gegenüber der Tür, doch der Hof ist durch eine Mauer vor Blicken geschützt.

      In dem einen Gebäudekomplex befinden sich zwei Zimmer, insgesamt ungefähr vierzig Quadratmeter, im anderen eine für chinesische Verhältnisse große Küche mit einem angrenzenden Badezimmer. Auch da hängt wieder eine Duschbrause mitten im Raum.

      Peter ist begeistert! Genauso hat er es sich vorgestellt. Der einzige Wermutstropfen: Es gibt keine Toilette. Er beratschlagt sich mit dem Kleinen Li, der die brillante Idee hat, doch eine einbauen zu lassen und schnell die technischen Voraussetzungen mit Makler Li abspricht. Rohre seien vorhanden, sagt dieser, insofern dürfte es kein Problem sein.

      Mit einem Handschlag ist der Vertragsabschluss jedoch nicht getan. Makler Li besteht auf die Kaution, drei Monatsmieten im Voraus sowie seine Maklergebühr, ebenfalls eine Monatsmiete. Peters Geld reicht natürlich nicht, so viel hat er nicht dabei. Ob er morgen zahlen könne, fragt er.

      »Dann ist die Wohnung vielleicht weg«, gibt Makler Li zu Bedenken.

       ÜBRIGENS

      Chinesische Geschäftsmänner, und dazu zählt Makler Li auch, vertrauen nicht unbedingt auf das Wort des Geschäftspartners. Ihr Motto lautet: ›Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.‹ Vor allem, wenn es um finanzielle Transaktionen geht. Der Käufer oder – wie hier – der Mieter, sichert sich durch schnelles Handeln den Vertrag. Und man sollte nie davon ausgehen, dass der gleiche Vertrag am nächsten Tag in der eben abgesprochenen Form noch vorhanden ist. Und auch wenn es zweifelhaft erscheint, dass Makler Li früh am nächsten Morgen einen anderen Mieter findet, tut Peter besser daran, das Geld für die Kaution sofort zu besorgen. Es wäre nicht das erste Mal, dass diese Unwahrscheinlichkeit eintrifft. Denn Makler Li hat bestimmt noch ein weiteres As, also einen Mieter, im Ärmel.

      Sie einigen sich darauf, dass Peter ihm alles gibt, was er hat, und am nächsten Tag zur Vertragsunterschrift ins Büro von Makler Li mit dem Rest kommt. Das Misstrauen des Maklers füttert nicht gerade Peters Vertrauen, aber die Angst, sein Wunschhaus zu verlieren, ist größer. Wenigstens bekommt er eine Quittung, auf die der Kleine Li besteht. Daran hätte Peter von alleine gar nicht gedacht.

      Glücklich schaut er sich noch einmal um, und zusammen verlassen sie Peters neues Zuhause.

      Peter macht sich trotz der einsetzenden Dämmerung auf, die Umgebung zu erkunden. Der Kleine Li begleitet ihn und erklärt ihm die Geschichte des hútòng.

       Die Geschichte des hútòng

      Die ersten Pekinger hútòng lassen sich bis zur Yuan-Dynastie (1271–1368) zurückverfolgen und sind sozusagen keinem geringeren als Dschingis Khan zu verdanken. Mit seiner mongolischen Armee fiel er Anfang des 13. Jahrhunderts in das heutige Peking ein (damals hieß es noch Zhongdu), brannte die kaiserlichen Paläste nieder und hinterließ Schutt und Asche. Auch nach seinem Tod im Jahr 1227 herrschten in Chinas heutiger Hauptstadt weiterhin die Mongolen (sein Enkel Kublai Khan nahm das Ruder in die Hand) und bauten sie wieder auf. Die Stadt wurde eingeteilt in Wohngebiete, und die Straßen schachbrettartig verlegt. Dabei war die Breite der Straße ausschlaggebend für ihre Bestimmung: Eine Avenue war 36 Meter breit, eine Straße 18 Meter und eine Gasse 9 Meter.

      Während der Ming-Dynastie (1368–1644) nahmen die Stadthalter die Maße nicht mehr so genau und ließen auch Gassen bauen, die viel kleiner waren. Die kleinste maß noch nicht mal einen Meter Breite. Noch heute gibt es Gassen, die an einigen Stellen nicht breiter als 40 bis 60 Zentimeter sind, wie z. B. der Gaoxiao Hutong oder der Xiaolaba Hutong.

      Der Name hútòng ist eines der wenigen Überbleibsel der Belagerung durch Dschingis Khans Enkel und Urenkel. Zwei Erklärungen ranken sich um die Entstehung des Namens: Eine davon ist, dass hútòng von dem mongolischen Wort für Brunnen, hottog, abstammt, da sich die Menschen früher vorwiegend um die Brunnen einer Stadt angesiedelt haben. Bei der anderen Erklärung stammt es von dem Wort für Durchgang, huotuan, ab, die als Sicherheitswege bei Großbränden dienten.

      Sicher sind sich die Historiker nur, dass er aus der mongolischen Sprache stammt. Als das alte Zhongdu wieder aufgebaut war, die Mongolen nannten die Stadt nun Dadu, gab es 400 dieser kleinen Gassen, zu denen sich im Laufe der Jahrhunderte immer mehr hinzugesellten. Um 1950 – die Stadt hieß mittlerweile nicht mehr Dadu, sondern Beijing, was ›Nördliche Hauptstadt‹ bedeutet – soll es bereits über 6.000 gegeben haben.

      Die Namensgebung der einzelnen hútòng folgte meist einem bestimmten Schema. Entweder kam der Name von einem in der Nähe befindlichen wichtigen Gebäude (z. B. Guozijian Jie, in der die kaiserliche Akademie gelegen war), berühmten Persönlichkeiten (Wenchengxiang Hutong, eine Gasse, in der der Premierminister der Südlichen Song-Dynastie Wen Tianxiang (1236–1283) lebte), geografischen Besonderheiten (Sanlihe Nanxiang, nach dem Drei Li Fluss benannt) oder schlicht Handelswaren (Ganmian Hutong, wo es Mehl zu kaufen gab, oder Caishikou, ein Gemüsemarkt).

      Viele Gassen haben im Laufe der Jahre ihren Namen gewechselt. Meist aus ästhetischen Gründen (aus der Mistkäfergasse, Shikelang Hutong, wurde die Immer-Hell-Gasse, Shikeliang Hutong), während der Kulturrevolution (1966–1976) jedoch aus politischer Überzeugung. Über 100 Gassen bekamen den Zusatz rot, hóng, und es gab 27 Gassen mit dem Namen ›Rote Sonne‹, hóng rì. Manche Namen wurden sogar komplett geändert, wie der Babaolou Hutong, Acht-Kostbarkeiten-Gasse. Er hieß zu Zeiten der Kulturrevolution Miezi Hutong, Eliminierung-der-Bourgeoisie-Gasse. Heute hat er seinen alten Namen wieder.

      Mit der rasanten Stadtentwicklung in der jüngeren Zeit verschwanden viele dieser urigen hútòng. Abgesehen davon, dass immer mehr Einwohner in Peking lebten und händeringend Wohnraum gebraucht wurde, stellten die sanitären Anlagen ein Problem dar, besser gesagt: die Nicht-Existenz solcher. Die Einwohner von Chinas Hauptstadt sollten schließlich nicht wie vor 500 Jahren leben, sondern in modernen Hochhäusern. Peters Häuschen ohne Toilette ist also keine Ausnahme, sondern die Regel. Nur wenige kamen auf die Idee, in die noch bestehenden Häuschen sanitäre Anlagen einzubauen. Noch immer müssen die Bewohner der hútòng also öffentliche Toiletten aufsuchen. Oder man sieht sie mit Omas Nachttopf durch die Gegend laufen.

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