Fettnäpfchenführer China. Anja Obst
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Читать онлайн книгу Fettnäpfchenführer China - Anja Obst страница 17
Bei dem Werkeln geht eine Scheibe zu Bruch, was niemanden außer Peter interessiert. Denn schon steht das gute Stück passgenau unter dem Duschkopf.
»Um die Ecke ist ein Glaser«, grummelt Meister Bo unter der Wanne hervor. Verantwortlich fühlt er sich nicht für den Schaden.
»Das kostet nur wenige Euro«, versichert der Kleine Li, »und ist in fünf Minuten erledigt.«
»Auch an einem Sonntag?«
Verblüfft fragt der Kleine Li: »Wie lange bist du schon da? Ist dir noch nie aufgefallen, dass die Läden bis spät am Abend geöffnet sind, täglich?« (Übrigens: Neben einigen anderen in Deutschland geltenden Gesetzen existiert auch das Ladenschlussgesetz in China nicht!)
Langsam wird es dunkel, Meister Bo packt seine Rohrzange ein und brummelt in die Werkzeugtasche: »Bis morgen!« Mit seinen Helfern im Schlepptau schlurft er von dannen.
»Ich dachte immer, ein sìhéyuàn wäre größer«, sagt Peter plötzlich.
»Waren sie normalerweise auch, aber die Zeiten ändern sich«, entgegnet der Kleine Li und schließt einen historischen Abriss über die traditionellen Pekinger Hofhäuser an.
Pekinger sìhéyuàn
Genau wie die hútòng sind auch die sìhéyuàn Anfang der Yuan-Dynastie, also im 13. Jahrhundert, erstmals aufgetaucht. Aber das ist auch kein Wunder, lag Peking doch damals in Schutt und Asche, und die kaiserlichen Architekten konnten sich munter am Reisbrett austoben. Nun scheint es ein wenig einfallslos, die Stadthäuser ähnlich wie den Kaiserpalast zu entwerfen. Aber im Gegensatz zu Südchina, wo die Architektur damals schon den Trend des Mehrstockwerks verfolgte, sollte in Peking aus klimatischen Gründen die Sonne den Hof bescheinen. Daher kamen nur einstöckige Wohnhäuser infrage. Und warum nicht die bewährte kaiserliche Baukunst nutzen?
Die Anordnung der Räumlichkeiten folgte dabei der chinesischen Ehrfurcht vor dem Himmel (Norden) und der Erde (Süden): Das Zentrum liegt im Norden, von wo aus der Kaiser in den Süden, auf sein Volk, schauen konnte. Dieses Prinzip ist bei allen Hofhäusern, egal ob kaiserlicher Palast oder frugales Anwesen, das gleiche und geradezu simpel: Um einen Hof herum liegen im Norden, Süden, Osten und Westen die Wohngebäude, allesamt eingeschlossen von einer mannshohen Mauer, mit Fenstern, die nur zum Innenhof, nie nach außen zeigen. Der Hausherr residierte im nördlichen Gemach, mit Blick auf seine Ehefrauen, Kinder und Untertanen.
ÜBRIGENS
Im imperialen China hatten Männer oftmals mehrere Frauen, und je höher seine Position in der Gesellschaft war, umso mehr Frauen durfte der Mann haben. Mit dem Fall des Kaiserreichs 1911 wurde die Polygamie verboten. Es gab zwar noch ein paar Konkubinen, aber nach Mao Zedongs Machtergreifung 1949 waren auch diese verboten. Männer (einschließlich Mao) mussten sich dann mit heimlichen Mätressen zufriedengeben.
Es lebten immer mehrere Generationen in einem sìhéyuàn, wobei die Verteilung der Zimmer entsprechend der Stellung innerhalb der Familie erfolgte. Die Bediensteten lebten meistens in dem südlichen Gebäude mit Blick nach Norden, rechts und links waren die Ehefrauen mit den Kindern untergebracht. Ein einfacher sìhéyuàn hatte nur einen Innenhof. Reiche und angesehene Bürger bewohnten dagegen großzügige Anwesen mit mehreren Höfen, Gärten und Wohnhäusern. Die ganz Armen wohnten in einem Verbund von mehreren Hofhäusern bzw. Zimmern, die sie sich teilten.
Hauste ein Chinese mit niedrigem sozialem Status in einem Luxushäuschen, konnte er dafür strafrechtlich verfolgt und im schlimmsten Fall sogar hingerichtet werden. Das hat Peter natürlich nicht zu befürchten. Ihm wird aber klar, dass sein Häuschen, im Verbund mit anderen Hofhäusern und einzeln stehenden Gebäuden unter einer Hausnummer, demnach in die ärmere Kategorie einzuordnen ist.
Nach der Gründung der Volksrepublik entstand ein Wohnungszuweisungssystem, im Zuge dessen auch herrschaftliche Hofhäuser in Mehrfamilienhöfe umfunktioniert wurden. Mit der Modernisierung Chinas Anfang der 1980er-Jahre verschwanden immer mehr hútòng und damit auch die traditionellen sìhéyuàn. Der stete Zustrom von Menschen, die in der Hauptstadt ihr Glück machen wollten, verlangte nach mehr Wohnraum. Einstöckige Häuser wurden unwirtschaftlich.
In den Jahren 1991 bis 1999 sollen jährlich 70.000 Menschen umgesiedelt worden sein, um Platz für Hochhäuser und Einkaufszentren zu schaffen. Es gab viele dramatische Geschichten von Anwohnern, die auf den Dächern ihrer Hofhäuser standen, Aug in Aug mit der Abrisskugel. Jeder einzelne hatte den Kampf verloren, und die Häuser wurden dem Erdboden gleichgemacht. (Noch eine Zahl für Sie: Für den Bau der olympischen Stadien fielen noch einmal 1,5 Millionen Menschen diesen Zwangsumsiedlungen zum Opfer. Proteste und Petitionen waren zwecklos. Die neue Infrastruktur käme ja jetzt den Bürgern, auch nach den Spielen, zugute, sagte die Regierung allen Kritikern.)
Bei Spaziergängen durch noch vorhandene hútòng wies das Schriftzeichen chāi, Abriss, auf den Mauerwänden darauf hin, dass auch hier demnächst ein Bürogebäude oder Luxushotel erwachen wird. Nicht nur Betroffene, auch Künstler, chinesische Kritiker und selbst Historiker reichten bei der Regierung Beschwerden ein. Teils aus Eigennutz – wer wird schon gerne aus seinem Zuhause vertrieben? – teils aus Traditionsgründen. Mit jedem Hofhäuschen und jeder Gasse gehe auch ein Stück chinesischer Geschichte verloren.
Mittlerweile stehen einige hútòng unter Denkmalschutz, und die Hofhäuser werden renoviert. Vielleicht dauert es noch ein paar Jahre, bis die Farben wieder ein wenig verblasst sind und sie den alten Charakter zurückerlangen. Dann jedoch spiegeln sie das Flair der alten, traditionellen sìhéyuàn von Neuem wider.
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