Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house

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Franz Kafka: Sämtliche Werke - Knowledge house

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die Türe schließen, da erinnerte sich Karl, daß er ihm noch kein Trinkgeld gegeben hatte, nahm einen Schilling aus der Hosentasche – er trug jetzt immer Münzengeld nach amerikanischer Sitte lose klingelnd in der Hosentasche, Banknoten dagegen in der Westentasche – und reichte ihn dem Diener mit den Worten: „Für Ihre guten Dienste.“

      Klara war schon wieder eingetreten, die Hände an ihrer festen Frisur, als es Karl einfiel, daß er den Diener doch nicht hätte wegschicken sollen, denn wer würde ihn jetzt zur Station der Stadtbahn führen? Nun, da würde wohl schon Herr Pollunder einen Diener noch auftreiben können, vielleicht war übrigens dieser Diener ins Speisezimmer gerufen worden und würde dann zur Verfügung stehn. „Ich bitte Sie also doch ein wenig zu spielen. Man hört hier so selten Musik, daß man sich keine Gelegenheit sie zu hören, entgehen lassen will.“ „Dann ist aber höchste Zeit“, sagte Karl ohne weitere Überlegung und setzte sich gleich zum Klavier. „Wollen Sie Noten haben?“ fragte Klara. „Danke, ich kann ja Noten nicht einmal vollkommen lesen“, antwortete Karl und spielte schon. Es war ein kleines Lied, das wie Karl wohl wußte ziemlich langsam hätte gespielt werden müssen, um besonders für Fremde auch nur verständlich zu sein, aber er hudelte es im ärgsten Marschtempo hinunter. Nach der Beendigung fuhr die gestörte Stille des Hauses wie in großem Gedränge wieder an ihren Platz. Man saß wie benommen da und rührte sich nicht. „Ganz schön“, sagte Klara, aber es gab keine Höflichkeitsformel, die Karl nach diesem Spiel hätte schmeicheln können. „Wie spät ist es?“ fragte er. „Dreiviertel zwölf.“ „Dann habe ich noch ein Weilchen Zeit“, sagte er und dachte bei sich: „Entweder oder. Ich muß ja nicht alle zehn Lieder spielen, die ich kann, aber eines kann ich nach Möglichkeit gut spielen.“ Und er fieng sein geliebtes Soldatenlied an. So langsam, daß das aufgestörte Verlangen des Zuhörers sich nach der nächsten Note streckte, die Karl zurückhielt und nur schwer hergab. Er mußte ja tatsächlich wie bei jedem Lied die nötigen Tasten mit den Augen erst zusammensuchen, aber außerdem fühlte er in sich ein Leid entstehn, das über das Ende des Liedes hinaus, ein anderes Ende suchte und es nicht finden konnte. „Ich kann ja nichts“, sagte Karl nach Schluß des Liedes und sah Klara mit Tränen in den Augen an.

      Da ertönte aus dem Nebenzimmer lautes Händeklatschen. „Es hört noch jemand zu!“ rief Karl aufgerüttelt. „Mack“, sagte Klara leise. Und schon hörte man Mack rufen: „Karl Roßmann, Karl Roßmann!“

      Karl schwang sich mit beiden Füßen zugleich über die Klavierbank und öffnete die Tür. Er sah dort Mack in einem großen Himmelbett halb liegend sitzen, die Bettdecke war lose über die Beine geworfen. Der Baldachin aus blauer Seide war die einzige ein wenig mädchenhafte Pracht des sonst einfachen, aus schwerem Holz eckig gezimmerten Bettes. Auf dem Nachttischchen brannte nur eine Kerze, aber die Bettwäsche und Macks Hemd waren so weiß, daß das auf sie fallende Kerzenlicht in fast blendendem Widerschein von ihnen strahlte; auch der Baldachin leuchtete wenigstens am Rande mit seiner leicht gewellten, nicht ganz fest gespannten Seide. Gleich hinter Mack versank aber das Bett und alles in vollständigem Dunkel. Klara lehnte sich an den Bettpfosten und hatte nur noch Augen für Mack.

      „Servus“, sagte Mack und reichte Karl die Hand. „Sie spielen ja recht gut, bisher habe ich bloß Ihre Reitkunst gekannt.“ „Ich kann das eine so schlecht wie das andere“, sagte Karl. „Wenn ich gewußt hätte, daß Sie zuhören, hätte ich bestimmt nicht gespielt. Aber Ihr Fräulein“ – er unterbrach sich, er zögerte „Braut“ zu sagen, da Mack und Klara offenbar schon mit einander schliefen. „Ich ahnte es ja“, sagte Mack, „darum mußte Sie Klara aus New-York hierherlocken, sonst hätte ich Ihr Spiel gar nicht zu hören bekommen. Es ist ja reichlich anfängerhaft und selbst in diesen Liedern, die Sie doch eingeübt hatten und die sehr primitiv gesetzt sind, haben Sie einige Fehler gemacht, aber immerhin hat es mich sehr gefreut, ganz abgesehen davon, daß ich das Spiel keines Menschen verachte. Wollen Sie sich aber nicht setzen und noch ein Weilchen bei uns bleiben. Klara gib ihm doch einen Sessel.“ „Ich danke“, sagte Karl stockend. „Ich kann nicht bleiben, so gern ich hier bliebe. Zu spät erfahre ich, daß es so wohnliche Zimmer in diesem Hause gibt.“ „Ich baue alles in dieser Art um“, sagte Mack.

      In diesem Augenblick erklangen zwölf Glockenschläge, rasch hintereinander, einer in den Lärm des andern dreinschlagend, Karl fühlte das Wehen der großen Bewegung dieser Glocken an den Wangen. Was war das für ein Dorf, das solche Glocken hatte!

      „Höchste Zeit“, sagte Karl, streckte Mack und Klara nur die Hände hin ohne sie zu fassen und lief auf den Gang hinaus. Dort fand er die Laterne nicht und bedauerte dem Diener zu bald das Trinkgeld gegeben zu haben. Er wollte sich an der Wand zu der offenen Türe seines Zimmers hintasten, war aber kaum in der Hälfte des Weges, als er Herrn Green mit erhobener Kerze eilig heranschwanken sah. In der Hand, in der er die Kerze hielt, trug er auch einen Brief.

      „Roßmann warum kommen Sie denn nicht? Warum lassen Sie mich warten? Was haben Sie denn bei Fräulein Klara getrieben?“ „Viele Fragen!“ dachte Karl, „und jetzt drückt er mich noch an die Wand“, denn tatsächlich stand er dicht vor Karl, der mit dem Rücken an der Wand lehnte. Green nahm in diesem Gang eine schon lächerliche Größe an und Karl stellte sich zum Spaß die Frage, ob er nicht etwa den guten Herrn Pollunder aufgefressen habe.

      „Sie sind tatsächlich kein Mann von Wort. Versprechen um zwölf Uhr hinunterzukommen und umschleichen statt dessen die Tür Fräulein Klaras. Ich dagegen habe Ihnen für Mitternacht etwas Interessantes versprochen und bin damit schon da.“

      Und damit reichte er Karl den Brief. Auf dem Umschlag stand „An Karl Roßmann. Um Mitternacht persönlich abzugeben, wo immer er angetroffen wird.“ „Schließlich“, sagte Herr Green während Karl den Brief öffnete, „ist es, glaube ich, schon anerkennenswert daß ich Ihretwegen aus Newyork hierhergefahren bin, so daß Sie mich durchaus nicht noch auf den Gängen Ihnen nachlaufen lassen müßten.“

      „Vom Onkel!“ sagte Karl kaum, daß er in den Brief hineingeschaut hatte. „Ich habe es erwartet“, sagte er zu Herrn Green gewendet.

      „Ob Sie es erwartet haben oder nicht, ist mir kolossal gleichgiltig. Lesen Sie nur schon“, sagte dieser und hielt Karl die Kerze hin.

      Karl las bei ihrem Licht: Geliebter Neffe! Wie Du während unseres leider viel zu kurzen Zusammenlebens schon erkannt haben wirst, bin ich durchaus ein Mann von Principien. Das ist nicht nur für meine Umgebung sondern auch für mich sehr unangenehm und traurig, aber ich verdanke meinen Principien alles was ich bin und niemand darf verlangen daß ich mich vom Erdboden wegleugne, niemand, auch Du nicht, mein geliebter Neffe, wenn auch Du gerade der erste in der Reihe wärest, wenn es mir einmal einfallen sollte, jenen allgemeinen Angriff gegen mich zuzulassen. Dann würde ich am liebsten gerade Dich mit diesen beiden Händen mit denen ich das Papier halte und beschreibe, auffangen und hochheben. Da aber vorläufig gar nichts darauf hindeutet daß dies einmal geschehen könnte, muß ich Dich nach dem heutigen Vorfall unbedingt von mir fortschicken und ich bitte Dich dringend, mich weder selbst aufzusuchen, noch brieflich oder durch Zwischenträger Verkehr mit mir zu suchen. Du hast Dich gegen meinen Willen dafür entschieden, heute Abend von mir fortzugehn, dann bleibe aber auch bei diesem Entschluß Dein Leben lang, nur dann war es ein männlicher Entschluß. Ich erwählte zum Überbringer dieser Nachricht Herrn Green, meinen besten Freund, der sicherlich für Dich genug schonende Worte finden wird, die mir im Augenblick tatsächlich nicht zur Verfügung stehn. Er ist ein einflußreicher Mann und wird Dich schon mir zu Liebe in Deinen ersten selbständigen Schritten mit Rat und Tat unterstützen. Um unsere Trennung zu begreifen, die mir jetzt am Schlusse dieses Briefes wieder unfaßlich scheint, muß ich mir immer wieder neuerlich sagen: Von Deiner Familie, Karl, kommt nichts Gutes. Sollte Herr Green vergessen, Dir Deinen Koffer und Deinen Regenschirm auszuhändigen, so erinnere ihn daran. Mit besten Wünschen für Dein weiteres Wohlergehn

      Dein treuer Onkel Jakob.

      „Sind Sie fertig?“ fragte Green. „Ja“, sagte

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