Auf dem rechten Weg?. Aiko Kempen
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Auf dem rechten Weg? - Aiko Kempen страница 2
WARUM WIR DEN RECHTSSTAAT VOR DER POLIZEI BESCHÜTZEN MÜSSEN – UND DIE POLIZEI VOR SICH SELBST
Einige Aussagen sind so banal, man wundert sich, warum man sie überhaupt aufschreiben sollte. »Nicht jeder Polizist ist ein Rassist« lautet ein solcher Satz. Gleiches gilt für die simple Feststellung, dass nicht jeder Mensch in einer Polizeiuniform automatisch rechts oder gar rechtsextrem eingestellt ist. Es sind offensichtliche Banalitäten. Und doch scheint es notwendig, ebendiese Selbstverständlichkeiten stets aufs Neue zu wiederholen, sobald es um die Frage nach rechten Umtrieben in der deutschen Polizei geht.
Dass wir über dieses Thema reden müssen, sollte eigentlich außer Frage stehen. Als Vertreterin der staatlichen Gewalt ist die Polizei die einzige Berufsgruppe, die mit Schusswaffen, Tasern oder Schlagstöcken ausgestattet durch Innenstädte und Wohnviertel streifen darf. Sie ist die einzige Instanz, die in Deutschland grundsätzlich dazu legitimiert ist, Gewalt gegen Menschen auszuüben. Und sie wendet diese ihr übertragenen Sonderrechte auch jeden Tag an. Das alles stets in dem Auftrag, ein friedliches Miteinander in unserer Gesellschaft aufrechtzuerhalten – nicht, es zu gefährden.
Zugleich gibt es in den Reihen der deutschen Polizei überzeugte Rassisten.
Dieser Satz soll hier einmal für sich allein stehen. Es gibt sie. Rassisten in Uniform. Rechtsextreme in Uniform. Und Neonazis in Uniform. Sind es viele? Sind es zu viele? Wir wissen es nicht. Dass es sie gibt, wird nicht einmal in den Innenministerien oder auf den Führungsetagen der Polizei grundsätzlich bestritten. Seit Jahrzehnten räumen Innenminister und Polizeipräsidenten sogenannte »Einzelfälle« ein: Polizeibeamte, die sich rechtsextreme Botschaften schicken, Polizeischüler, die in der Öffentlichkeit Naziparolen brüllen, oder Polizisten, die in Kontakt zu organisierten Neonazis stehen. Und seitdem Dutzende von Todesdrohungen an Menschen geschickt wurden, deren persönliche Daten überall in Deutschland von Polizeicomputern abgerufen worden waren, steht sogar im Raum, ob es ein gesamtes Neonazi-Netzwerk in der deutschen Polizei gibt. Hessens Innenminister Peter Beuth räumte im Sommer 2020 ein, er könne dies zumindest in der Hessischen Landespolizei nicht länger ausschließen. Zu ihr gehören 18000 Polizistinnen und Polizisten.
Hinzu kommen etliche Berichte über mutmaßlich rassistisch motivierte Polizeikontrollen oder gar Übergriffe. Nahezu jeder Nicht-Weiße in Deutschland kann von Situationen berichten, in denen er sich – seiner Wahrnehmung nach unbegründet – im Fokus der Polizei sah. Das Phänomen ist keineswegs neu. Eine Google-Suche nach den deutschsprachigen Stichwörtern Polizei und Rassismus liefert in 0,67 Sekunden mehr als zehn Millionen Ergebnisse. Und zu den bekannt gewordenen Fällen kommt noch ein Dunkelfeld hinzu, über dessen Ausmaß kaum jemand etwas Verlässliches sagen kann.
Über jeden dieser Fälle müssen wir reden. Denn jeder dieser Fälle hat das Potenzial, die Demokratie und das Vertrauen in den Rechtsstaat zu gefährden. Vor allem, weil es verdammt schwer ist, überhaupt über solche Fälle und die unbekannte Dimension dahinter zu reden. Noch immer scheint es nicht möglich, jederzeit hinter die Kulissen unserer Sicherheitsbehörden zu blicken und die Verhältnisse offen zu kritisieren. Und noch immer wird Fehlverhalten in der Polizei fast ausschließlich intern aufgearbeitet. Doch eine Gesellschaft, die das zulässt, schadet nicht nur der Demokratie, sondern auch der Polizei selbst.
Warum ist das so?
1. Die Polizei steht in einer besonderen Verantwortung
Ebenso wie nicht jeder Polizist ein Rassist oder Rechtsextremer ist, gibt es nicht nur in der Polizei ein Problem mit der Abgrenzung von rechtsaußen. 16,5 Prozent der Deutschen sind laut einer aktuellen Studie der Universität Leipzig geschlossen ausländerfeindlich eingestellt.1 Auf die Polizei übertragen, hieße ein solcher Anteil, dass es mehr als 40 000 Ausländerfeinde in Uniform gibt. In den ostdeutschen Bundesländern hat beinahe jeder Zehnte ein geschlossen rechtsextremes Weltbild.2 Zu behaupten, dass sich diese Einstellungen nicht auch in der Polizei finden, wäre ebenso absurd wie weltfremd.
Doch es ist ein entscheidender Unterschied, ob ein Handwerker oder Bankberater den demokratischen Rechtsstaat überwinden will und den Gedanken ablehnt, dass alle Menschen gleich zu behandeln sind, oder ob ein Polizist diese Einstellungen vertritt. Denn die Polizei ist in einer Demokratie nicht nur die Gewalt, sie hat zugleich das Monopol darauf. Wer unzufrieden mit einem Handwerker ist, ruft beim nächsten Mal jemand anderen. Wer die Polizei hingegen als Gefahr und nicht als Hilfe erlebt, hat keine Alternative – außer den Schutz, den ein demokratischer Rechtsstaat bieten und sicherstellen sollte, nicht mehr in Anspruch oder in die eigenen Hände zu nehmen.
Welche Folgen es hat, wenn gerade diejenigen zur Bedrohung werden, die eigentlich für Schutz sorgen sollen, ist in den letzten Jahren immer wieder sichtbar geworden. Schon 2007 fanden Ermittler ausgerechnet bei jenen Polizeibeamten, die zum Schutz des jüdischen Funktionärs Michel Friedman abgestellt waren, jede Menge Rechtsrock, das verbotene Horst-Wessel-Lied und Fotos der Polizisten in SS-Uniform. »Es ist ein unerträglicher Gedanke, dass die, die mich vor den Nazis schützen sollen, teils selbst Nazis waren«, sagte der vormalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland damals.3 Dass diese Beamten stellvertretend für die gesamte Polizei stehen, dachte Friedman nicht. Doch jede Ausnahme sei eine zu viel, betonte er. Zu Recht. Denn wenn jene zur Bedrohung werden, die Bedrohungen fernhalten sollen, schwindet zugleich das Vertrauen in den Staat.
Auch die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız, die seit 2018 immer wieder rechtsextreme Todesdrohungen erhielt, nachdem ihre Adresse auf Polizeicomputern abgerufen wurde, hat das Vertrauen in die Polizei verloren. Dass die Polizei selbst in der Lage ist, den Fall aufzuklären, glaubt sie offensichtlich nicht mehr und hat 5000 Euro Belohnung für Hinweise ausgesetzt. »Ich kann doch nicht Däumchen drehen und warten, bis uns jemand abknallt«, sagte sie im November 2020.4
Wenn sich rechtsextreme und rassistische Strukturen in der Polizei ausbreiten können, ist dies nicht nur eine massive Gefahr für Menschen, die in rechte Feindbilder fallen, sondern auch für demokratische Grundprinzipien.
2. Die Polizei hat ein erhebliches Bedrohungspotenzial
Die Polizei ist mit Macht, Waffen und Wissen ausgestattet. Und sie hat stets die Möglichkeit, ihre Privilegien zu missbrauchen – ob bewusst oder unbewusst. Polizisten können Gewalt anwenden, wenn sie es für nötig erachten. Sie haben Zugang zu geschützten Daten. Sie können Grundrechte außer Kraft setzen, in den geschützten Bereich der Wohnung eindringen, Menschen verletzen oder vorübergehend einsperren. In Ausnahmefällen haben Polizisten sogar das Recht, jemanden zu töten. All dies passiert in Deutschland und manchmal passiert es außerhalb der Vorgaben.
Und weil die Polizei mit so viel Macht und Befugnissen ausgestattet ist, müssen wir ihr fortwährend misstrauen dürfen und kontrollieren, ob Sicherheitsbehörden ihrem Auftrag gerecht werden. Wer öffentlich Kritik an der Polizei äußert, stößt jedoch auf heftigen Widerstand. Die Polizei könne sich darauf verlassen, dass die Politik hinter ihr stehe, heißt es im Herbst 2020 von Bundesinnenminister Horst Seehofer angesichts der Forderungen nach einer Untersuchung über rechte Einstellungen in der Polizei.5
3. Die Polizei ist kein Selbstzweck
Bis heute ist es kaum möglich, die Frage danach zu stellen, wie weit rechte Umtriebe in der Polizei reichen. Jede kritische Auseinandersetzung ist stets begleitet von dem Hinweis, dass man keineswegs die gesamte Polizei unter Verdacht stellen möchte. Auch dieses Buch beginnt mit der offensichtlich notwendigen Plattitüde, dass nicht jeder Polizist ein Rassist ist. Ungeachtet dessen, dass viele Einblicke in die deutsche Polizei auf den nachfolgenden Seiten nur durch Polizistinnen und Polizisten