Kapitalismus und politische Demokratie. Joachim Perels
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Das durch die Trennung der Arbeiter von den Mitteln der Produktion konstituierte Kapitalverhältnis ist kein statisches Faktum, sondern reproduziert sich stets aufs neue. »Einerseits verwandelt der Produktionsprozeß fortwährend den stofflichen Reichtum in Kapital, in Verwertungs- und Genußmittel für den Kapitalisten. Andererseits kommt der Arbeiter ständig aus dem Prozeß heraus, wie er in ihn eintrat – persönliche Quelle des Reichtums, aber entblößt von allen Mitteln, diesen Reichtum für sich zu verwirklichen. Da er vor dem Eintritt in den Prozeß seine eigene Arbeit, ihm selbst entfremdet, dem Kapitalisten aneignet und dem Kapital einverleibt ist, vergegenständlicht sie sich während des Prozesses beständig im fremden Produkt. Da der Produktionsprozeß zugleich Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft durch den Kapitalisten, verwandelt sich das Produkt des Arbeiters nicht nur fortwährend in Ware, sondern in Kapital, Wert, der die wertschöpfende Kraft aussaugt, Lebensmittel, die Personen kaufen, Produktionsmittel, die Produzenten anwenden. Die Arbeit produziert daher beständig den objektiven Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist produziert ebenso beständig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren eigenen Vergegenständlichungs- und Verwirklichungsbedingungen getrennte, abstrakte, in der bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existierende Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter.«15 Die Aneignung des von den Arbeitern gemeinschaftlich hergestellten Produkts durch die ihnen als fremde Macht gegenüberstehenden Produktionsmittelbesitzer bezeichnet den Kern des aus dem bürgerlichen Privateigentum hervorgehenden Rechts. Mit dem privaten Aneignungsrecht des gesellschaftlich produzierten Reichtums steht und fällt das bürgerliche Privatrechtssystem; es gründet im Kapitalverhältnis, dem Gewaltzentrum des bürgerlichen Rechts. Den rechtstechnischen Anformungen des Privatrechts, insbesondere im Schuld-, Sachen-, Handelsund Aktienrecht, und der tagtäglichen Vertragspraxis liegt das private Aneignungsrecht als »Naturbasis« zugrunde.
1 K. Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 13, Berlin 1971, S. 8.
2 K. Marx, F. Engels, Die deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, Berlin 1969, S. 63.
3 Ebenda, Hervorhebung von mir.
4 Vgl. G. Radbruch, Klassenrecht und Rechtsidee, in: Der Mensch im Recht, Göttingen 1961, S. 23 ff.
5 »Auf einer gewissen Stufe der Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen.« K. Marx, a. a. O. (Anm. 1), S. 9. Zur These des kurzen Vermittlungsschritts zwischen Rechtsformen und ökonomischen Verhältnissen vgl. E. Paschukanis, Allgemeine Rechtslehre und Marxismus, Frankfurt 19693, S. 53 ff., E. Bloch, Das Materialismusproblem, seine Geschichte und Substanz, Frankfurt 1972, S. 392 f.
6 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1. Halbband, Köln/Berlin 1964, S. 513. »Das Maß der Vertragsfreiheit, d. h. der von der Zwangsgewalt ›gültig‹ garantierten Inhalte von Rechtsgeschäften, die relative Bedeutung also der zu solchen rechtsgeschäftlichen Verfügungen ›ermächtigenden‹ Rechtssätze innerhalb der Gesamtheit einer Rechtsordnung ist natürlich Funktion in erster Linie der Marktverbreiterung.« Ebenda, S. 509.
7 K. Marx, Das Kapital I, MEW Bd. 23, Berlin 1967, S. 99. Vgl. auch ausführlicher K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 155.
8 Vgl. K. Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre soziale Funktion, Stuttgart 19652, S. 87 ff.
9 K. Diehl, Die rechtlichen Grundlagen des Kapitalismus, Jena 1929, S. 7 f.
10 K. Marx, F. Engels, Das kommunistische Manifest, MEW Bd. 4, Berlin 1971, S. 477.
11 M. Weber, Wirtschaftsgeschichte, Berlin 19583, S. 240.
12 F. Neumann, Koalitionsfreiheit und Reichsverfassung, Berlin 1932, S. 5 f.
13 K. Marx, Das Kapital, a. a. O. (Anm. 7), S. 741 ff.
14 Vgl. hierzu im Anschluß an Marx K. Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts, a. a. O. (Anm. 7).
15 K. Marx, Das Kapital I, a. a. O. (Anm. 7), S. 595 f.
II. Das Verhältnis von Privatrechtssystem und Verfassungsstruktur im klassischen Liberalismus und seine deutsche Variante im Kaiserreich von 1871
Die Konstituierung einer konkurrenzwirtschaftlich produzierenden Gesellschaft und die ihr korrespondierenden juristischen Regelungsmechanismen des bürgerlichen Privatrechts lassen die öffentliche Gewalt, die im Feudalismus mit der privaten Herrschaft der Grundeigentümer verschmolzen war, sich zur selbständigen Sphäre des politischen Staates, gegründet auf Beamtenapparat und stehendes Heer, umbilden. »Die herrschaftlichen Privilegien der Grundeigentümer und Städte verwandeln sich in ebenso viele Attribute der Staatsgewalt, die feudalen Würdenträger in bezahlte Beamte und die bunte Mustercharte der widerstreitenden mittelalterlichen Machtvollkommenheiten in den geregelten Plan einer Staatsmacht, deren Arbeit fabrikmäßig geteilt und zentralisiert ist.«1
Die Ausformung der Struktur der modernen öffentlichen Gewalt und die Entfaltung des Privatrechtssystems sind zwei Seiten eines Vorgangs: »Die Konstituierung des politischen Staats und die Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft in die unabhängigen Individuen – deren Verhältnis das Recht ist, wie das Verhältnis der Standes- und Innungsmenschen das Privilegium war – vollzieht sich in ein und demselben Akte.«2
Die Verknüpfung von Privatrechtssystem und Verfassungsstruktur bringt der junge Hegel auf die Formel: »In den Staaten der neueren Zeit (…) ist die Sicherheit des Eigentums der Angel, um den sich die ganze Gesetzgebung dreht.«3 Lorenz von Stein sekundiert: »Die Verschiedenheit des Besitzes bildet den wahren Inhalt der Verschiedenheit der Verfassungen selber. Immer aber wird, durch den inneren Zusammenhang von Gesellschaft und Verfassung erzeugt, der Satz notwendig gelten, daß, wenn in einer Gesellschaft eine bestimmte Art oder ein bestimmtes Maß von Besitz die herrschende Klasse von der der abhängigen scheidet, alsdann auch nicht jede beliebige Art und jedes Maß, sondern nur diejenige Art und dasjenige Maß zur Teilnahme am Staatswillen berechtigen, welche in der Gesellschaft die Herrschaft der besitzenden Klasse begründen.«4
Aus dieser Einsicht heraus konzipiert der Liberalismus, die politische Theorie des Bürgertums, eine der bürgerlichen Interessenlage angeschneiderte Konstruktion des Funktionszusammenhangs von Privatrechtssystem und Verfassungsstruktur. Unmittelbares Gegenmodell zum bürgerlichen Rechtsstaat, der als juristisches Gehäuse des Bürgertums sich geschichtlich durchsetzt, ist die absolute Monarchie. In ihr waren die später auseinandertretenden Zweige der öffentlichen Gewalt (Exekutive, Legislative und Judikative) zu einem ungeteilten und unkontrollierten Machtkomplex, der allein der Suprematie des Königs unterstand, zusammengezogen. Die Konstitutionsmomente des bürgerlichen Rechtsstaats fügen sich zu einer in sich vermittelten Totalität, zu einem System zur Garantie und Regulierung des kapitalistischen Produktions- und Austauschprozesses.
Die Sphäre der gesellschaftlichen Arbeit und des kapitalistischen Warenverkehrs wird der Reglementierung durch die öffentliche Gewalt, typischerweise ausgeprägt in der Periode des Merkantilismus, prinzipiell