Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde Band 2. Kersten Reich
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Dieser Band beschäftigt sich insbesondere mit den Bedingungen, die durch ökonomische Strukturen und Prozesse auf die Gesellschaft und die Individuen wirken und die zugleich auch stark das Handeln und den Spielraum der Politik bestimmen. Mir scheint es besonders wichtig, dabei erstens die ökonomischen Grundlagen insoweit zu analysieren, wie sie bestimmend auch auf die Nachhaltigkeit Einfluss nehmen, und zu erörtern, inwieweit hier überhaupt Veränderungsspielräume gegeben sind. Zweitens will ich die politischen Bedingungen zum Ausgangspunkt nehmen, um kritisch einschätzen zu können, wie weitreichend die Nachhaltigkeitsfallen das politische Handeln gegenwärtig überhaupt erreichen und eine neue Politik auslösen können. Als Konsequenz aus diesen Analysen will ich sowohl auf zukünftige Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums als auch auf Grenzen der bisherigen demokratisch-institutionellen Vorgehensweisen verweisen, die ein radikales Umdenken und Umsteuern erfordern, wenn Nachhaltigkeit hinreichend gelingen soll. Abschließend will ich im Schlussteil des Buches erörtern, welche Wege aus den Nachhaltigkeitsfallen möglich sind und zu welchen Regeln dies in der Nachhaltigkeit führen müsste.
Nachhaltigkeitsfallen, das sind, so hatte ich schon im ersten Band ausgeführt, Fallen, die dadurch entstehen, dass wir als Menschen in einen Konflikt mit unseren Vorstellungen und Theorien, unseren Wünschen und unserem Begehren in Bezug zu den nicht erkannten Folgen unserer Handlungen geraten, oft dadurch, dass wir das, was wir wünschen, bereits für die Wirklichkeit halten. Die meisten Menschen befürworten heute Nachhaltigkeit, weil und insofern sie informiert sind, dass beispielsweise der Klimawandel auch ihr Wohlbefinden in Zukunft stark gefährden wird. Sie wären sogar bereit, sich für begrenzte Aspekte der Nachhaltigkeit einzusetzen, aber im praktischen Leben gibt es eben auch andere Erwartungen, Wünsche und Gewohnheiten, die solchem Einsatz im Wege stehen. Das sind Konsumerwartungen, die nicht aufgeschoben werden sollen, Reisewünsche, die Freiheit ausdrücken, und viele andere mehr. Wenn diese mit der Nachhaltigkeit im Konflikt stehen, der vielfach dann noch nicht einmal offensichtlich und für alle erkennbar ist, dann entsteht eine Falle, das alte Verhalten zu bevorzugen und Veränderungen nach hinten zu schieben, wodurch aber letztlich das Überleben in Zukunft gefährdet wird.
Ein Beispiel, das ich schon im letzten Band herangezogen habe: Ich weiß, dass mein Auto CO2 ausstößt und dass dies für das Klima schädlich ist. Aber das Auto ist mir wichtig, es repräsentiert für mich Freiheit, Mobilität, sozialen Status, ich benötige es, um zur Arbeit zu kommen, weil alle anderen auch Auto fahren und der Nahverkehr eingeschränkt wurde. Und schwieriger noch: Ich lebe in einem Land, das sehr viele Autos produziert, in dem viele Arbeitsplätze und die Wirtschaftskraft von dieser Produktion abhängen, sodass ich sogar meinen Wohlstand riskiere, wenn ich auf das Auto verzichten würde. Hier wird die Falle konkret sichtbar.
Eine große, vielleicht die größte Nachhaltigkeitsfalle, besteht für mich heute darin, dass wir es ökonomisch und politisch schaffen, uns bereits glücklich und zufrieden zu wähnen, und deshalb meinen, uns nicht wirklich umfassend ändern zu müssen. Die Zufriedenheitsstudien, die dies messen, orientieren sich am erreichten Stand, so wie wir es auch in den meisten Selbstbeschreibungen tun, aber es fehlt dabei meist der kritische Blick auf das, was der Überfluss, in dem wir leben, für die Zukunft bedeuten wird. Wir können bei genauerem Hinsehen aber sehr genau wissen, dass wir uns in einer Umweltkrise befinden, dass wir trotzdem Ressourcen verschwenden und nachlässig gegenüber den Überlebenschancen in der Zukunft operieren, aber sehr viele Menschen glauben zugleich, dass es nie so schlimm kommen wird, wie es uns wissenschaftliche Forschungen vorhersagen.
Teil I dieses Bandes beschäftigt sich damit, warum und wie die Ökonomie bisher die Nachhaltigkeit verhindert. Dabei geht es darum, wie aus der Vergangenheit heraus Nachhaltigkeitsfallen entstanden sind und warum es kaum Auswege aus diesen gibt. Die kapitalistische Ökonomie, in der wir alle arbeiten und leben, setzt auf Gewinne, die aus allen Beschäftigungen und Handlungen entspringen sollen, aber sie scheut bisher überwiegend die Kosten der Nachhaltigkeit, weil sie Gewinne schmälern. Die Menschheit hat sich in diesem System in einem Spannungsfeld von Wohlstand und Luxus oder Hunger und Ausbeutung schon lange eingerichtet, aber je mehr Mehrheiten diesem Weg weiter ungebremst in allen Ekstasen des Konsums und der Mobilität folgen, je mehr sie dabei weiter auf Gewinnmaximierung und nicht Fürsorge für Menschen und die Umwelt setzen, desto stärker wachsen die Kosten und Nachteile für jene an, die nach uns kommen. Wahrscheinlicher ist es sogar, dass bereits wir die negativen Folgen eines gedankenlosen Handelns massiv spüren werden. Ich will möglichst umfassend an der Breite der kapitalistischen Entwicklung von der Moderne bis in die Gegenwart zeigen, in welche Nachhaltigkeitsfallen wir uns begeben haben und warum die Ökonomie eine so zentrale Dimension darstellt.
Zunächst wird in einem ersten Schritt verdeutlicht, dass die Nachhaltigkeit noch nie im Fokus der kapitalistischen Arbeits- und Produktionswelt stand. Im Gegenteil, die soziale Seite der Nachhaltigkeit musste in unendlichen Arbeitskämpfen immer erst erstritten werden, um das Überleben der Arbeitenden im kapitalistischen System zu sichern. Aus diesen Kämpfen erst sind Wohlstand und ein gewisser Überfluss bei breiten Massen entstanden, aber das Problem der sozialen Gerechtigkeit und einer steten Umverteilung des Reichtums auf wenige Reiche ist geblieben. Für die planetare Nachhaltigkeit sind dies denkbar ungünstige Voraussetzungen, denn der Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit, der in einem zweiten Schritt diskutiert wird, beherrscht immer noch den Kapitalismus, der Platz der Nachhaltigkeit geht dabei schnell verloren.
Im Folgenden wird erörtert, wie sich die schwere Moderne, der solide Kapitalismus mit seiner Industrialisierung, bis heute verflüssigt hat. Die Verflüssigung hat das ökonomische Leben flexibler, dynamischer und mobiler, aber auch unsicherer im Blick auf die eigenen Erwartungen gemacht. Der Konsum beherrscht das Zeitalter, und er ist zugleich Ausdruck dafür, die planetaren Grenzen in jeder Hinsicht zu überschreiten. Dies geht soweit, dass auch die Nachhaltigkeit selbst kapitalisiert wird, die Urheber von Schäden unsichtbar gemacht werden oder sich unsichtbar machen, die Gewinne ständig steigen und die Ausgaben für die Nachhaltigkeit im Verhältnis bescheiden bleiben. Nachhaltigkeit soll konform mit der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung gehen, dies ist Wunsch und Programm der Nationen und auch der Nachhaltigkeitsagenda der UN und der global goals. Immer mehr wird erkennbar, dass dies ein Widerspruch ist, weil jedes Wachstum im steigenden Wohlstand und Überfluss eine neue Herausforderung für die planetaren Grenzen setzt.
Teil II widmet sich der Politik, die meist im Einklang mit der Ökonomie die Nachhaltigkeit verhindert. Hierbei analysiere ich vor allem drei thematische Bereiche: Zu Beginn diskutiere ich kurz das politische Erbe fehlender Nachhaltigkeit. Der Politik fehlt in Fragen der Nachhaltigkeit ein umfassender Wille zur Wahrheit, um den Wahrscheinlichkeitsaussagen der Wissenschaft hinreichend Glauben zu schenken. Parteien in repräsentativen Demokratien wollen ihre Wählerinnen nicht verschrecken und ihre Wähler2 nicht verlieren, sie belügen sich und andere um der kurzfristigen Wahlgewinne willen und verschweigen notwendige Einschnitte und Verzicht im Verhalten. Aber die Wahrheit in der Anerkennung der Wahrscheinlichkeit der vorliegenden Forschungsergebnisse kommt auch dann an ihre Grenzen, wenn die Masse der Wahlberechtigten nicht auf einen Lebensstil mit großem Fußabdruck verzichten will.
Daraufhin wende ich mich dem politischen Kampf um Wahrheit in der Nachhaltigkeit zu. Dies ist eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen politischen Verhältnisse, soweit sie insbesondere für die Nachhaltigkeit relevant sind. Dabei will ich sowohl politische Faktoren fehlender Nachhaltigkeit herausstellen, aber auch das Zusammenwirken von Ökonomie, Politik und Lebensweise zwischen nationalen und globalen Herausforderungen diskutieren. In der Politik mischen sich die Kämpfe um mehr soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit ständig, aber eine nachhaltige Politik wird sich entscheiden müssen, wird Prioritäten setzen müssen. Hierbei ist die Globalisierung Antreiber etwa