Im wilden Balkan. David Urquhart
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Zu letzteren gehörte der Schotte David Urquhart (Aussprache: Ö‘rqwart [beide Vokale kurz]), der im Jahr 1805 in Braelangwell nicht weit entfernt von Inverness geboren wurde. Seine Familie verfügte zwar nicht über ein grenzenloses Vermögen, doch war man wohlhabend genug, um dem Sohn eine angemessene Ausbildung zu sichern. Seinerzeit gehörte es sozusagen zum guten Ton, sein Kind in ein Schweizer Internat zu schicken, weswegen er in Lausanne oberhalb des Genfer Sees, aber auch in Frankreich und Spanien eine solide schulische Ausbildung erhalten sollte, in der alte und neue Sprachen sowie die Geschichte nicht fehlen durften. Gerade die Sprachkenntnisse, die er sich dabei aneignete, sollten Urquhart in seinem späteren Leben von großem Nutzen sein, zumal auf diese Weise auch die Fähigkeit hinreichend trainiert war, in kurzer Zeit weitere Sprachen zu erlernen. Zurückgekehrt nach England nahm er am St. John’s College in Oxford um das Jahr 1822 ein Studium der Altertumswissenschaften auf, das er jedoch recht bald schon abbrechen musste, weil sein Vater verstorben war und er sich nunmehr um den Familienbesitz zu kümmern hatte. Die wirtschaftliche Lage war jedoch keineswegs gut, weswegen man das Landgut aus den eingangs angedeuteten Gründen aufgeben musste.
Gleichwohl hinterließ bei ihm wie bei zahlreichen seiner Zeitgenossen das Studium der Altertumswissenschaften dahingehend Spuren, dass er sich von der allgemeinen Griechenland-Begeisterung seiner Zeit infizieren ließ, die insbesondere nach dem Tod seines berühmten Landsmannes Lord Byron bei Messolonghi im Jahr 1824 unter den durch den Geist der Romantik geprägten Altertumskundlern seiner Zeit vorherrschte. So schloss er sich der Mannschaft des britischen Seehelden Thomas Cochrane (1775-1860) an, der in der ersten Dekade des 19. Jahrhunderts zahlreiche glänzende Siege für England eingefahren und daraufhin eine politische Karriere begonnen hatte. Doch sollte Cochrane England im Jahr 1817 verlassen, nachdem man ihm drei Jahre zuvor wegen eines Börsenskandals, an dem er eigentlich unbeteiligt war, die Ritterschaft aberkannt hatte. Er übernahm daraufhin Seekommandos in der ganzen Welt und befehligte von 1826-1828 auf Ansuchen des späteren griechischen Ministers Aléxandros Mavorkordátos die neu gebildete griechische Flotte, deren Hauptaufgabe es war, die Piraterie im Bereich der Ägäis einzudämmen.
Urquhart gelangte 1827 nach Griechenland, wo er die letzten Ausläufer des Unabhängigkeitskampfes miterlebte. Nachdem Cochrane sein Kommando aus nicht mehr klar ermittelbaren Gründen aufgab und nach England zurückkehrte – Urquhart weist gelegentlich auf die erwiesene Unfähigkeit der griechischen Seeleute hin –, blieb unser Autor, der es bis zum Fregatten-Leutnant gebracht hatte und während des Angriffs auf Salona/Amphissa im Golf von Korinth schwer verwundet worden war, noch ein Jahr länger im Osmanischen Reich. Er reiste nach Konstantinopel, von wo er dann im Jahr 1829 nach England aufbrach und sich dort die Gunst König Williams IV. zu sichern verstand.
Das erste Londoner Protokoll vom 22. März 1829 sollte die Lage in Griechenland beruhigen. Die Großmächte hatten vereinbart, dass Leopold von Sachsen-Coburg-Saalfeld die griechische Königskrone angetragen werden sollte, wobei ihn Urquhart als britischer Kommissar in seine neue Heimat begleiten sollte. Die Sache verlief jedoch im Sande, da Leopold, der spätere erste König von Belgien, das Angebot ablehnte. Denn nach dem Text des Protokolls dachte man an eine konstitutionelle Monarchie, wobei die europäischen Großmächte die wirkliche Souveränität über das Gebiet besaßen. Die Verhandlungen gingen weiter, und im Herbst 1831 wurde der Vicomte Stratford Canning zum britischen Sonderbeauftragten an der Hohen Pforte ernannt. Seine Aufgabe war es, strittige Grenzfragen zwischen Griechenland und dem Osmanischen Reich zu klären, die im dritten Londoner Protokoll vom 30. August 1832 Berücksichtigung finden sollten. Urquharts Kenntnisse der Region waren mittlerweile recht gut bekannt, und so verwundert es kaum, dass er von Canning damit beauftragt wurde, die fraglichen Gebiete zu bereisen.
Der griechische Unabhängigkeitskampf war also bis zu einem gewissen Status quo gelangt und die Staatsgründung stand unmittelbar bevor: Das heutige Nordgriechenland befand sich nicht zuletzt aufgrund der Unzuverlässigkeit der Albaner, die ihrerseits eine politische Eigenständigkeit anstrebten, unter osmanischer Oberherrschaft, während der noch neu zu etablierende griechische Staat das heutige Mittel- und Südgriechenland sowie zahlreiche Inseln umfasste. Urquharts erste Reise nach Konstantinopel führte ihn durch zahlreiche der heftig umkämpften Gebiete, die nun entvölkert und ausgeplündert waren. Eine wirtschaftliche Genesung des Landes schien ihm unmöglich zu sein, was alles in allem zu einer tiefgreifenden Revision seiner persönlichen Ansichten führte.
Bereits als Jugendlicher hatte er, der selbst vom Land stammte, massiv unter dem Wechsel der äußeren Bedingungen gelitten, denn ohne Personal und ausreichende Geldmittel konnte das elterliche Gut nicht mehr bewirtschaftet werden. Jetzt erlebte er wiederum, dass eine grundlegende Änderung der äußeren Umstände zum Schlechten führte, denn so beurteilte er nunmehr den griechischen Aufstand, der in seinen Augen einzig Vertreibungen, Raub, Tod und den wirtschaftlichen Niedergang ganzer Landschaften zur Folge hatte. Im hier vorgelegten Band deutet er jedoch an, dass er den Orient nach seiner ersten Reise noch mit einem tiefen Widerwillen gegen all das verließ, was er erlebt und gesehen hatte. Allerdings habe er zum damaligen Zeitpunkt das türkische Wesen noch nicht genügend begriffen, um zu einer angemessenen Bewertung des Gesehenen kommen zu können.
In den Jahren 1830 und 1831 hielt er sich noch zwei Mal in den umkämpften Gebieten auf, für die die europäische Diplomatie noch immer nach einer geeigneten Lösung suchte. Diese zweite und dritte Reise, über die er in dem hier vorgelegten sowie in dem ersten Band Reisen unter Osmanen und Griechen. Vom Peloponnes zum Olymp in einer ereignisreichen Zeit berichtet, finden nun in jener Übergangsphase zwischen dem Ende der großem Kämpfe und der offiziellen Gründung des Königreichs Griechenland statt. Hier tritt Urquharts Sinneswandel ganz offen zutage: Das schlechte, abzulehnende Ereignis ist der griechische Aufstand, bei dem es sich nur um ein Ränkespiel der vereinigten europäischen Diplomatie zu Lasten Englands und vor allen Dingen der Türken handeln könne. Die Osmanen hingegen werden als die guten, großherzigen Verwalter eines riesigen Reichs dargestellt, das von Konstantinopel aus unter dem leichten Los des Islam regiert worden sei. Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse werden idealisiert, erinnern ihn jedoch an die Tage seiner Kindheit auf dem Land, als sich die Welt noch in guter Ordnung befand. Die Kernaussage dabei ist, dass die Türkei trotz der gravierenden Einschnitte noch immer ein starker, lebenskräftiger Staat sei, an dem sich sogar England ein Vorbild nehmen könne. Als den eigentlichen Feind sowohl der türkischen als auch der britischen Interessen macht Urquhart nun Russland aus, das eine weltpolitische Hegemonie anstrebe und sich insbesondere in Südosteuropa sowie im Kaukasus zu Lasten des Osmanischen Reiches – und damit auch zu Lasten von dessen natürlichem Verbündeten, nämlich England, ausdehnen wolle. Doch darauf soll weiter unten noch einmal genauer eingegangen werden.
Im Jahr 1833 machte sich Urquhart neuerlich auf den Weg nach Konstantinopel, von wo er nach Tscherkessien an der Ostküste des Schwarzen Meeres reiste. Welche Ziele er dabei verfolgte, ist nicht ganz klar. Einiges spricht jedoch dafür, dass er im offiziellen Auftrag unterwegs war, um die politische Lage zu sondieren und abzuklären, inwieweit Russland zu einer Ausdehnung seiner Interessenssphären bereit wäre und den englischen Interessen ein weiterer Schaden drohe. Urquhart tarnte sich während dieser Reise als Kaufmann und vermied es peinlichst, seine wahre Existenz zu erkennen zu geben. Bald darauf kehrte er nach London zurück. Dort gründete er sein Portfolio, in dem er zwischen dem November 1835 und dem Mai 1837 in 45 Heften die wichtigsten russischen Dokumente und Akten zur sogenannten Orientalischen Frage publizierte, um damit die Alleinschuld Russlands am Niedergang des Osmanischen Reichs und der daraus folgenden internationalen Verwicklungen zu erklären. Auch in der Gründung des modernen Griechenlands müsse man das Ergebnis einer russischen Verschwörung sehen.
Allerdings blieb er nicht lange in England, und als man 1836 einen Botschaftssekretär für Konstantinopel suchte, der des Türkischen mächtig wäre, nutzte er diese Gelegenheit für eine Rückkehr in den so geliebten Orient und nahm diesen Posten gerne an. Allerdings wandelte sich Urquhart nun selbst zum Türken: Er kleidete und verhielt sich türkisch, gründete einen entsprechenden