Im wilden Balkan. David Urquhart
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Vor diesem Hintergrund haben auch die eher theoretischen Abschlusskapitel durchaus ihre Berechtigung, denn gerade darin lässt sich der Autor darüber aus, was für ihn den osmanischen Staat ausmachte: Ausführlich beschreibt er das türkische Familienleben, äußert sich über den Harem, über den in Europa seiner Überzeugung nach nur krankhafte Phantasien im Umlauf waren, schreibt ausführlich über die häusliche und schulische Erziehung, aber auch über die Stellung der türkischen Frau, die erheblich mehr Rechte besaß als eine Westeuropäerin jener Tage, und die in Wirklichkeit an der Spitze der Familienverbände gestanden habe. Gerade diese Ausführungen Urquharts verleihen dem Band auch in unserer Zeit eine sehr große Aktualität, in der allenthalben über die Integrationswilligkeit oder -fähigkeit ausländischer Bevölkerungsgruppen räsonniert wird. Denn viele jener Merkmale, die er als wesentlich für den türkischen Charakter beschreibt, treffen wirklich zu und verdeutlichen die grundsätzlichen Unterschiede zwischen der westeuropäischen und der türkisch-orientalischen Wesensart. Somit erschließt es sich einem Leser sehr rasch, dass zwar ein Miteinander, jedoch keine Integration möglich ist. Und will man letztere erzwingen, führt dies notwendigerweise zu Spannungen und Konflikten, weil beide Seiten verlieren: Auch dafür nennt Urquhart in seinem Buch einige Beispiele.
Übrigens gab es einen deutschen Autor, der Urquharts orientalische Bücher allesamt kannte und in seinen eigenen Werken verarbeitete: der aus Radebeul bei Dresden stammende Karl May. Urqhuarts Reisen durch den Orient waren für ihn das Vorbild für die so lange Reise seines Kara ben Nemsi durch das unermesslich große Reich des Padischahs. Zahlreiche Motive wie etwa bestimmte Überfälle fanden sich schon bei Urquhart, und dass Karl Mays skurriler britischer Reisegefährte den Vornamen David trug, ist kein Zufall. Sogar Karas treuer Diener Hadschi tritt bereits in der literarischen Vorlage auf.
Den Text schrieb Urquhart in einem gefälligen, wenn auch nicht ganz einfachen Englisch mit oftmals sehr langen Sätzen, die man in der deutschen Syntax und Grammatik meist nicht übernehmen kann. In der 1838 erschienen Übersetzung wurde diese Satzstruktur jedoch in der Regel nachgeahmt, was den Text an vielen Stellen unverständlich macht und nicht selten sogar zu Sinnentstellungen führt. Diese Mängel wurden in der vorliegenden Ausgabe weitestgehend behoben. Darüber hinaus wurde die bisweilen sehr schwerfällige Sprache des 19. Jahrhunderts an den modernen Sprachgebrauch angepasst. Dies gilt umso mehr für Worte und Formulierungen, die man heute nicht mehr ohne weiteres versteht. Dennoch sollte ganz bewusst keine Übertragung in ein modernes Deutsch erfolgen, weil dies dem zugrunde liegenden, für uns heute oft komplizierten Englisch keinesfalls entsprochen hätte. Sicherlich hätte man den gesamten Text noch viel weiter glätten können, aber damit hätte man ihn auch aus seiner Entstehungszeit gerissen. Da aber Inhalt und sprachliche Form eine Einheit bilden sollen, rechtfertigt dies eine eher behutsame Umwandlung in ein Deutsch, das einerseits mögliche Missverständnisse vermeidet, das sich andererseits aber auch als Sprache des 19. Jahrhunderts zu erkennen gibt. Solche Texte noch mehr zu schönen und an den jeweils herrschenden Zeitgeschmack anzupassen, wäre mehr als nur unseriös. Zum Zeitpunkt der Entstehung der ersten Übersetzung war man in Sachen der Orthographie ja noch relativ frei, das heißt, es gab noch keine allgemein verbindlichen Rechtschreiberegeln. In dieser Hinsicht wurde der Text jedoch im Wesentlichen an die heutigen Lesegewohnheiten angepasst, auch wenn Inhalt und Sprachgebrauch eine strikte Anwendung der neuen deutschen Rechtschreibung nicht zulassen. Somit bestand bisweilen die Notwendigkeit zu Kompromissen, aber die Bemühungen zielten auf ein insgesamt einheitliches Bild der verwendeten Orthographie ab.
Weiterhin wurden in den Text einige Bilder zur Illustration eingefügt, die es weder im englischen Original noch in der zeitnahen deutschen Übersetzung gab. Die alten Stiche und Aufnahmen wurden indes nicht zufällig gewählt. Vielmehr stehen sie in einem direkten Zusammenhang mit Personen, Orten und Gegenständen, die im Text erwähnt werden und können daher als eine anschauliche Hilfe zu einem leichteren Verständnis dienen.
Zuletzt finden sich unter dem Text eine ganze Reihe von Erläuterungen. Einige davon hatte bereits der Autor selbst eingefügt, und ein paar wenige stammen von dem frühen Übersetzer und wurden auch entsprechend gekennzeichnet. Daraus gehen zu einem großen Teil auch die literarischen Quellen und Vorbilder hervor, die Urquhart nutzte, etwa jene grandiose Geschichte des Osmanischen Reichs, die Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall verfasst hatte. Dennoch gibt es eine Vielzahl von Namen, Sachen und Begriffen, die zur Zeit der Entstehung des Textes womöglich noch in aller Munde waren, die einem modernen Leser jedoch nicht mehr allzu viel sagen werden. Solche Erläuterungen hat nun der Herausgeber des Bandes hinzugefügt, der abschließend den Lektoren sowie den Verlegern seinen herzlichen Dank für die erhaltene Hilfe und Unterstützung ausdrucken möchte.
Erster Teil der Reise:
Reisen unter Osmanen und Griechen. Vom Peloponnes zum Olymp in einer ereignisreichen Zeit. Wiesbaden 2008 (Edition Erdmann).
Weiterführende Literatur:
Helmuth VON MOLTKE, Unter dem Halbmond. Erlebnisse in der alten Türkei (1835–1839). Hrg. von H. ARNDT. Wiesbaden 2008 (Edition Erdmann).
K. KREISER u. Christoph K. NEUMANN (Hrg.), Eine kleine Geschichte der Türkei. Stuttgart 2003.
D. BREWER, The Flame of Freedom. The Greek war of Independence 1821–1833. London 2001.
P. BARTL, Albanien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 1995 Th. C. PROUSIS, Russian Society and Greek Revolution. DeKalb, Ill. 1994.
G. Robinson, David Urquhart. Some Chapters in the Life of the Victorian Knight-errant of Justice and Liberty. Boston 1920 (Neudruck Oxford 1970).
1 Die Erlebnisse dieses Teils der Reise sind in dem Band D. Urquhart, Reisen unter Griechen und Osmanen. Vom Peloponnes bis zum Olymp in einer ereignisreichen Zeit. Wiesbaden 2008 (Edition Erdmann) erschienen.
ERSTES KAPITEL
RITT IN DAS TAL TEMPE – ANKUNFT IN AMBELÁKIA
Als unser Mittagsschlummer vorbei und die Sonne schon aus unserem hohen Gesichtskreis verschwunden war, stiegen wir auf die Pferde und ritten nach Rapsána1. Wir ritten am Rand des Sees entlang, wendeten uns dann links über einen niedrigen Hügel und hinab in eine tiefe Schlucht oder „Lak“2, die in das Meer auslief. Wir konnten es zwar nicht sehen, aber ein nach Meer duftender Wind blies zwischen den Hügeln hindurch. Hier trafen wir auf eine Gesellschaft von Dorfbewohnern, die eben einen wilden Eber erlegt hatten. Mit viel Mühe machten wir uns von ihnen los, denn sie drangen darauf, wir sollten die Nacht in ihrem Dorf verbringen, und priesen den Speisezettel, auf dem der uns erwartende Schmaus stand: Zuerst kam der Eber, der mit seinen Rubinfarben ganz beredt zu unsern Sinnen sprach und, im vollen Redeschwung, auch durch seine schönen, gerundeten Formen; dann kamen die Zicklein, noch ganz zart und gerade erst vom Olymp zurückgekehrt3; Wildbret von einem schönen, erst vor einer Stunde geschossenen Wild, Sumpfvögel, Fasane, goldfarbene Wasserhühner, wilde Enten aus Nizeros1, und alles, was die Hürde, der Hühnerhof und die Milchkammer bieten konnte, ohne Zahl und Maß. Wir flohen indes die so furchtbaren Zurüstungen, und gerade als wir den steilen Hügel an der anderen Seite der Schlucht hinaufritten, sahen wir über dem Kessoba (Ossa) den Rand des Mondes