Menschen, die Geschichte machten. Группа авторов

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Menschen, die Geschichte machten - Группа авторов marixwissen

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oder gebrannte Tontafeln, die in Mesopotamien seit dem ausgehenden 4. Jahrtausend v. Chr. als Schriftträger Verwendung fanden, widerstehen, wie auch Stein und Gold, dem Zahn der Zeiten selbst in Jahrtausenden ganz unbeschadet, wohingegen organische Stoffe wie Papyrus, Leder und Holz in der Regel sehr rasch vergehen. Daher muss in der Assyriologie über ältere Textformen, über Vorläufer und Anfänge nicht spekuliert werden. Mit etwas Glück wird sich früher oder später ein Textzeuge finden, anhand dessen diese Fragen zu beantworten sind. Es kam also, wie es kommen musste. Kurz nach dem ersten Weltkrieg wurden zwei Tontafeln bekannt, die Teile eines deutlich älteren Gilgamesch-Epos in babylonischer Sprache enthielten und wohl im 18. vorchristlichen Jahrhundert, also gute 500 Jahre vor dem Entstehungsdatum des Zwölf-Tafel-Epos (und nebenbei: Tausend Jahre vor Homer) niedergeschrieben wurden. Wie sich alsbald herausstellte, waren dort in meisterhafter Weise mehrere ihrerseits erheblich ältere unabhängige Gilgamesch-Erzählungen zu einem so harmonischen und schönen Ganzen zusammengefügt, dass es schwer fällt, nicht zu glauben, dass dieses altbabylonische Gilgamesch-Epos auf einen einzigen großen Dichter zurückgeht. Den Namen des Schöpfers dieses vielleicht bedeutendsten sprachlichen Meisterwerks des Alten Orients kennen wir leider nicht. Sin-leqe-unnini, dem das altbabylonische Gilgamesch-Epos vorgelegen haben muss, so zeigte es sich, übernahm mehr oder weniger unverändert lange Passagen des alten Textes in sein umfangreiches Werk. Ob die Meister alttestamentlicher Textkritik wohl in der Lage wären, diese Zeilen in der „Endgestalt“ des Textes zu benennen? Einen Versuch wäre das wohl wert! – Weitere Textzeugen zeigen, dass der altbabylonische Text seinerseits Wandlungen erfahren hat, bevor das Zwölf-Tafel-Epos entstand und kanonisiert wurde. Vor Sin-leqe-unnini haben wohl weitere „Proto-Sin-leqe-unninis“ an der endgültigen Textgestalt des Gilgamesch-Epos gewirkt.

      Die ältesten sumerischen Erzählungen um König Gilgamesch blieben uns in Textvertretern erhalten, die Schüler zu Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. schrieben, zu einer Zeit, als das Sumerische als gesprochene Sprache bereits weitgehend ausgestorben war. Damals erzählte man sie sich wohl schon seit Jahrhunderten. Die Geschichten um Gilgamesch, die ja nicht nur von der Frage um Leben und Tod, sondern auch davon handeln, wie sich ein durch Erfahrung klug gewordener Fürst zu verhalten hat, erfreuten sich in allen Perioden der altorientalischen Geschichte größter Beliebtheit. In der Mitte des 2. vorchristlichen Jahrtausends wurde das Gilgamesch-Epos nicht nur in Babylonien studiert, sondern auch in Syrien, in Palästina und sogar in Anatolien. In den Ruinen der hethitischen Hauptstadt Hattuscha fand man keineswegs nur Textvertreter in der babylonischen Sprache, sondern auch eine Übersetzung ins Hethitische, die wohl dort am Hofe zum Vortrage gebracht wurde. Es fanden sich sogar Bruchstücke einer hurritischen Fassung des Heldenliedes.

      Dank der Unverwüstlichkeit des getrockneten und gebrannten Tons, der noch in Jahrtausenden sein wird, wenn an unsere Schriftkultur außer wenigen Steininschriften nichts mehr erinnert, überschauen wir heute – und dies scheint mir einmalig zu sein – eine mehr als zwei Jahrtausende währende Literaturgeschichte eines Erzählstoffes, die sich auf jeweils originale Textzeugnisse berufen kann.

      Wer war nun dieser Gilgamesch? Was war es, das nicht nur die Gelehrten und Fürsten Mesopotamiens (und wohl auch die einfachen Menschen, von denen wir diesbezüglich kaum schriftliche Kunde haben), sondern auch Lernende und Lehrende, Berater und Könige im gesamten Alten Vorderasien über mehr als zwei Jahrtausende an dieser Königsgestalt so sehr faszinierte?

      In der sumerischen Königsliste ist Gilgamesch genannt. Als fünfter König der ersten nachsintflutlichen Dynastie von Uruk – einer im Süden des heutigen Irak gelegenen Stadt, die archäologischen Erkenntnissen zufolge auch als ältestes Zentrum städtischer Kultur in Mesopotamien gilt – soll er sagenhafte 126 Jahre lang regiert haben. Es ist freilich angeraten, sich zu hüten, aus diesem Grunde die frühe Königsgestalt ‚Gilgamesch‘ allzu vorschnell dem Reich der Sagen zuzuweisen. Denn Könige, die man im 2. oder 1. vorchristlichen Jahrtausend für Zeitgenossen des Gilgamesch hielt, können heute bereits als historische Herrscherpersönlichkeiten erfasst werden, da Inschriften bekannt wurden, die diese in den Fundamenten von Tempeln und Palästen für die Nachwelt deponierten. Es spricht daher manches dafür, dass eine historische Gestalt Gilgamesch tatsächlich in der Zeit um 2750 v. Chr. lebte und wirkte. Die in den literarischen Überlieferungen Babyloniens ganz zentrale Überzeugung, dass die eindrucksvolle, mehr als 9 km lange, turmbewehrte Stadtmauer von Uruk ein Werk des Gilgamesch sei, findet in der vorgeschlagenen Datierung des historischen Gilgamesch insofern eine Bestätigung, als die wohl tatsächlich älteste Stadtmauer Mesopotamiens, deren Reste in Uruk immer noch an manchen Stellen zu sehen sind, erstmals im ersten Drittel des 3. Jahrtausends v. Chr. errichtet wurde.

      Den König, den man in Mesopotamien offenbar nahezu drei Jahrtausende dafür rühmte, seiner Stadt Uruk mit der Mauer eine „Hürde“ errichtet zu haben, innerhalb derer die Menschen Schutz und Zuflucht vor den Bedrohungen des Außen fanden, bezeichneten im 21. Jahrhundert v. Chr. die mächtigen Könige von Ur, die wie Gilgamesch aus Uruk stammten, als ihren „Bruder“, der – so wie sie selbst, ja geradezu als ihr Vorbild – den Menschen Schutz und Schild gewesen war als sipa zi, als „guter Hirte“. In ihren Inschriften setzten sie so die Kenntnis von Gilgamesch und seinen Taten als selbstverständlich voraus. Ihren unmittelbaren verstorbenen Vorgängern gleich, verehrten sie ihn als Gott und richteten ihm einen regelrechten Kult ein. Da der Name Gilgameschs aber bereits in erheblich älteren Götterlisten genannt ist, dürfte die Vergöttlichung des Königs fast bis in seine eigene, noch weitgehend im Dunkeln liegende Zeit zurückreichen. Ritualtexte aus dem 1. vorchristlichen Jahrtausend schließlich zeigen, dass der tote Gilgamesch als König der Unterwelt betrachtet und als Richter angerufen wurde, wenn sich die Menschen zu Unrecht von einem Totengeist verfolgt fühlten. Die Verehrung des Gilgamesch hatte auch im Alltag ihren ‚Sitz im Leben‘. Denn es war üblich und sogar vorgeschrieben, das erste, aus einem neu gegrabenen Brunnen geschöpfte Wasser nicht etwa selbst zu trinken, sondern als Trankspende und Totenopfer den Unterweltsgöttern und Gilgamesch, dem „König der Unterwelt“, darzubringen.

      DER GRÜNDERHEROS

      Dem Faszinosum ‚Gilgamesch‘, wie es in den Jahrhunderten und Jahrtausenden der mesopotamischen Textüberlieferung – möglicherweise sich jeweils verändernd – wahrgenommen wurde, möchte ich mit Hilfe einer kleinen Beobachtung ein wenig näher kommen. Hierfür sollen jeweils die ersten Zeilen der altbabylonischen Fassung des Gilgamesch-Epos (also diejenige, die im 18. Jahrhundert v. Chr. entstanden war) und jener des Sin-leqe-unnini betrachtet und verglichen werden. Zur Erläuterung dieses Vorgehens ist es jedoch zunächst notwendig, ein wenig auszuholen. In dem Schrifttum des Alten Orient ist es, abweichend von unserer eigenen westlichen Tradition, nicht üblich, literarischen oder wissenschaftlichen Werken eine Überschrift zu geben. Sie werden daher nicht mit einem Titel wie Ilias oder De divinatione benannt, sondern schlicht nach ihren Anfangsworten, die in der Regel freilich so geschickt gewählt sein müssen, dass sich in ihnen dem aufmerksamen Leser möglichst das Wesen des gesamten Werkes offenbart. So heißt etwa der große babylonische Schöpfungsmythos ebenso wenig zufällig Enüma elis lä nabü samämü, „Als droben noch nicht benannt waren die Himmel“, wie das erste Buch der hebräischen Bibel berēšīt, „Im Anfang“ heißt, denn dieses behandelt die Urgeschichte der Menschheit und des Gottesvolkes, jenes babylonische Werk die Geschichte der Vorwelt, der Zeit also, die vor der Schöpfung der Welt liegt. Vor diesem Hintergrund dürfte klar sein, dass auch die Anfangszeilen der Gilgamesch-Epen mit größtem Bedacht gewählt wurden und jeweils Licht auf die Aussageabsicht des gesamten Werkes werfen.

      Das uns nur teilweise erhaltene altbabylonische Epos, das zu Beginn des zweiten vorchristlichen Jahrtausends entstand, heißt nach seinen Anfangsworten Šūtur eli šarrī, „Von allen Königen unübertroffen“. Diesem Titel zufolge stehen im Mittelpunkt des Epos die Herrlichkeit, die Größe, die Machttaten und der Ruhm eines Königs und Feldherrn, dessen gewaltige Leistungen in Vergangenheit und Zukunft unerreicht bleiben. Dass ein solcher Text nicht nur an den Königshöfen Mesopotamiens, sondern auch an denen anderer Völker und Kulturen, in Syrien, Palästina und Anatolien Verbreitung fand und

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