Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme. Galileio Galilei
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VERMINTES GELÄNDE
Was es mit all dem auf sich hat, wollen wir zum 450. Geburtstag Galileis genauer wissen und klarer im Überblick durchschauen. So wie er in Physik und Astronomie ungeachtet der Vor-Urteile und Vor-Antworten alles gründlicher untersucht hat. Allerdings: Wir betreten hinreichend vermintes Gelände. Der Autor und die Leser. Alle, die sich Galileo Galilei nähern wollen. Einem – wir bekräftigen es noch einmal – wahrhaft Großen der europäischen Naturwissenschaft, einem Bedeutenden der abendländischen Geistesgeschichte. Der allerdings auch – das sei ebenfalls unumwunden festgestellt – ein Umstrittener ist, weil er selbst voll Ehrgeiz zu heftigem Streit und Konkurrenzkampf bereit war, im Bemühen um neue Erkenntnisse, im Kampf um die »richtige« Wahrheit, mit Kollegen und mit der damaligen »Obrigkeit«, der Kirche. Einer, der bis heute von anhimmelnden wie abschätzigen Urteilen umgeben ist. Der von Mythen und Legenden umschleiert ist, von demütigen Entschuldigungen mehrerer Päpste rehabilitiert, und immer noch ein Stachel des Ungeklärten im scheinbar längst Bekannten zu sein scheint. Der Publizist Ingo Langner etwa hat dies in einem Gespräch mit dem ehemaligen Chef-Historiker des Vatikans, Kardinal Walter Brandmüller, noch einmal herausgearbeitet (»Der Fall Galilei und andere Irrtümer. Macht, Glaube und Wissenschaft«, Augsburg 2006).
Galilei – ein Streitfall, auch nach Jahrhunderten. Und das ist gut so. Diesen Skandal wollen wir darstellen. Das ist spannend und ganz modern. Mit Entrüstung, Empörung, Verdammung und der umsichtigen Suche nach einem fairen Urteil. Dazu ist die Veröffentlichung des geistespolitischen Hauptwerks von 1630/32, des »Dialogs über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme«, und des erzwungenen Widerrufs im Juni 1633 außerordentlich hilfreich.
Es lohnt sich dabei, den vollständigen schwierigen Text dieser Abschwörung aufmerksam zu lesen. Denn es fällt sofort auf, dass er für den kurzen Sachverhalt ungewöhnlich lang ist. Galilei (vorher): »Die Erde dreht sich.« Galilei (nachher): »Doch nicht.«
Stattdessen präsentiert das Dokument verschraubte überlange Sätze, in denen Galilei etwa sagt: »Wenn Ihr meint, dass das, was ich am Himmel gesehen habe, dem kirchlichen Glauben widerspricht, dann will ich Euch als gläubiger Christ und guter Katholik nicht widersprechen und mir in meinem Alter weitere Unannehmlichkeiten ersparen. Also unterschreibe ich.« Und sinngemäß murmelte er: »Ihr seid schlechte Theologen und ich bleibe ein guter Naturwissenschaftler.« Was beides richtig war.
DAS DOKUMENT DER ABSCHWÖRUNG
Der vollständige Wortlaut des Dokuments (nach der Übersetzung von Emil Strauss, 1891, aus dem italienisch-lateinischen Original):
»Ich, Galileo Galilei, Sohn des verstorbenen Vincenzio Galilei aus Florenz, siebenzig Jahre alt, persönlich vor Gericht gestellt und kniend vor Euren Eminenzen, den Hochwürdigsten Herren Kardinälen General-Inquisitoren gegen die ketzerische Bosheit in der ganzen christlichen Welt, vor meinen Augen habend die hochheiligen Evangelien, die ich mit meinen Händen berühre, schwöre, dass ich immer geglaubt habe, jetzt glaube und mit Gottes Hülfe in Zukunft glauben werde alles, was die heilige katholische und apostolische Römische Kirche für wahr hält, predigt und lehrt.
Da ich aber, – nachdem mir von diesem heiligen Officium der gerichtliche Befehl verkündet worden, ich müsse die falsche Meinung, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege, ganz aufgegeben und dürfe diese falsche Lehre nicht für wahr halten, verteidigen, noch in irgendwelcher Weise lehren, weder mündlich noch schriftlich, und nachdem mir eröffnet worden, dass diese Lehre der Heiligen Schrift widerspreche, – ein Buch geschrieben und in Druck gegeben, in welchem ich die nämliche bereits verdammte Lehre erörtere und mit vieler Bestimmtheit Gründe für dieselbe anführe, ohne eine Widerlegung derselben beizufügen, und da ich mich dadurch diesem heiligen Officium der Ketzerei stark verdächtig gemacht habe –, nämlich (verdächtig) für wahr gehalten und geglaubt zu haben, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege: – darum, da ich wünsche, Euren Eminenzen und jedem Christgläubigen diesen gegen mich mit Recht gefassten Verdacht zu benehmen, schwöre ich ab, verfluche und verwünsche ich mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben besagte Irrtümer und Ketzereien und überhaupt allen und jeden anderen der besagten heiligen Kirche widersprechenden Irrtum und Sektiererglauben.
Und ich schwöre, dass ich in Zukunft niemals mehr etwas sagen oder mündlich oder schriftlich behaupten will, woraus man einen ähnlichen Verdacht gegen mich schöpfen könnte, und dass ich, wenn ich irgendeinen Ketzer oder der Ketzerei Verdächtigen kennenlerne, denselben diesem heiligen Officium oder dem Inquisitor und Ordinarius des Ortes, wo ich mich befinde, denunzieren will.
Ich schwöre auch und verspreche, alle Bußen pünktlich zu erfüllen und zu beobachten, welche mir von diesem heiligen Officium sind aufgelegt worden oder werden aufgelegt werden. Und sollte ich, was Gott verhüten wolle, irgendeiner meiner besagten Versprechungen, Beteuerungen oder Schwüre zuwiderhandeln, so unterwerfe ich mich allen Strafen und Züchtigungen, welche durch die heiligen Canones und andere allgemeine und besondere Konstitutionen gegen solche, die sich in solcher Weise vergehen, festgesetzt und promulgiert worden sind. So wahr mir Gott helfe und diese seine heiligen Evangelien, die ich mit meinen Händen berühre.
Ich, besagter Galileo Galilei, habe abgeschworen, geschworen und versprochen und mich verpflichtet wie vorstehend, und zur Beglaubigung habe ich diese Urkunde meiner Abschwörung, die ich Wort für Wort verlesen, eigenhändig unterschrieben. Rom im Kloster der Minerva am 22. Juni 1633.
Ich, Galileo Galilei, habe abgeschworen wie vorstehend, mit eigener Hand.«
DER HISTORISCHE FALL UND SEINE SKANDALISIERUNG
Zuerst war es nur ein Gefühl: Da stimmt etwas nicht. Das stellt sich ein, wenn ein Sachverhalt befremdlich wirkt oder eine Person aus dem Gleichgewicht gerät, wenn die Proportionen von Ursache und Wirkung, von Missetat und Empörung, Heldentat und Begeisterung verrutschen. Alle Welt kennt, heute mehr denn je, den Unterschied zwischen der Wirklichkeit und der öffentlichen Meinung darüber, einem Sachverhalt und dem Bericht davon, einer Person und ihrem äußeren Ansehen. Was in der modernen Gesellschaft auf die Schnelle Werbeagenturen, PR-Leute und auch Journalisten für Politiker, Schauspieler oder Unternehmen positiv besorgen, was negativ an Untaten und Übeltätern beschwichtigt wird, bewirken für die Vergangenheit lange Prozesse einer geschichtlichen Meinungsbildung. Viel spielt dabei mit, viele sind daran beteiligt, eine Gestalt der (Zeit-)Geschichte für das öffentliche Interesse darzustellen. So wächst das Image aus dem Historischen heraus. Historiker und Journalisten können sich dann auch bemühen, den Prozess in Rückabwicklung umzukehren, um vom (zeit-)geschichtlichen Schein zum Sein, zur Wahrheit (?) zu gelangen, kurz ein faires – überraschend positives oder negatives – Urteil fällen zu können.
So erging es mir. Die Merkwürdigkeiten, die sich bei langjährigen Studien und aktuellen journalistischen Arbeiten ergaben, konzentrierten sich – wie bereits angedeutet – zur Hauptfrage: Wie und wann wurde aus dem »Fall Galilei« des 17. Jahrhunderts, der – alles zusammengenommen – Kirchengeschichte, Wissenschaft, die Profanhistorie Europas mäßig bewegte, ein »Skandal Galilei«, der die Kirche bis in ihre Grundfesten erschütterte? Da war deutlich: Mit den bisherigen Urteilen konnte ich mich nicht mehr begnügen, nicht als Journalist, der multi-dimensional politisch wahrnimmt, nicht als Historiker, der sich nicht auf archivierte Dokumente beschränken, nicht als Theologe, der stets nach klügeren Argumenten ausschauen darf.
Das hat jedoch wenig mit dem historischen »Fall Galilei« zu tun. Der ist glasklar. Der ungerecht Behandelte