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Die bekannte Enzyklopädie der Aufklärung, die »Encyclopédie« von Diderot und d’Alembert, hat in ihren 35 Bänden zwischen 1751 und 1780 kein eigenes Stichwort für Galilei (im Gegensatz zu »Copernic« und »Kepler«), erwähnt ihn unter »Astronomie« und nennt ihn »le grand Galilé«, aber macht kein Aufhebens von seinen Inquisitionsprozessen. Auch ein knappes Jahrhundert später berichtet ein deutsches »Conversations-Lexikon zum Handgebrauch« (Leipzig, 1846) ohne Aufregung: »Da diese (Galileis) Entdeckungen die Eifersucht u. den Unwillen der heftigen Aristoteliker erregten, (und) wegen der Behauptung, die Erde drehe sich um die Sonne, musste (G.) d. Strenge der Inquisition fühlen. Noch lauter erhob sich die Stimme der Ketzerei gegen ihn, als er 1632 seine ›Gespräche über die zwei größten Systeme, das Ptolomäische u. Kopernikanische‹ herausgab, worin er die Gründe beider Systeme vorträgt, ohne dass er sich für eins entscheidet, obschon seine Hinneigung zu dem Kopernikanischen nicht zu verkennen ist. Vor die Inquisition zu Rom gefordert, musste er seine Lehre abschwören …« Da geht es nur als Kuriosum durch, dass erst 1822 ein Kleriker, der Kanoniker Giuseppe Settele, die kirchliche Druckerlaubnis für ein Buch mit dem heliozentrischen System als bewiesen erhielt.
FORTSCHRITTSGLÄUBIG UND RELIGIÖS-MODERN KONSERVATIV UND REAKTIONÄR
Man lebte gleichsam mit einem theologischen (populären, alltagstauglichen) Geozentrismus – der Fortschritt wurde dadurch nicht aufgehalten – und einem wissenschaftlichen (elitären) Heliozentrismus. Es war weniger die vielbeschworene Aufklärung, die nun im 18. Und 19. Jahrhundert den Widerruf Galileis im fernen Jahr 1633 der Kopernikanischen Wende – was war seitdem nicht alles gewendet worden! – als Skandal empfand. Vielmehr gerieten die jeweils moderne Gesellschaft und die dem Traditionellen verhafteten christlichen Gemeinschaften, doch vor allem die Römische Kirche, immer mehr in Gegnerschaft. Sie suchten ihre Stellung wechselseitig zu sichern, durch vielerlei Mittel, durch Propaganda und Macht, durch Bündnisse mit den Mächtigen, durch Angriffe auf den Gegner. In der Französischen Revolution (1789) brach das Ancien Regime zusammen, die enge Verbindung zwischen Thron und Altar verlor ihre Selbstverständlichkeit. Napoleon degradierte in großem Stil Kirche und Religion zu nützlichen politischen Herrschaftsmitteln. Im Rückpendel sahen die Päpste in den revolutionären modernen Parteien und ihren Anhängern Feinde. Die Römische Kirche suchte ihr Heil politisch in der Restauration mit konservativen Staaten und ideologisch im Bund mit reaktionären Kräften.
• Pius VII. (1742, 1800–1823) ist in den Napoleonischen Stürmen über Europa zu diplomatischer Klugheit gezwungen; das Papsttum wird für seine Festigkeit als moralische Autorität auf dem Wiener Kongress (1815) belohnt.
• Gregor XVI. jedoch (1765, 1831–1846) holt zum Rundumschlag gegen die Moderne aus. In seiner ersten Enzyklika, »Mirari vos« von 1832, klagt er über »die Verwirrungen in Kirche und Staat«, »schlimm ist die Zeit für den Glauben«, und verurteilt nicht nur religionsfeindliche neue Ideologien, sondern auch »unrechte, dreiste Wissenschaften und zügellose Freiheit«, verdammt mit der Buchdruckerkunst auch Presse- und Meinungsfreiheit. Eine Kriegserklärung an die vorwärtsdrängenden Kräfte Europas, verzweifelte Wehr gegen den gewaltigen Strom des Zeitgeistes.
• Pius IX. (1792, 1846–1878) setzt noch mehrere drauf. Mit dem Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens (1854), mit dem »Syllabus« von 1864, einer Zusammenfassung aller – nach seinem Verständnis – Zeitirrtümer, mit der Erklärung des Ersten Vatikanischen Konzils (1869/70) über die päpstliche Unfehlbarkeit, mit dem Verbot an die italienischen Katholiken, sich im neuen einigen Königreich politisch zu betätigen, ruft er den offenen »Kulturkampf« aus, den Großen Krieg zwischen Kulturen, der religiösen und der »liberalen«. Der kirchliche Kreuzzug fand seine Gegner.
Da war es ein probates Kriegsmittel, den »Fall Galilei«, der bekannt war und immer bekannter wurde, aus den Archiven zu holen und zum Skandal hochzutreiben. Hier war offensichtlich: Die Römische Kirche konnte als wissenschaftsfremd, fortschrittsfeindlich und bibel-töricht beiseitegeschoben werden. Am Nasenring der Inquisitionserklärung – sie dreht sich nicht, die Erde – konnte man die Kirche durch die Manege ziehen.
EIN KULTURKAMPF
Mit dieser Alternative war der Kulturkampf kulturell für die Kirche verloren. Politisch fand man Kompromisse, weil die Katholiken Bürger der Staaten waren und immer noch eine »Volkskirche« bildeten. Diese suchte Pius X. (1835, 1903–1914) zu festigen. Mit Geschick. Auch indem er die Ambivalenz der Moderne aufwies und deren menschliche Verlierer, die mit dem Fortschritt Nicht-Mitgekommenen, umwarb. Er wandte sich gegen das Eindringen des »Modernismus« in die Kirche, zwar mit überholten Mitteln, doch nicht ohne Erfolg. Für die Bibelauslegung – mit einer eigenen vatikanischen Kommission – erließ er Bestimmungen, die hinter den historischen Erkenntnissen zurückblieben und den Ruf der Römischen Theologie weiter herabsetzten. Die Römische Kirche unter den Päpsten hielt durch und wuchs, weil in Europa die Moderne durch Kriege und Wahnsinnsideologien in Trümmer ging.
Der »Skandal Galilei« verschärfte sich, weil die Gegner nicht lockerließen. Pius XII. (1876, 1939–1958) beauftragte zum 300. Todestag Galileis, 1942, durch die Päpstliche Akademie der Wissenschaften, den italienischen Kirchenhistoriker und Priester Pio Paschini, den »Fall Galilei« noch einmal gründlich zu erforschen. Als die Arbeit vorlag, erschien ihre Veröffentlichung dem Papst und führenden Kurialen peinlich, blamabel, bestenfalls unnötig; warum sollten sie sich in Rom selbst bloßstellen. Erst die Bischöfe des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) waren dazu bereit. In der Pastoralkonstitution »Gaudium et Spes« (»Freude und Hoffnung«) schrieben sie: »Deshalb sind gewisse Geisteshaltungen, die einst auch unter Christen wegen eines unzulänglichen Verständnisses für die legitime Autonomie der Wissenschaft vorkamen, zu bedauern. Durch die dadurch entfachten Streitigkeiten und Auseinandersetzungen schufen sie in der Mentalität vieler die Überzeugung von einem Widerspruch zwischen Glauben und Wissenschaft.« Damit jedermann wusste, dass vor allem der »Fall Galilei« gemeint war, ehrten sie Paschini und sein 1964 im Vatikan erschienenes zweibändiges Werk, »Vita e opere di Galileo Galilei«, durch eine Fußnote. Immerhin. Die Progressiven beklagten damals noch die Mentalität der Konservativen, die nicht die Schuld der Kirche eingestehen wollten und die Wahrheit scheuten.
JOHANNES PAUL II. UND BENEDIKT XVI.
Aber um die historischen Tatsachen ging es längst nicht mehr. Sondern darum, ob die Gegenkräfte der Kirche den »Skandal Galilei« wachhalten wollten. Auch noch in einer Zeit, die wissenschaftlich längst – spätestens seit der Relativitätstheorie von Albert Einstein (1879–1955) – über die Heliozentrik hinausgewachsen ist, weil überhaupt kein Zentrum des Universums mehr angenommen werden kann. Johannes Paul II. (1920, 1978–2005) entschloss sich (1979, zum 100. Geburtstag von Einstein!), noch einmal eine noch gründlichere Untersuchung anzuordnen und 1992, zum 350. Todestag Galileis, höchstamtlich eine förmliche Rehabilitierung Galileis auszusprechen.
Darin heißt es zusammenfassend: »Ausgehend vom Zeitalter der Aufklärung bis in unsere Tage, hat der Fall Galilei eine Art Mythos gebildet, in dem das dargelegte Bild der Ereignisse von der Wirklichkeit weit entfernt war. In dieser Perspektive war dann der Fall Galilei zum Symbol für die angebliche Ablehnung des wissenschaftlichen Fortschritts durch die Kirche oder des dogmatischen ›Obskurantentums‹ gegen die freie Erforschung der Wahrheit geworden. Dieser Mythos hat in der Kultur eine erhebliche Rolle gespielt