Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme. Galileio Galilei
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Wie und wann Galilei zuerst von der kopernikanischen oder der »pythagoreischen«16 Lehre, wie man sie damals nannte, Kunde bekam, steht nicht fest; auch ist dieser Frage eine besondere Wichtigkeit nicht beizumessen. Denn mag auch die neue Lehre in jener Zeit wenig Anhänger auf italienischem Boden gezählt haben, bekannt war sie allenthalben. Jeder Verfasser eines Lehrbuchs der Astronomie fühlte sich verpflichtet von ihr zu reden, freilich nur um sie zu verurteilen, wo nicht gar sie lächerlich zu machen. Ja selbst vor den Zeiten des Kopernikus pflegte man die Unmöglichkeit einer Erdbewegung nach dem Vorgange des Aristoteles, des Ptolemäus und speziell des Sacrobosco, des Verfassers der oftmals kommentierten »Sphaera«, zu beweisen. Es lag also jetzt umso näher, auf die moderne Erneuerung und Vertiefung des antiken Gedankens der Erdbewegung hinzuweisen, wie sie von Seiten des Kopernikus stattgefunden hatte. Was in den früheren astronomischen Kompendien dem Leserkreise und selbst dem Verfasser mehr als müßiger Ballast, als übertrieben gewissenhafte Gründlichkeit erscheinen mochte, insofern es sich um die Widerlegung einer Ansicht handelte, die niemand mehr ernstlich teilte, das gewann immerhin, seitdem wieder Vertreter dieser Ansicht unter den Lebenden geweilt hatten, aktuelles Interesse. Freilich wurde die Bedeutung des Mannes und seiner Sache in Italien, wenn wir vonG i o r d a n oB r u n oabsehen, verkannt17 und die Argumente, die man gegen die neuerstandene Lehre anzuführen hatte, waren noch immer die fadenscheinig gewordenen, bis zum Überdruss wiederholten der Vergangenheit. Aber der Name des Kopernikus und die Schlagworte seiner Lehre, wenn auch nicht immer die gründliche Detailausführung seines Systems, waren jedem Fachmanne bekannt, nicht sowohl durch das Studium seines Werkes18 als in der Regel durch Darstellungen aus dritter und vierter Hand. Danach ist die Frage, wer Galilei mit dem kopernikanischen Systeme bekannt gemacht habe, ebenso unberechtigt, wie wenn man heutzutage feststellen wollte, durch welchen Anlass ein Gelehrter von der Deszendenztheorie Kenntnis erhalten habe; er selbst würde wahrscheinlich die Frage nicht beantworten können. Damit soll keineswegs behauptet werden, dass der BaselerC h r i s t i a nW u r s t e i s e n ,möglicherweise auchM ä s t l i n ,der Lehrer Keplers, von denen der eine gewiss, der andere nach unverbürgten Nachrichten vielleicht in Italien für das System Propaganda machte, sich keine Verdienste um die Sache erworben hätten; aber anzunehmen, dass Galilei durch Zufälligkeiten, wie die Wandervorlesungen Wursteisens,19 zu dem sein Leben und Wirken beherrschenden Standpunkte gebracht worden sei, ist verfehlt. Galilei war wahrlich nicht der Mann, der die Argumente gegen eine Lehre immer wieder zu seinen Ohren dringen ließ, ohne eine selbstständige vorurteilsfreie Prüfung derselben anzustellen. Er wird sehr bald das Werk des Kopernikus zur Hand genommen haben, ob er nun zu Füßen Wursteisens gesessen, oder von dessen Vorträgen durch Dritte Kunde bekommen hat, oder ob nichts derart geschehen ist. Da Wursteisen schon 1588 starb, Galilei aber noch nach dieser Zeit, wie wir sahen, dem kopernikanischen Systeme fremd gegenüberstand, so ist eine unmittelbare Einwirkung des einen auf den anderen unglaublich. Man kann höchstens zugeben, dass eine gewisse mittelbare Anregung durch solchen äußeren Anlass gegeben wurde. Genug, wir wissen mit Bestimmtheit von keiner Lebensperiode Galileis, in der er beide Systeme kannte und dabei dem ptolemäischen vor dem kopernikanischen innerlich den Vorzug gegeben hätte. – Dass ihn freilich äußere Rücksichten bewogen, seine wahren Überzeugungen zu verschweigen, ja zu verleugnen, ist ebenso gewiss. In seiner Stellung als Lektor der Mathematik in Padua, welche ihm die Kollegien »Sphaera« und »Theoricae planetarum« zur Pflicht machte, war es unvermeidlich in der Frage der Weltsysteme Partei zu ergreifen; in welchem Sinne er es tat, lehrt uns ein gedrängter, für die Hand seiner Schüler bestimmter Auszug seines Kollegs über sphärische Astronomie, der erst nach seinem Tode im Jahre 1656 gedruckte Trattato della Sfera o Cosmografia (Op. III, 1–52). Galilei behandelt darin in der damals üblichen Weise, nur mit ganz besonderer Klarheit, den üblichen Stoff. Er beweist die Kugelgestalt und diek r e i s f ö r m i g eB e w e g u n gd e sH i m m e l s ,die Kugelgestalt der Erde,i h r ez e n t r a l eS t e l l u n g ,ihre Kleinheit im Vergleich zu der Himmelskugel,i h r eU n b e w e g l i c h k e i t ,died o p p e l t eBewegung der Himmelskörper; er spricht dann von den verschiedenen auf der Himmelskugel angenommenen Kreisen, erläutert die ungleiche Tagesdauer, die Verschiedenheit der Jahreszeiten in den verschiedenen Erdzonen, die Mond- und Sonnenfinsternisse, die Mondphasen, die Präzession. Überall spricht er so, wie ein innerlich überzeugter Anhänger des ptolemäischen Systems sich nicht anders ausdrücken würde, ja man kann aus dieser Abhandlung die landläufigen Ansichten, die Galilei später so energisch bekämpfte, vielleicht am besten kennen lernen. Nur in der Frage der Achsendrehung der Erde legt er sich eine gewisse Zurückhaltung auf, indem er nicht wie sonst in dieser Schrift das althergebrachte Raisonnement ohne Weiteres sich aneignet, sondern die angeblichen Gründe des Ptolemäus gegen diese Art der Bewegung nur als solche mitteilt und so diesem die Verantwortung für ihre Richtigkeit überlässt.20 Man mag daraus vielleicht schließen wollen, dass Galilei noch nicht vollüberzeugter Anhänger des Kopernikus war, dass er einstweilen nur die Achsendrehung der Erde billigte, als er die Schrift abfasste, was vermutlich in den ersten Jahren seines Aufenthaltes in Padua geschah; sicher ist, dass dieselbe noch 1606 und später in den Händen seiner Schüler sich befand, als er schon längst ins kopernikanische Lager übergegangen war. Seine wahre Ansicht geht hervor aus den 1597 geschriebenen Briefen, von denen der eine an den oben genannten Jacopo Mazzoni21, der andere an Kepler gerichtet ist, welchem er für den ihm übersandten Prodromus dissertationum cosmographicarum dankt.22 Einen besonderen Vorwurf kann man gegen Galilei wegen der Verheimlichung seiner Überzeugung nicht erheben. Die Argumente, auf welche er in späterer Zeit sich in erster Linie berief, standen ihm damals noch nicht zu Gebote; seine Amtspflicht erheischte nichts weiter von ihm als die Überlieferung des hergebrachten Stoffes, auch seine Schüler erwarteten von ihm schwerlich etwas Anderes. Jede erhebliche Neuerung, die er in seinem öffentlichen Unterrichte etwa vorzunehmen gewagt hätte, würde seinen schon damals zahlreichen Gegnern willkommenen Anlass geboten haben, ihn lächerlich und damit auf dem Katheder unmöglich zu machen. Galilei musste sich sagen – und bei den unsittlichen Verhältnissen, den Kabalen und Ränken, die an italienischen Universitäten der damaligen Zeit auch schon im Schwange waren, kann man ihm nicht Unrecht geben –, er musste sich sagen, dass er durch vorzeitiges Aussprechen seiner Überzeugung das Ohr seiner Schüler verlieren werde, dass er damit auch in Zukunft sich der Möglichkeit beraubte, im Dienste der Wahrheit tätig zu sein, und dass es nicht nur aus persönlichen, sondern auch aus sachlichen Gründen klüger sei zu warten, bis er ein die Gegner erdrückendes Beweismaterial aufgehäuft habe. Erhebt man doch noch heute zuweilen gegen den Entdecker der Jupiterstrabanten und der Phasenänderung der Venus den Vorwurf, er sei auch in der Folge noch mit ungenügenden Waffen in den Kampf für die Lehre von der Erdbewegung ausgezogen.23 Ob auch die Furcht vor einem Konflikt mit der Kirche ihn damals zurückhielt, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, so wahrscheinlich es auch ist. Diese hatte noch keine entschiedene Stellung zu der Lehre von der Erdbewegung genommen, wiewohl gerade zu der Zeit, wo Galilei nach Padua übersiedelte, die Inquisition Hand anG i o r d a n oB r u n o ,den begeisterten Anhänger des Kopernikus, legte. Da jedoch hierbei wesentlich andere Motive mitwirkten, da Galilei selbst in seinem Briefe an Kepler (vom 4. Aug. 1597)24, worin er seinem gepressten Herzen Luft macht, nur von Furcht vor dem Fluche der Lächerlichkeit, nicht geradezu von Furcht vor der Kirche spricht, so braucht man diese immerhin nicht für das damalige Verhalten Galileis verantwortlich zu machen. – Der Brief an Kepler beweist nun aber, dass Galilei, mochte er sich äußerlich auch die größte Zurückhaltung auferlegen, unablässig tätig war, die Lehre des Kopernikus, der er »schon seit vielen Jahren« anhing, innerlich zu verarbeiten. Er erzählt, dass er mittels derselben viele nach der anderen Hypothese unverständliche Naturerscheinungen habe erklären können, und dass er Gründe für die neue Lehre und Widerlegungen gegnerischer Gründe bereits niedergeschrieben habe. Diese letztere Bemerkung ist für die Entstehungsgeschichte des Dialogs über die Weltsysteme von besonderer Wichtigkeit; denn die erwähnten Aufzeichnungen haben wir als den ersten Keim des Dialogs zu betrachten. Auch lässt sich wohl vermuten, dass u. a. zu diesen ältesten, später freilich umgearbeiteten Stücken diejenigen Partien des Dialogs gehören, welche zwar gegen die aristotelische Schule aufs Schärfste Opposition machen, in welchen aber ein scholastisches Gepräge, eine Verwandtschaft mit der Denkmethode der bekämpften Schule unverkennbar ist. Dahin gehören die Stellen, wo Galilei gewissermaßen ein Konkurrenzunternehmen dem Aristotelismus