Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme. Galileio Galilei
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Am Schlusse dieses für ihn so ereignisreichen Jahres hätte Galilei einen befriedigenden Rückblick auf die errungenen Erfolge werfen können. Er hatte wissenschaftlich erreicht, was er ein Jahr zuvor in seinen kühnsten Träumen nicht hoffen durfte; er hatte auch äußerlich das erlangt, was er ersehnte. Aber ein Tropfen Bitterkeit vergällte ihm den Freudenkelch. Er sah noch immer das Häuflein derer, die sich um Kopernikus scharten, klein, verschwindend klein gegen die Nachbeter ererbten Formelkrams. Es ergriff ihn bisweilen eine verzweifelte Hoffnungslosigkeit, sodass er seine eigenen Bestrebungen gleichsam verhöhnte. So schreibt er am 30. Dezember 1610 an Castelli45: »Um die eigensinnigen Gegner zu überzeugen, die einzig und allein auf den eiteln Beifall der blöden dummen Menge Wert legen, wäre es auch dann noch nicht genug, wenn die Sterne zur Erde herabstiegen und von sich selber Zeugnis ablegten. Seien wir auf das eine bedacht, selbst uns Erkenntnis zu verschaffen, und suchen wir in dieser unseren einzigen Trost. In der Volksgunst uns weiter zu bringen oder den Beifall der Büchergelehrten zu gewinnen, das zu wünschen und zu hoffen, wollen wir unterlassen.« Dieses Gefühl der Resignation aber, das als vorübergehende Stimmung nur zu sehr begreiflich ist, war denn doch nicht von langer Dauer. Es begann eine Periode, wo im Gegenteile Galilei in der mannhaftesten Weise die Pläne, die er bei Übernahme seiner neuen Stellung zweifelsohne im Stillen gefasst, ins Werk setzte. Auf dem Gipfel seiner geistigen Höhe stehend, entfaltete er auch die höchste moralische Kraft, er legte alle Menschenfurcht beiseite und wirkte unverdrossen an der dornenvollen Aufgabe, den steinigen unfruchtbaren Boden der herrschenden Naturphilosophie umzupflügen und ihm als erste Frucht die allseitige Billigung, die Popularisierung der Lehre von der Erdbewegung abzugewinnen.
Von dem Enthusiasmus für dieses Ziel erfüllt, reiste er am 23. März 1611 nach Rom, zunächst mit der Absicht, dort die Wahrheit seiner Entdeckungen, an der man vielfach noch zweifelte, zur Anerkennung zu bringen. Gelehrten und geistlichen Würdenträgern zeigte er die Jupiterstrabanten, die Mondgebirge, die Phasen der Venus und die Sonnenflecken. An der Richtigkeit der Tatsachen ließ sich fürder nicht mehr zweifeln, ja es wurde von dem berühmten, dem Jesuitenorden angehörigen KardinalR o b e r tB e l l a r m i nausdrücklich ein Gutachten des römischen Jesuitenkollegiums provoziert, durch welches Clavius nebst drei anderen Professoren des Kollegiums die Wahrheit der neuen Entdeckungen attestierten. Galilei erlebte Triumphe wie wohl kein Astronom oder Mathematiker zuvor. Papst Paul V. empfing ihn aufs Gnädigste, mit Entzücken lauschten Kardinäle seinen durchsichtigen Vorträgen, in denen er sein unvergleichliches Lehrtalent zur Geltung brachte. Er wurde zum Mitgliede der Accademia dei Lincei (Akademie der Luchsäugigen) ernannt, die FürstF e d e r i g oC e s iim Jahre 1603 in Rom gegründet hatte; auf die Zugehörigkeit zu dieser Akademie spielt er an, wenn er sich in seinen dialogischen Schriften als den Akademiker bezeichnen lässt. – Der Hauptzweck seiner Reise war diesmal gewesen, die Tatsachen zur Anerkennung zu bringen; inwieweit er aus diesen in seinen Vorträgen Schlüsse auf die Gültigkeit des kopernikanischen Systems zog, ist nicht genau bekannt. Er scheint darin Vorsicht geübt zu haben, um das nächste Ziel, das er erstrebte, nicht zu verfehlen. Aber welch tiefen Eindruck die Darlegungen Galileis oder die Tatsachen selbst auf einsichtige Hörer, wie auf einen Clavius, machten, beweist eine schon von Kepler hervorgehobene Stelle46 in der letzten Ausgabe des Commentars von Clavius zur »Sphaera« des Sacrobosco. Dort spricht am Schlusse eines 75-jährigen Lebens derselbe Mann seine Zweifel an der Wahrheit des ptolemäischen Systems aus, der während dieses ganzen Lebens jenen Standpunkt vertreten und ihn nachdrücklich verteidigt hatte. Galilei stand damals mit den römischen Jesuiten auf bestem Fuße; das gute Verhältnis mag wohl eben in Clavius, einem hochverdienten und für seine Wissenschaft wahrhaft begeisterten Manne, eine wesentliche Stütze gefunden haben. Unglücklicherweise starb Clavius schon im folgenden Jahre (am 6. Februar 1612), er hätte viel dazu beitragen können, um in der Folge auf die Entschließungen der Kirche mäßigend einzuwirken.
Ob Galilei rückhaltslos seine innersten Überzeugungen in Rom offenbarte oder nicht: Bei seinen Freunden und Feinden stand es fest, dass er vollüberzeugter Kopernikaner sei. Da die Zahl sowohl seiner prinzipiellen Gegner als der persönlichen, deren Neid durch die ihm widerfahrenen Ehren wachgerufen war, sich stetig mehrte, so begann nun bald ein Intrigenspiel, das den fürchterlichen Mann verderben sollte, der die versteinerte Wissenschaft zu neuem Leben zu erwärmen, der tote und lebende Autoritäten von ihrem Piedestal zu stürzen drohte. Wissenschaftlich ihm beizukommen war schwer, man musste also den Kampf auf ein anderes Terrain hinüberspielen, auf das Gebiet des Glaubens. Nicht als ob die kopernikanische Lehre jetzt zum ersten Male an dem Maßstabe der Heiligen Schrift gemessen worden wäre. So sehr auch Kopernikus von vornherein in der Widmung seines Werks sich gegen das Hereinziehen der Bibel verwahrt, so hatte doch schon Luther den Narren Kopernikus verspottet, der die Welt auf den Kopf stellen wollte und im Widerspruch zu der bekannten biblischen Erzählung im Buche Josua, die Sonne ruhen, die Erde sich bewegen ließ. Einer der ersten Anhänger des Kopernikus,J o a c h i mR h ä t i c u s(eigentlich Georg Joachim) hatte in einer eigenen Schrift Kopernikus und Bibel in Einklang zu bringen versucht, Tycho de Brahe hatte in seinem Briefwechsel mitC h r i s t o p hR o t h m a n n ,dem Hofastronomen des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, auf den Widerspruch mit der Heiligen Schrift hingewiesen, Kepler bemühte sich des Öfteren die Bibel im kopernikanischen Sinne zu interpretieren: Kurzum die üble Gewohnheit, die Bibel in den Streit auch über andere Materien als über Glaubenswahrheiten hineinzuziehen, war zu jener Zeit allenthalben im Schwange. Dabei war zweifelsohne die herrschende Anschauung, dass es wissenschaftlich nicht fair sei so zu verfahren: etwa wie man heutzutage es missbilligt, in politischen Kämpfen die Ansicht und Person des regierenden Fürsten als Kampfesmittel zu verwenden. Die Verehrung und Rücksicht der Wissenschaft für die Bibel sollte darin ihren Ausdruck finden, dass man unabhängig von ihr die Wahrheit erforschte und nachträglich die Heilige Schrift so auslegte – und das war die Aufgabe der Theologen –, dass sie mit dem anderweitig für wahr Erkannten übereinstimmte. So schwer das oft auch möglich war, ein ultimum refugium blieb stets, von dem man allerdings nicht gerne Gebrauch machte; man sagte, die Bibel bequeme sich in ihrer Ausdrucksweise dem Verständnis der großen Menge an. Niemals hat Galilei, und schwerlich je ein anderer Kopernikaner, die Bibel als Beweismittel für die Lehre der Erdbewegung anführen wollen. Es ist darum einer der sinnlosesten, nichtsdestoweniger häufig gegen Galilei ausgesprochenen Vorwürfe, dass er nachmals nicht als schlechter Astronom, sondern als schlechter Theologe verurteilt worden sei. Anzunehmen, dass ihn gar Feindseligkeit gegen die Kirche beeinflusst hätte, wie es etwa bei Giordano Bruno der Fall war, ist völlig ausgeschlossen. Er war ihr gegenüber voll kindlicher, echt katholischer Fügsamkeit, die festhält an einer von frühester Jugend unauslöschlich eingeprägten Ehrfurcht vor allem, was mit der Kirche zusammenhängt, einer Ehrfurcht, die vielleicht etwas Äußerliches, Gewohnheitsmäßiges hatte, die aber ganz und gar mit ihm verwachsen, nicht künstlich gemacht war. Bis zur genannten Zeit hatte er sich über das Verhältnis der kopernikanischen Lehre zur Heiligen Schrift überhaupt nicht geäußert. Umso auffallender, dass während seines römischen Aufenthaltes seine Name zum ersten Male in den Akten der Inquisition erscheint. Es ist unbekannt, ob eine Denunziation eines seiner persönlichen Feinde vorlag, oder ob die Inquisition aus eigener Initiative dem gefährlichen Neuerer ihre Aufmerksamkeit schenkte. Denn gefährlich waren in gewissem Sinne die Lehren Galileis doch, seine Bekämpfung der Autorität des Aristoteles machte jede andere Autorität erzittern; der Heide Aristoteles und die katholische Kirche hatten insofern solidarische Interessen. Man forschte damals, ob Galilei in den InquisitionsprozessC e s a r eC r e m o n i n i s ,eines seiner